Alle mal vernünftig bleiben

Die nun verschärften Regeln sind keine neue Eingriffsdimension. Sie appellieren an die Vernunft mündiger Bürgerinnen und Bürger.

Von Heike Haarhoff

Das Virus ist jetzt seit mehr als einem halben Jahr unter uns. Es ist in dieser Zeit nicht ungefährlicher geworden, und es wird auch nicht verschwinden. Aber – und das ist ein großer Gewinn im Vergleich zur Situation in Deutschland im Februar, März oder April – wir wissen dank internationaler Forschungsanstrengungen und transparenter Kommunikation der neuen Erkenntnisse inzwischen mehr über seine Eigenschaften; wir sind in der Lage, es einzuschätzen. Wir können in unserem Alltag mit ihm umgehen.

Das ist die Nachricht, die noch vor Monaten schier unglaublich schien: Wir. Können. Mit ihm umgehen. Und wir können uns und andere schützen. Einigermaßen jedenfalls (keine Frage: diejenigen, die das Verweigern von Masken in S- und U-Bahnen für einen revolutionären Akt halten und Abstandsregeln für überflüssig, sind so rücksichts- wie verantwortungslos, aber sie sind in der Minderheit). Und dies gelingt auch deswegen so gut, weil wir, anders als viele andere Länder, über die Mittel verfügen, Distanz und Hygiene halten zu können.

Auch die Schnelltests, die demnächst für eine erhebliche Erleichterung der derzeitigen Alltagseinschränkungen sorgen dürften, werden, jede Wette, in großem Umfang zuerst hierzulande verfügbar sein – und nicht etwa in Indien oder Afrika, wo die Menschen sie ebenfalls dringend brauchen. Der Bund vergibt daneben Millionenhilfen zur Umrüstung von Lüftungsanlagen, die hoffentlich nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in den Schulen ankommen werden. Das ist, bei allem (im Einzelfall berechtigten) Gejammere über die Einschränkungen eine komfortable, fast möchte man sagen: privilegierte Ausgangsposition, um mehr als glimpflich durch die Pandemie zu kommen.

Ein zweiter Lockdown, den viele fürchten, erscheint derzeit ebenso unwahrscheinlich wie unnötig. Dennoch gilt es, wachsam zu bleiben: Zuletzt haben die Infektionen wieder zugenommen. Dass Bund und Länder die Regelungen für private Feiern und die Bußgelder für falsche Namensangaben im Restaurant nun noch einmal verschärft haben, ist keine neue Eingriffsdimension angesichts der jüngsten Entwicklung und der Sorge, dass die Zahl der Infizierten weiter drastisch ansteigt, die medizinische Versorgung an ihre Grenzen gerät und die Nachverfolgung der Infektionsketten schwierig wird. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die zugleich an die Verantwortung und die Vernunft mündiger Bürgerinnen und Bürger appelliert: Wie rigoros Sanktionen ausfallen, können sie mit ihrem eigenen Verhalten beeinflussen.

Quelle:

taz – die tageszeitung via ots / Presseportal.de