Verlogene Wohltätigkeit

Um die Weihnachtszeit tummeln sie sich wieder auf allen Kanälen und (fast) allen Zeitungen: die Wohltäter. Da wird den arglosen Zuschauern und Lesern mit den Fotos von traurigen Kinderaugen und ausgemergelten Kinderkörpern ein schlechtes Gewissen gemacht, weil doch so viele Menschen in der Welt in Armut und Elend leben. Aber die Reklamefilmchen und Anzeigen der Wohltäter sagen uns – bevor uns der Weihnachtskaffee hochkommt – sofort, wie wir das Elend abschaffen können.

 

»Spenden Sie zehn Euro im Monat und Sie sichern den Kindern eine bessere Zukunft«, heißt es da. Noch schlimmer und dümmer: »Spenden Sie zehn Euro für die Rechte der Kinder«.

Und da ist dann auch wieder dieser abgehalfterte Sänger in Berlin, der sich stets kumpelhaft gibt und in seiner Menschenfreundlichkeit jedes Jahr kurz vor Weihnachten einigen Obdachlosen »seiner« Stadt ein kostenloses Weihnachtsessen spendiert. In diesem Jahr auch wieder unterstützt von C-Promis, die sich gern bei ihrem aufopferungsvollen Tun von den zahlreich anwesenden Pressefotografen ablichten lassen – immerhin erhöht das ihren Marktwert. Und der noble Spender läßt sich gern fotografieren, wenn ihm einer der dankbaren Essenempfänger die Hand küßt…

In Budapest ließ eine religiöse Sekte auf einem der belebtesten Plätze der Innenstadt eine Tafel aufbauen und verteilte ein kostenloses Mittagessen an bedürftige Wohnungslose. Auch in Warschau wurden Obdachlose zu einem Weihnachts-Essen eingeladen. Bereits vergessen scheint die Zeit, als es in den beiden Städten keine Obdachlosen gab – aber das war ja in der finsteren Zeit, bevor der wohltuende Kapitalismus in Ungarn und in Polen wieder Einzug hielt…

Es steht außer Zweifel, daß mit Spenden viel Gutes getan werden kann. Und die Menschen, die darauf angewiesen sind und die das Glück haben, derartige Spenden entgegenzunehmen, sind zu Recht dankbar dafür. Aber wird ihnen damit auch wirklich geholfen? Oder wirkt diese Art von Hilfe nur für einen kurzen Augenblick, und danach nimmt das elende Leben wieder seinen Lauf…

Es ist eine Lüge, und genau genommen eine bodenlose Frechheit, wenn uns eingeredet werden soll, mit zehn Euro im Montag könne man »die Rechte der Kinder« gewährleisten oder ihnen »eine bessere Zukunft« sichern. Die Rechte der Kinder, die übrigens in einer eigens von der UNO beschlossenen Charta aufgelistet sind, lassen sich nicht mit Almosen sichern. Die Rechte der Kinder – und damit auch eine bessere Zukunft – können nur gesichert werden, wenn der jeweilige Staat bereit und in der Lage ist, sich dieser Rechte anzunehmen.

Die Werbung um Wohltätigkeit ist auch deshalb verlogen, weil verschwiegen wird, welchen Anteil die ach so freien und demokratischen Staaten zum Beispiel der EU an dem Elend in der sogenannten dritten Welt haben. Mit den zehn gespendeten Euro kann man sicher etwas Essen finanzieren, aber man beseitigt nicht die neokoloniale Ausbeutung. Und was sind die zehn Euro gegen die zig Milliarden, die von den EU-Staaten für Rüstung und Krieg ausgegeben werden, mit steigender Tendenz, wohlgemerkt? Auch für Kriege, die das Elend der Menschen noch weiter vergrößern.

Wir wollen niemanden davon abhalten, für bedürftige Menschen hierzulande oder überall in der Welt zu spenden. Aber jede Spende sollte uns auch daran erinnern, daß es wesentlich mehr braucht als zehn Euro im Monat, um den Hunger, die Armut und das Elend aus der Welt zu schaffen.

Uli Brockmeyer

 

Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek