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Friedensprofile: Semih Sapmaz – WRI

Übernommen von Deutsche-Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen:

  1. Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Ich heiße Semih Sapmaz und ich koordiniere das Programm „Right to Refuse to Kill” (Recht auf Verweigerung der Tötung) bei War Resisters’ International. Zu meiner Arbeit gehört es, Kriegsdienstverweiger*innen aus Gewissensgründen weltweit zu unterstützen und mit Friedensaktivisten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenzuarbeiten. Ich schätze mich sehr glücklich, im Rahmen meiner Arbeit so viele inspirierende Aktivisten kennenzulernen – Menschen, die sich für eine Welt ohne Krieg einsetzen und an die Kraft des gewaltfreien Widerstands glauben.

  1. Was ist War Resisters‘ International und wofür steht die Organisation?

War Resisters‘ International (WRI) ist in erster Linie ein globales Netzwerk von Antimilitarist*innen und Pazifist*innen mit über 90 Mitgliedsgruppen in 40 Ländern. Unser Netzwerk wurde 1921 von Kriegsdienstverweiger*innen gegründet, die sich geweigert hatten, im Ersten Weltkrieg zu kämpfen, und ist seitdem stetig gewachsen. In der Gründungserklärung der WRI heißt es: „Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und mich für die Beseitigung aller Ursachen des Krieges einzusetzen.“

Die WRI steht für eine globale Gemeinschaft von Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die sich diesem Grundsatz verpflichtet haben und gemeinsam gegen Militarismus und für gewaltfreien Widerstand eintreten.

  1. Was sind die wichtigsten aktuellen Projekte oder Kampagnen der WRI?

Wie bereits erwähnt, ist die WRI ein Netzwerk von Pazifist*innen und Antimilitarist*innen, deren Mitglieder sich für eine Vielzahl von Friedens- und Gerechtigkeitsfragen einsetzen. Dazu gehören unter anderem: Unterstützung von Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen; Kampagnen gegen den Waffenhandel; Kampagnen für Friedenserziehung und gegen den Einfluss des Militärs in Schulen; Kampagnen gegen die Rekrutierung für das Militär; Kampagnen für Umweltgerechtigkeit – mit Schwerpunkt auf der Rolle von Kriegshandlungen in der heutigen Klimakrise; und die Förderung einer Kultur der Gewaltfreiheit im weiteren Sinne.

Vom WRI-Büro aus konzentrieren wir uns in erster Linie auf die Unterstützung der Basisarbeit unserer Mitglieder weltweit. Dazu organisieren wir internationale Solidaritätskampagnen, fördern den Austausch untereinander und unterstützen ihre Arbeit durch Publikationen und Veranstaltungen.

Zu unseren aktuellen Höhepunkten gehören:

  • Das Programm „The Right to Refuse to Kill” (Das Recht, sich zu weigern zu töten), das Kriegsdienstverweiger*innen aus Gewissensgründen international unterstützt und eng mit CO-Gruppen weltweit zusammenarbeitet.
  • Das Projekt „Militarismus und Klima”, das Strategien und Verbindungen zwischen Klimagerechtigkeit und antimilitaristischen Bewegungen aufbaut. Ein aktuelles Ergebnis ist unsere Kurzinformation „Militarismus und Klimakrise”, die kostenlos auf unserer Website verfügbar ist.
  • Das Antimilitarist Campaigning Lab (ACL) ist eine Reihe von Online-Workshops für junge Aktivist*innen, die Strategien für antimilitaristische Kampagnen erforschen – vom Waffenhandel und der Militarisierung der Grenzen bis hin zu Kriegsdienstverweigerung und Klimagerechtigkeit. Mit dem ACL wollen wir das generationsübergreifende Lernen fördern und das Engagement junger Menschen in unserem Netzwerk stärken.
  • Das Nonviolence Programme fördert Gewaltfreiheit durch Veranstaltungen und Publikationen. Vor kurzem haben wir eine überarbeitete Ausgabe des Handbook for Nonviolent Campaigns veröffentlicht, das eine umfangreiche Sammlung von Methoden und Taktiken zum Aufbau wirksamer gewaltfreier Bewegungen enthält. Ich empfehle allen, sich das Handbuch auf der WRI-Website anzusehen.
  1. Wie arbeitet ihr international zusammen – und mit welchen Partnern?

Unsere Arbeit im WRI-Büro basiert auf enger Kommunikation und Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsorganisationen. Für uns ist es wichtig, dass unsere Bemühungen die Friedensarbeit, die sie vor Ort leisten, stärken und unterstützen.

Diese Zusammenarbeit findet auf zwei Ebenen statt: mit Basisaktivist*innen und -gruppen sowie mit internationalen Organisationen. Wenn beispielsweise ein Kriegsdienstverweiger*innen inhaftiert wird, koordinieren wir uns eng mit lokalen Gruppen, um internationale Solidarität zu organisieren. Dazu kann gehören, die Nachricht zu verbreiten, Unterstützer zu ermutigen, Protestbriefe an die Behörden zu schicken, in denen die Freilassung der Kriegsdienstverweiger*innen gefordert wird, und Unterstützungsbotschaften an den inhaftierten Kriegsdienstverweigerer weiterzuleiten. All dies ist nur durch eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern möglich, die den Kontext am besten kennen.

Gleichzeitig arbeiten wir mit internationalen Organisationen wie dem Quaker United Nations Office (QUNO), Connection e.V., der International Fellowship of Reconciliation (IFOR) und anderen zusammen. Gemeinsam suchen wir nach Möglichkeiten, uns bei den Vereinten Nationen oder über regionale Mechanismen wie die EU oder ASEAN für die Belange unserer Mitglieder einzusetzen, um den Druck auf die Regierungen zu erhöhen.

Kurz gesagt: Wir arbeiten eng mit lokalen Gruppen zusammen, um ihre Bedürfnisse zu verstehen und effektiv darauf zu reagieren – oft in Partnerschaft mit anderen internationalen Verbündeten.

  1. Wie unterstützt die WRI Menschen, die den Militärdienst verweigern oder desertieren?

Wir unterstützen Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen durch eine Reihe von Aktivitäten, die auf Solidarität, Sichtbarkeit und Advocacy abzielen.

Eines unserer wichtigsten Instrumente ist das CO-Alert-System, das dringende Advocacy-Alarme ausgibt, wenn ein Kriegsdienstverweiger*innen strafrechtlich verfolgt oder inhaftiert wird, und so internationalen Druck auf die Behörden mobilisiert. Außerdem verbreiten wir weltweit Informationen, um das Bewusstsein und die Sichtbarkeit von Kriegsdienstverweiger*innen, insbesondere von gefährdeten Personen, zu erhöhen.

Wir unterstützen Basisgruppen von Kriegsdienstverweiger*innen mit Publikationen, Berichten und praktischen Leitfäden und bieten Möglichkeiten zum gegenseitigen Lernen und zur gegenseitigen Unterstützung, indem wir Kriegsdienstverweigererorganisationen online und persönlich zusammenbringen, um Erfahrungen auszutauschen und grenzüberschreitende Solidarität aufzubauen.

Entscheidend ist, dass wir lokale Gruppen von Kriegsdienstverweiger*innen mit internationalen Organisationen und Institutionen in Kontakt bringen, um ihnen eine Stimme zu geben und die Wirkung ihrer Lobbyarbeit zu verstärken. Auf einer breiteren Ebene engagieren wir uns in der politischen Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen und regionalen Gremien wie der EU und dem Europarat, um sicherzustellen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung weltweit anerkannt und geschützt wird.

Durch diesen mehrstufigen Ansatz stärkt WRI die internationale Bewegung der Kriegsdienstverweiger*innen und unterstützt diejenigen, die sich weigern, sich an Kriegen zu beteiligen.

  1. Wie wird die Arbeit von WRI finanziert?

Unsere Arbeit wird durch Spenden und verschiedene Treuhandfonds finanziert. Einzelspenden und die finanzielle Unterstützung unserer Mitglieder sind für die Aufrechterhaltung unserer Arbeit von entscheidender Bedeutung. Zusätzlich zu dieser unverzichtbaren Basisunterstützung beantragen wir Zuschüsse aus verschiedenen Treuhandfonds, die hauptsächlich im Globalen Norden angesiedelt sind. Eine wichtige Finanzierungsquelle ist der Joseph Roundtree Charitable Trust (mit Sitz im Vereinigten Königreich), dessen Unterstützung maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir uns für Kriegsdienstverweiger*innen einsetzen und internationale Solidaritätsbemühungen koordinieren können.

  1. Welche Person oder welches Ereignis hat Sie besonders dazu bewegt, diese Arbeit zu tun?

Ich komme ursprünglich aus der Türkei, wo ich in einer Gesellschaft aufgewachsen bin, die das Militär als eine der vertrauenswürdigsten Institutionen betrachtet. Der Wehrdienst ist dort immer noch Pflicht, und das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt. Wie viele Kinder in der Türkei wuchs ich mit Heldengeschichten über das „glorreiche“ türkische Militär auf und mir wurde gesagt, dass ich eines Tages stolz als Wehrpflichtiger dienen würde. Das wurde als heilige Pflicht dargestellt – als Zeichen von Loyalität, Stolz und guter Staatsbürgerschaft.

Aber in Wahrheit wollte ich nie zum Militär. Als ich älter wurde, begann ich, tiefer nachzudenken – und erfuhr von Alternativen. Damals stieß ich zum ersten Mal auf den Begriff „Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen”: Menschen, die sich aus ethischen Gründen offen weigern, Militärdienst zu leisten.

Die Begegnung mit einigen dieser Verweigerer – Menschen wie Osman Murat Ülke, Mehmet Tarhan und anderen – hat mich tief geprägt. Ihre Geschichten von gewaltfreiem Widerstand und ihrem Mut angesichts der Unterdrückung haben mich zutiefst inspiriert. Durch diese Begegnungen und jahrelanges Hinterfragen habe ich meinen Platz in der antimilitaristischen Bewegung gefunden.

  1. Wie reagiert die WRI auf den aktuellen Trend zur Militarisierung – zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine oder den steigenden Militärausgaben?

Wir reagieren auf den aktuellen Trend zur Militarisierung auf vielfältige Weise – durch Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern, Aufklärungskampagnen und indem wir das Narrativ hinterfragen, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten.

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine arbeiten wir beispielsweise eng mit Partnern wie Connection e.V., EBCO und anderen zusammen, um Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine zu unterstützen. Gemeinsam setzen wir uns mit der Kampagne #ObjectWar für ihren Schutz in Europa und darüber hinaus ein. Wir verstärken auch die Stimmen israelischer Kriegsdienstverweigerer, die sich weigern, im israelischen Militär zu dienen, und sich gegen die Besatzung und den Krieg in Gaza stellen.

In Bezug auf die Erhöhung der Militärausgaben konzentrieren wir uns darauf, das Bewusstsein für deren verheerende soziale und ökologische Kosten zu schärfen. Wir zeigen auf, wie steigende Militärbudgets Ressourcen von dringenden Bedürfnissen wie Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit abziehen. Kriegsprofiteure, Regierungen und Militärs treiben diese Eskalation voran – aber wir wehren uns mit der Botschaft, dass Militarismus die Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, nicht lösen kann.

Mit unseren Publikationen und Veranstaltungen wollen wir Klima- und Antimilitarismusbewegungen miteinander vernetzen und eine öffentliche Debatte stärken, die Menschen und den Planeten vor Krieg und Waffen stellt.

  1. Was sind derzeit die größten Herausforderungen für antimilitaristische Bewegungen weltweit?

Sie haben in der vorherigen Frage die steigenden Militärausgaben erwähnt – diese sind sowohl Ursache als auch Folge der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaften. Je militarisierter eine Gesellschaft wird, desto mehr geben Regierungen für militärische Prioritäten aus; und je mehr sie ausgeben, desto mehr wird Militarismus normalisiert. In diesem Kreislauf werden Stimmen, die Frieden und Gerechtigkeit fordern, zunehmend an den Rand gedrängt oder zum Schweigen gebracht.

Wir leben in einer Zeit, in der die Institutionen des Völkerrechts aktiv untergraben werden, Ressourcen von dringenden sozialen und ökologischen Bedürfnissen abgezogen werden und Friedensforderungen angesichts eskalierender Gewalt oft als naiv oder unrealistisch abgetan werden. Es sind definitiv schwierige Zeiten für antimilitaristische und Friedensbewegungen weltweit.

Wir stehen bereits vor Herausforderungen in Bezug auf Kapazitäten und Ressourcen – und diese verschärfen sich noch. Aber trotz alledem gibt es weltweit viele Menschen und Gruppen, die sich für Antimilitarismus und Frieden einsetzen. Es ist zutiefst inspirierend, ihre Geschichten des Widerstands zu hören und zu teilen, die oft in sehr repressiven Kontexten spielen. Bei WRI arbeiten wir hart daran, diese Stimmen zu verstärken und stärkere Verbindungen zwischen ihnen aufzubauen – denn jede Geschichte des Widerstands hat das Potenzial, andere zu inspirieren.

Das Interview führte und übersetzte Yannick Kiesel.

Dieser Beitrag erschien in der ZivilCourage, Ausgabe 3/2025.

Quelle: Deutsche-Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen

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