„Wieder mehr arbeiten“?
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Neu-Bundeskanzler Merz hat eine Debatte um den Achtstundentag angestoßen. Man müsse „wieder mehr und effizienter arbeiten“, so der ehemalige Blackrock-Aufsichtsratsvorsitzende. Ähnliches heißt es auch im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: „Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. In diesen Aussagen stecken gleich mehrere Widersprüche.
Eine Wochenarbeitszeit, z.B. in Form einer Viertagewoche hört sich auf den ersten Blick vielleicht attraktiv an, doch der Schein trügt. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung macht nämlich deutlich: „Das zielt in erster Linie auf eine weitere Lockerung des Arbeitszeitgesetzes zur Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit ab. Dabei erlaubt bereits das geltende Gesetz längst eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 10 Stunden. Das Vorhaben der Bundesregierung würde tägliche Höchstarbeitszeiten von über 12 Stunden erlauben“. Eine Auflockerung des hart-erkämpften Achtstundentags würde nur zu Lasten der arbeitenden Menschen in Deutschland gehen und somit keinesfalls eine „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bedeuten. Die euphemistisch als „Flexibilisierung“ bezeichneten Arbeitszeitmodelle zielen allesamt darauf ab, Gesetze zum Schutz der Arbeiter aufzuweichen und bei gleichem oder geringerem Gehalt mehr arbeiten zu lassen.
Dabei wird immer wieder der Eindruck erweckt, dass in Deutschland nicht „hart genug“ gearbeitet würde und deswegen die Wirtschaft stagniere. Besonders jungen Menschen der „GenZ“ wird permanent „Faulheit“ vorgeworfen. Dabei zeigt auch hier die Studie der Hans-Böckler-Stiftung: wir arbeiten auf Rekordniveau. „Insgesamt haben abhängig Beschäftigte in Deutschland 2023 rund 54,59 Milliarden Stunden geleistet, während es 1991 noch 52,20 Milliarden Stunden waren“, 2024 sei diese Zahl sogar gestiegen. Dass ausgerechnet Menschen, wie Merz, denen eine leitende Funktionen in der Regel in die Wiege gelegt wurde, Menschen, die in der Pflege, Produktion oder im Einzelhandel vorschreiben wollen, dass sie mehr arbeiten sollen, ist nicht allein der Dreistigkeit der Politik geschuldet. Bereits vor dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung machte die Wirtschaft deutlich, dass sie – um ihre Profite sichern und erhöhen zu können – nach einer Politik verlangt, die die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft. Diese Politik will die neue Koalition bereitwillig liefern.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben