Kuba gibt Preisbildung im Einzelhandel frei

In einem weitreichenden Reformschritt hat Kuba angekündigt, die Preisbildung im staatlichen Einzelhandel freizugeben. Die „Resolución 81“, die am Montag im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde, sieht vor, „die Befugnis zur Genehmigung der Preise in kubanischen Pesos an die Leiter von Handelsketten und anderen Vermarktungseinheiten zu übertragen“. Damit können künftig die Geschäfte eigenständig ihre Preise bestimmen, anstatt wie bisher das Ministerium für Finanzen und Preise.

Schritt in Richtung sozialistischer Marktwirtschaft

Ausgenommen sind Devisenläden sowie eine Reihe von basalen Grundgütern wie Speiseöl, Hähnchen, Geflügelhack, Rindfleisch, Havana-Club-Rum und eine Auswahl an im Land hergestellten Hygieneprodukten. Alle übrigen Preise werden künftig gemäß den lokalen Bedingungen vor Ort festgelegt, wobei Kriterien wie „Kosten, Ausgaben, Rationalität, Effizienz sowie das Verhältnis zur Marktreferenz“ berücksichtigt werden müssen. Die Reform ist nicht weniger als der bislang weitgehendste Schritt in Richtung einer sozialistischer Marktwirtschaft „á lo cubano“ und knüpft an die im Januar 2021 angestoßene Währungsreform an. Damals wurden neben der Abschaffung des CUC auch viele Preise den reellen Kosten angepasst, jetzt beginnt die angekündigte Dezentralisierung des Mechanismus.

Die Umsetzung wird vom Präsident der Grupo de Administración Empresarial (GAESA) und Ex-Schwiegersohn Raúl Castros, Luis Alberto Rodriguez Lopez-Calleja, koordiniert werden. Die Militärholding verwaltet etwa drei Viertel der Devisenwirtschaft des sozialistischen Landes, darunter große Teile des Tourismus. Enstanden ist sie im Rahmen von Marktreformen in den 1980er Jahren. Kubas Militärwirtschaft ist deutlich effizienter als der übrige Teil des Staatssektors und hat Erfahrung mit Dezentralisierungsprojekten, was einer der Gründe dafür sein könnte, die Reform den Olivgrünen anzuvertrauen. Lopez-Calleja selbst war lange Zeit kaum in der Öffentlichkeit bekannt und hat den Ruf einer „Grauen Eminenz“, im April 2021 wurde er ins Politbüro gewählt. Im Rahmen der Preisreform kommt ihm jetzt die Aufgabe zu, „punktuell, wo notwendig“ einzugreifen und dem Finanzministerium am Ende des Jahres über die Umsetzung zu berichten.

Chancen & Risiken

Auf Kuba wurde die Preisreform kontrovers diskutiert. Zu den Chancen zählen, dass heimische Produzenten aus dem Staats- und Privatsektor ihre Produkte einfacher in staatliche Geschäfte bringen können. Bisher ging dem ein umständlicher bürokratischer Weg voraus. Da sämtliche Preise zentral festgelegt wurden, konnte nicht flexibel auf schwankende Kosten reagiert werden. Der Weg in das staatliche Handelsnetz hat daher für lokale Hersteller nicht selten Verluste bedeutet. Aktuell sind die Peso-Supermärkte weitgehend leer, lediglich die weiterhin zentralisierten Produkte werden in unregelmäßigen Abständen angeboten, was sofort zu langen Schlangen führt. Mit der Übertragung der Preisgebungskompetenz auf die einzelnen Märkte entsteht für diese jetzt die Möglichkeit, das Sortiment selbstständig um lokale Erzeugnisse zu erweitern, womit allen gedient wäre: Märkten, Produzenten und nicht zuletzt auch den Kunden, die viele Waren oft nur über Umwege auf dem Schwarzmarkt finden. Nicht zuletzt ist dies eine gute Neuigkeit für Lebensmittelproduzenten, die aufgrund fehlender Logistik und unzuverlässiger Abholung durch den Staat oftmals Schwierigkeiten haben, ihre Ernte abzusetzen. Sie könnten jetzt versuchen, ihre Ware direkt an die Geschäfte zu liefern.

Auf der anderen Seite wird befürchtet, dass die Erweiterung der Rolle des Marktes zu mehr Korruption und höheren Preisen führen wird. „Unsere Unternehmen haben keinerlei Erfahrung mit Preisbildung und werden einfach nur ihre Ineffizienz an die Geschäfte weitergeben“, heißt es aus Wirtschaftskreisen. Tatsächlich besteht ein solches Risiko, da Nachfragesignale in Form von Verkaufszahlen nur sehr schwach bzw. gedämpft auf die Staatsunternehmen wirken. Ob ein Staatsunternehmen 10 Einheiten eines Guts á 200 Pesos oder 5 Einheiten á 400 Pesos im Einzelhandel absetzt, kann dem Betrieb theoretisch egal sein, so lange Output- und Gewinnpläne insgesamt erfüllt werden. Damit könnten es zu lokalen Teuerungen kommen, indem Firmen versuchen, ihre Defizite über höhere Preise auszugleichen welche nicht notwendigerweise die Rentabilität der Produktion reflektieren. Eine Tendenz, die in letzter Zeit mehrfach vom Wirtschaftsminister kritisiert wurde. Eine weitere Befürchtung sind Korruption und Preisabsprachen, die sich vermutlich zu Beginn einer solchen Reform nicht gänzlich werden vermeiden lassen. In beiden Fällen müssten stärkere monetäre Produktionsanreize in den Betrieben zusammen mit effektiver Kontrolle zum Einsatz kommen.

Wie auch immer die Reform ausgehen wird: schon jetzt ist klar, dass der Schritt eine Zäsur in der Steuerung der Wirtschaft markiert. Die oft beschworenen finanziellen statt administrativ-zentralistischen Methoden der Planung bekommen nun ein konkretes Gesicht in Form dieses Gesetzes, mit dem das staatliche Handelsnetz auf eine marktorientierte Grundlage gestellt werden soll. Trotz der Risiken ist der Moment angesichts der aktuell desaströsen Lage des Peso-Einzelhandels nicht schlecht gewählt. Fast alle Produkte, die momentan erhältlich sind bzw. sein können, werden auch künftig zu niedrigen Festpreisen verkauft. Für neue Waren gibt es jetzt allerdings erstmals eine echte Chance, in den Geschäften zu landen. Damit könnten diese langfristig ihre Funktion als „Zusatz-Abgabestelle für subventionierte Produkte“ verlieren und eines Tages zu so etwas wie echten Supermärkten werden, in denen nationale Hersteller ein stetes Angebot präsentieren.

Quelle: Cuba heute