Über 2000 Kolleginnen und Kollegen bei Streikkonferenz in Berlin
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Am Wochenende des 2. bis 4. Mai kamen über 2000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter anlässlich der 6. Konferenz gewerkschaftlicher Erneuerung unter dem Titel „Gegenmacht im Gegenwind“ zusammen. Drei Tage lang diskutieren Gewerkschaftsaktive in den Räumen der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) über den Zustand sowie über aktuelle und kommende Herausforderungen der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland.
Der große Andrang der aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Teilnehmenden ist dieses Jahr besonders auffällig. Vor zwei Jahren waren es noch 1500 Personen, die an der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bochum teilnahmen. Der Teilnahme lässt erkennen: Unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern steigt das Bedürfnis nach spürbaren Veränderungen der Gewerkschaften und ihrer politischen Linie rapide an.
Die Grenze verläuft zwischen den Klassen
Einen Schwerpunkt der Konferenz bildete das Thema Kampf gegen Rechts, zu dem es an allen Tagen mehrere Programmpunkte gab. „Demokratiefeindliche Tendenzen gehen jedoch nicht nur von der AfD aus“, betonte Geraldine Rauch, Präsidentin der TU Berlin und Gastgeberin, bei ihrer Eröffnungsrede und hob zudem hervor, dass Menschenrechte auch in Deutschland teilweise mit Füßen getreten werden, die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr ist und progressive Stimmen verunglimpft werden. „Wenn wir nachgeben, wird es noch schlimmer“, schlussfolgerte sie und rief zur Gegenwehr auf.
Auf dem Auftaktpodium machte Lisa Baumeister, ver.di Sekretärin für die Abfallwirtschaft in Berlin-Brandenburg, auf die Problematik aufmerksam, dass es mittlerweile offen rechte, jedoch im Betrieb verankerte Kollegen gibt, mit denen man einen Umgang finden muss, da man für betriebliche Aktionen nicht an ihnen vorbeikommt. Bei der Frage, warum rechte Einstellungen im Betrieb Zuspruch erhalten, betonte sie, dass die Arbeiter sehen, dass die regierenden Parteien genauso ihre Rechte beschnitten haben, wie es den rechten Parteien vorgeworfen wird. Ein Braunschweiger VW-Betriebsrat fügte hinzu, dass ihre praktizierte Zumutung von Zugeständnissen wie Mehrarbeit den Rechten die Basis zur Agitation gegen sie schafft. Dass für den Kampf gegen Rechts auch die Entscheidungsgewalt in die Hände der Belegschaft gegeben werden muss, unterstrich Chaja Boebel, Mitglied des IG Metall Vorstandes, mit der Aussage, dass „die Zeit der Stellvertreterpolitik vorbei“ ist.
Diese Ansicht teilte auch Brandon Mancilla, Vorstand US-Autogewerkschaft UAW, der nach einer Solidaritätsadresse an die Kolleginnen und Kollegen von Ford Köln betonte, dass Gewerkschaften kämpfen müssen, statt mit dem Management zusammenzuarbeiten. Dabei merkte er an, dass die UAW, um den 1. Mai, der in den USA kein Feiertag ist, als Kampftag zu stärken, ihre Tarifverträge zum 1. Mai 2026 auslaufen lässt und rief dazu auf, sich dem international anzuschließen.
Kampfgeist der CFM und Tesla-Beschäftigten
Eines der Höhepunkte der Konferenz waren die ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen der Charité Facility Management (CFM). Dort wird seit drei Wochen an drei Standorten gestreikt. Sie füllten den Saal, durch ihren Demonstrationszug, mit Kampfgeist. Empfangen wurden sie mit stehendem Applaus. Die Beschäftigten betonten, dass sie gegen das Zweiklassen-Beschäftigungssystem in der Charité in den unbefristeten Streik getreten sind und eine Eingliederung in den TVÖD (Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes) fordern. Die mehrheitlich migrantischen Frauen haben mit ihrem Kampfgeist und ihrem Willen für Bewunderung und Motivation auf der Konferenz gesorgt.
Auch in der IG Metall organisierte Tesla-Beschäftigte ergriffen das Wort. Sie berichteten von dem immensen Union Busting (Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften durch Arbeitgeber) bei Tesla, dem einzigen Automobilbauer in Deutschland, bei dem der Metalltarif nicht gilt und wo IG-Metall Mitglieder 21-mal öfter den gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, als im Bundesdurchschnitt. Doch sie erklärten, dass sie nicht nachgeben werden: „Auch Tesla werden wir bezwingen!“
Jugendaktion gegen Aufrüstung
Das Ende der Konferenz prägten ca. 30 junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern mit ihrer Bühnenaktion gegen Aufrüstung und Militarisierung. Henrik Torbeke, Vertrauensmann bei Bosch, betonte, dass der Wehrdienst eine Klassenfrage ist, da es die Arbeiterjugend ist, die ihr Leben für Absatzmärkte und Profit opfern soll. „Die herrschende Klasse will Krieg, wir eine Zukunft!“, so Torbeke. Mit ihrer Aktion riefen sie alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dazu auf, gegen Militarisierung und Aufrüstung anzukämpfen.
Mit diesem Ziel kamen auch 40 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am Samstagmorgen noch vor Programmbeginn beim Vernetzungstreffen der Initiative „Gewerkschaften gegen Krieg und Aufrüstung“ zusammen, um über Möglichkeiten zu diskutieren, wie sich in den Orten und Betrieben Aktionen gegen die rasende Militarisierung Deutschlands durchführen lassen. Ausgehend von einigen Beispielen, die durch die Anwesenden ergänzt wurden, endete das Treffen mit dem Appell, in den Orten und Regionen gewerkschaftsübergreifende Plattformen und Aktionskomitees zu gründen, um Aktionen gegen Krieg und Aufrüstung vorzubereiten und in die Tat umzusetzen.
Anders war es in einem Programmpunkt mit Gesundheitsarbeitern aus der Ukraine. Dort wurde sich offen für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und statt internationalistisch mit den Kolleginnen und Kollegen in Russland für Frieden zu kämpfen, betonte ein Referent, kein Interesse zu haben, jene kennen zu lernen und beendete seinen Beitrag mit dem rechtsradikalen Gruß „Slava Ukraini“.
Die Konferenz fiel dadurch auf, dass sie Raum für Debatten über Themen bot, die im Alltag bekämpft werden, wie über Abrüstung und die Verteidigung von Freiheitsrechten im Palästinakontext. Auch die weiteren Schwerpunkte der Kämpfe gegen Transformation und Kürzungspolitik wurden teils sehr kämpferisch diskutiert.
So gab es einige Workshops und Debatten, die die Probleme der Herrschenden Gewerkschaftsbürokratie anprangerten. Die Teilnehmenden der Konferenz haben ein Gefühl der Unzufriedenheit innerhalb der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zum Ausdruck gebracht. In den Pausen war zu beobachten, dass in jeder Ecke Gruppen zusammenkamen und die Diskussionen weiterführten.
Wie oben erwähnt ist auch diese Konferenz jedoch nicht frei von Widersprüchen. Schlussendlich steht ihr Selbstanspruch im Widerspruch zur Politik ihrer Organisatoren, nämlich der Linkspartei und den Gewerkschaftsführungen. Da zudem von den Referenten sowie den Teilnehmenden die überwiegende Mehrheit zum gewerkschaftlichen Hauptamt gehören und damit keine betriebsaktiven Kolleginnen und Kollegen sind, hat der Konferenz einiges an Potential gefehlt, zum Ausgangspunkt grundsätzlicher Veränderungen der gewerkschaftlichen Praxis zu werden. Ein Kurswechsel in den DGB-Gewerkschaften, erst recht ein klassenkämpferischer Kurswechsel, bedarf einer breiten Aktion an der gewerkschaftlichen Basis, das heißt unmittelbar in den Betrieben. Die Diskussionen sind noch längst nicht abgeschlossen.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben