Andere Verteilung ist gefordert

Leo Furtlehner über das heiße Eisen Digitalisierung

Euphoriker behaupten, durch Digitalisierung wegrationalisierte Arbeitsplätze würden durch neue ausgeglichen. Die Prognosen sagen freilich anderes: Deutschland minus 460.000 kontra plus 400.000. VW-Konzern minus 23.000 kontra plus 9.000. Ganz davon abgesehen, dass eine Verlagerung von sozial abgesicherter Vollzeitarbeit zu prekärer Arbeit oder Scheinselbständigkeit als moderne Tagelöhner erfolgt, dass die Gewinner ganz andere sind als die Verlierer.

Und so konstatiert auch IMAS-Chef Andreas Kirschhofer-Botzenhardt „Die Automatisierung wird zum Megaproblem“ (Die Presse, 15.11.2017) und ortet einen Paradigmenwechsel.

Digitalisierung ist nur ein Aspekt der Entwicklung von Produktion, Wirtschaft und Gesellschaft. Kennzeichen der zeitgeistig als „Industrie 4.0“ bezeichneten neuen Stufe der industriellen Revolution sind Datenverarbeitung mit enormen Rechenkapazitäten, Robotereinsatz, Vernetzung von Arbeitsprozessen, Maschinen und Computern bis zu Internet und Cloud.

Das „Internet der Dinge“ verbindet Mechanik und Elektronik, Software, künstliche Intelligenz und Crowd Working. Das ermöglicht eine starke Differenzierung der Produkte, etwa das faktisch maßgeschneiderte Auto. Geschäfte via Internet wie Online-Banking, Buchung von Reisen oder Flügen, Download von Software, Videos, Fotos oder Musik, dezentrale Aspekte wie Home-Office oder 3D-Drucker, kognitive Technologien wie Alexa, Roboter, virtuelle Assistenten oder selbstfahrende Autos oder die Erstellung von Risikoprofilen über Bankkunden oder Kriminelle verändern unsere Welt gravierend. Durch Digitalisierung entstehende neue Geschäftsmodelle haben technische, ökonomische und soziale Aspekte, wie die Konflikte über Plattformen wie Uber, AirBnB oder Amazon zeigen.

Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Ortsunabhängigkeit, ständige Verfügbarkeit und Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländer sind bereits tägliche Realität. Eine Folge ist die Verknappung der Erwerbsarbeit. Vollbeschäftigung ist ohnehin schon lange kein Thema mehr, ein hoher Sockel von Dauerarbeitslosigkeit längst Realität.

Digitalisierung sollte eigentlich die Arbeit erleichtern, mehr Freizeit ermöglichen, zur Entschleunigung beitragen, nicht aber soziale Verunsicherung und Zukunftsangst erzeugen. Die Schlüsselfrage ist daher eine neue Verteilung von Arbeit, Einkommen, Gewinnen und Steuern. Aktuell findet freilich das Gegenteil statt: Während ein Teil der Beschäftigten Überstunden ohne Ende macht, werden immer mehr in prekäre Arbeit abgedrängt. Die enormen Gewinne aus digitalen Geschäften fließen nicht in die Staatskasse, sondern werden in Steueroasen verschoben. Stichwort „Panama Papers“ oder „Paradise Papers“.

Da eine Einflussnahme durch das Konsumverhalten nur bedingt möglich und wirksam wird, ist und bleibt die Verteilungsfrage und letztlich die Eigentumsfrage entscheidend. Zunächst aber, wer über Digitalisierung und Automatisierung entscheidet. Solange nämlich nur das Kriterium Betriebswirtschaft zugunsten des Profits gilt und die Beschäftigten nichts mitzureden haben, kann von einer sozialen Gestaltung nicht die Rede sein. Im Unterschied zu den 1980er Jahren gibt es heute keine Debatte über die Humanisierung der Arbeitswelt.

Und natürlich stellt sich auch die Frage „Steuert der Mensch oder die Maschine?“ Vor allem auch, weil Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten der ständigen Überwachung der Beschäftigten ermöglicht, ist der Datenschutz virulent. Digitalisierung bedeutet Druck in Richtung Flexibilisierung, Sharing Economy und Kreativwirtschaft mit allen daraus entstehenden Folgen. Regeln für die Zulassung höchst zweifelhafter neuer Wirtschaftsformen wie Uber oder AirBnB fehlen oder werden erst nachträglich geschaffen. Besonders alarmierend ist das systematische Abdrängen in eine Scheinselbständigkeit, obwohl klassische Merkmale unselbständiger Tätigkeit etwa bei Paketdiensten wie DHL oder UPS unübersehbar sind.

Der Prozess der Digitalisierung muss vor dem Hintergrund einer alle gesellschaftlichen Bereichen durchdringenden neoliberalen Hegemonie zu sehen sein. Dabei werden von den Betroffenen viele Aspekte wie Arbeitszeit oder ständige Verfügbarkeit längst als normal betrachtet. Erwiesen hat sich aber auch, dass die Forderung nach „Lebenslangen Lernen“ oft als Keule dient und Bildung kein Patentrezept ist. Denn entsprechende Abschlüsse sind nur die Eintrittskarte in die Konkurrenz um einen Job, keinesfalls aber für den Job selbst. Kein Wunder, wenn viele Arbeitslose AMS-Kurse etc. als Drangsalierung empfinden, wenn das System ihnen immer weniger eine menschenwürdige und existenzsichernde Arbeit geben kann.

Daher werden auch die Gewerkschaften nicht darum herumkommen mit wesentlich größerer Radikalität als heute über eine durch die enorme Produktivität infolge der Digitalisierung mögliche Finanzierung der Existenzsicherung durch entsprechende Mindestlöhne, höhere Arbeitslosengelder und Notstandshilfe bis zu Mindestsicherungen aber letztlich auch Formen von Grundeinkommen zu reden.

 

Quelle:

Gewerkschaftlicher Linksblock