In der Realität eines neuen Kalten Krieges

Ein Satz auf der sogenannten Sicherheitskonferenz in München ließ am Wochenende aufhorchen. »Wir sind tatsächlich in Zeiten eines neuen Kalten Krieges abgerutscht«, sagte der russische Premierminister Dmitri Medwedjew in seiner Rede, nachdem er zuvor betont hatte, sein Auftreten mit seinem Chef abgestimmt zu haben. Er habe mit Präsident Putin vor seiner Abreise nach München über dessen Rede gesprochen, die im Jahre 2007 allerhand Aufsehen erregt hatte. Putin hatte seinerzeit eine ähnliche Aussage gemacht, ohne das Unwort vom »Kalten Krieg« zu benutzen. Denn der Kalte Krieg, den der Westen Ende der 40er Jahre gegen die damalige Sowjetunion und ihre Verbündeten ausgerufen hat, war durch einen gewissen Herrn Gorbatschow vor über 25 Jahren einseitig und blauäugig für beendet erklärt worden.

Medwedjews Rede rief eine breite Diskussion unter den Betroffenen hervor. Etliche Teilnehmer bemühten sich um eine »Interpretation« der schier unerhörten Behauptung. Manche versuchten sogar darüber zu debattieren, ob der Premier die Verlaufsform oder die Vergangenheitsform benutzt habe.

Alles Herumgerede macht jedoch keinen Sinn. Denn die Aussage stimmt. Medwedjew hat seinen und Putins Standpunkt auch einigermaßen schlüssig begründet. Er halte es für unnormal, daß der einst begonnene Dialog über eine zukünftige Architektur der europäischen Sicherheit, über weltweite Stabilität und über regionale Bedrohungen völlig zum Erliegen gekommen ist. Es gebe keine gegenseitige Rüstungskontrolle mehr, obwohl die seinerzeit eine wichtige Grundlage gegenseitigen Vertrauens gewesen sei. Jegliche partnerschaftliche Initiativen seien eine nach der anderen eingeschläfert worden. Das Projekt eines Vertrages über europäische Sicherheit sei faktisch eingefroren.

Mit ausgesuchter Höflichkeit und Zurückhaltung charakterisierte der russische Regierungschef das Verhältnis zwischen seinem Land und der NATO als «nicht freundschaftlich und verschlossen«. Rußland werde faktisch täglich seitens der NATO, der USA und der EU beschuldigt, eine »Bedrohung« zu sein. Mit Blick auf den NATO-Generalsekretär, der kurz zuvor gesprochen hatte, beklagte Medwedjew, daß immer wieder Schreckensbilder von einer angeblichen russischen Drohung mit einem Atomkrieg gezeichnet würden. Er frage sich zuweilen, sagte der Redner, »ob wir im Jahr 2016 leben oder im Jahr 1962«.

Die Darstellung der Situation entspricht sehr weitgehend der Realität. Bei genauerer Betrachtung sieht diese Wirklichkeit jedoch viel schlimmer aus. Für beinahe alle furchtbaren Entwicklungen in der Welt wird heute »der Russe« verantwortlich gemacht. Ganz deutlich wird das im Zusammenhang mit dem syrischen Krieg.

Es ließen sich viele weitere Beispiele anführen, die zeigen, daß Medwedjews Aussage in eine – leider – richtige Richtung weist. Denn der Westen fühlte sich seit 25 Jahren als Sieger des Kalten Krieges. Auch wenn in den Weiten des russischen Landes schon längst kapitalistische Verhältnisse eingezogen sind – entscheidend ist, daß sich die politische Führung in Moskau nicht vor den Karren der USA, der NATO und der EU spannen lassen will. Und besonders ärgerlich für den Westen ist, daß den westlichen Banken und Konzernen weiterhin der freie Zugriff auf Märkte und Ressourcen verwehrt ist. Der Feind steht immer noch im Osten.

Uli Brockmeyer