Vom Musterschüler zum Prügelknaben

Bereits seit Mitte Juli ist Luxemburg nun auf diversen schwarzen Listen und bei unseren deutschen Nachbarn als »Risikogebiet« eingestuft, weil die tägliche Zahl der Neuinfektionen zwischenzeitlich über 50 Personen hinausging. Alles Flehen und händeringendes Erklären, daß man hierzulande eine ausgedehnte Teststrategie verfolge, nützte nichts.

Nun wurde das »Ländchen« vom ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) der EU für seine vorbildliche Teststrategie geadelt. Die umfassende Strategie, wenn man einmal die ungeordnete Aufhebung von Lockdown-Maßnahmen sowie die hirnrissige Idee, kurz vor den Ferien Schulkassen zusammenzulegen außen vor läßt, sollte in der Tat nicht unerwähnt bleiben, mit Blick auf die Corona-Situation anderer Länder. In Anbetracht seiner begrenzten Möglichkeiten der Abschottung und Einschränkung von Personenverkehr blieb kaum eine andere Wahl.

Leider aber fand diese Strategie bei den EU-»Partnern« kein Gehör, weil zum einen steif an den 50 auf 100.000 festgehalten wird, was für Luxemburg nachteilig ist, und zum anderen die Mängel in der eigenen Strategie so nicht erklärt werden müssen. Mittlerweile kommt man aber auch in Deutschland auf den Trichter, daß mehr Tests durchaus mehr Fälle zutage fördern könnten. Wie sich ein Einwohner Luxemburgs fühlt, wenn er, seit März mit kurzer Unterbrechung in seiner Reisefreiheit gegängelt, von deutschen Virologen derartige Erkenntnisse in der abendlichen ARD-Tagesschau vernehmen darf, dürfte kein Geheimnis sein.

Trotz klarer Vorgaben, umfassend zu testen, sind bisher die wenigsten EU-Staaten dem nachgekommen und mehr noch befürchtet die EU-Kommission dieser Tage, wo die Fallzahlen wieder allenthalben steigen, eine neue Welle nationaler Alleingänge bei Reisebeschränkungen. Diese Gesundheitskrise hat gezeigt, daß dieses Staatenbündnis mit Blick auf die vielgerühmte Freizügigkeit seiner Bürger nichts weiter als ein Papiertiger ist, es sei denn, diese Freizügigkeit bezieht sich auf moderne Sklaven wie Spargelstecher und Lkw-Fahrer.

Nach der völlig willkürlichen Grenzposse im Frühjahr, in welcher jeder BGS-Beamte an der deutschen Grenze offenbar eigene Auffassungen von »triftigen Gründen« hatte, sind derzeit die Vorgaben für Bürger, die aus dem »Risikogebiet« ausreisen wollen, immerhin eindeutig, bisher.

Eine umfassende Teststrategie ist wichtig für ein Land wie Luxemburg, das keine anderen Möglichkeiten hat, wie etwa bei Nacht und Nebel seine Grenzen schließen und den Nachbarn durch die Presse darüber zu informieren. Das Label »Risikoland« bringt allerdings eine ganze Reihe unschöne Nebeneffekte nationaler Ressentiments mit sich, die längst begraben geglaubt.

Insofern ist das Lob des ECDC ein Pyrrhussieg in den Augen der Bevölkerung, die fast schon ängstlich auf die nächste große Testwelle schauen mag, obwohl diese Strategie die beste ist. Als Belohnung dafür aber gibt es für den »Streber« von der EU eine »bonne note« und von den Klassenkameraden der anderen EU-Staaten Prügel mit dem Lineal.

Christoph Kühnemund

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek