Eine »bunte Revolution« in Belarus?

Die Medien, die die Debatten an den Stammtischen beherrschen, verbreiten zur Zeit mehr Unwahrheiten als Tatsachen über das, was in Belarus abläuft. Die Zielrichtung all dieser Veröffentlichungen ist klar: Man will mit aller Kraft einen »Regimewechsel« in Minsk erreichen, eine neue »bunte Revolution« anzetteln.

Das Rezept dazu ist in den vergangenen 20 Jahren mehrfach erprobt und angewendet worden. Nach dem Umsturz in Serbien im Jahr 2000, bei dem eine Gruppierung namens »Otpor« die Regie übernommen hatte, wurde sogar eine Art Schule eingerichtet, deren Aufgabe es war, Pseudorevolutionäre aus aller Welt darin zu unterrichten, dem Westen nicht genehme Regierungen mit dem Anstacheln von Massenprotesten zu stürzen. Im Erfolgsfall wurde dann jeweils ein neues Regime installiert, mit dem die führenden Kreise der USA und der EU, und damit die Chefetagen des Großkapitals und der Banken leichtes Spiel hatten.

Beispiele dafür gibt es zuhauf. Nach dem Muster von Serbien gab es Umstürze zum Beispiel in Georgien, in der Ukraine, in früheren Sowjetrepubliken in Mittelasien, es gab den »Arabischen Frühling« – und fast alle dieser »Regimewechsel« hatten blutige Massenunruhen oder sogar Kriege zur Folge. Die zahlreichen Versuche, etwas in dieser Art auch im sozialistischen Kuba anzuzetteln, sind bisher ruhmlos gescheitert, und auch an Venezuela beißen sich die Verteidiger von »Recht und Ordnung« weiterhin die Zähne aus.

Belarus, ein riesiges Gebiet mit nicht einmal zehn Millionen Einwohnern, zwischen dem EU- und NATO-Land Polen und Rußland gelegen, ist sowohl der EU als auch den USA seit 30 Jahren ein Dorn im Auge. Die dortige Regierung, die seit nunmehr 26 Jahren von Präsident Alexander Lukaschenko geführt wird, hatte es geschafft, etliche der Fehler des großen Nachbarn Rußland zu vermeiden. Es wurde verhindert, daß – wie unter Jelzin in Rußland – Industriebetriebe und landwirtschaftliche Unternehmen an neue oder alte Kapitalisten verscherbelt wurden. Eine neue Oligarchenklasse – wie in Rußland – konnte gar nicht erst entstehen.

Auf der Grundlage der fast vollständigen staatlichen und genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisse an den wichtigsten Produktionsmitteln war und ist der Staat in Belarus in der Lage, die Bedürfnisse der Mehrheit der Einwohner weit gerechter zu befriedigen als in den Nachbarländern, einschließlich Rußland. Die Staatsführung unter Lukaschenko ist sich bewußt, daß eine Art friedliche Koexistenz mit dem kapitalistischen Westen und eine weitgehende, aber nicht vollständige Anbindung an das kapitalistische Rußland unter den gegebenen Umständen die beste Strategie ist, um Belarus als eigenständigen Staat mit einem relativen Wohlstand für die große Mehrheit der Bürger zu erhalten.

Man kann verschiedener Ansicht sein über die Perspektiven einer solchen Politik, über den Präsidenten, und auch über die Art und Weise, wie in Belarus Wahlen stattfinden. Doch der Vorwurf der »Wahlfälschung« läßt sich genauso wenig belegen wie der Vorwurf der »brutalen Polizeigewalt«. Beides dient dennoch für maßlose Anfeindungen und Strafmaßnahmen, auch für unverhüllte Drohungen. Der EU, den USA und der NATO geht es jedoch nicht um das Wohl der Belarussen, sondern einzig und allein um die riesigen Profitmöglichkeiten im Fall einer totalen Privatisierung der Volkswirtschaft des Landes – und um ein weiteres militärisches Aufmarschgebiet gegen Rußland. Wenn den Belarussen das bewußt ist, werden sie in der Lage sein, die richtige Entscheidung zu treffen.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek