Sigmar Gabriel auf dem Balkan

jungewelt neuAm Freitag erschien in der Tageszeitung »junge Welt« ein Kommentar von Gerd Schumann, den wir nachstehend dokumentieren:

Welch ein Glück für Deutschland, dass Sigmar Gabriel nun doch einige Dates wahrnimmt. Schließlich hatte der »brillante Kopf« (FAZ vom 12.2.) bereits alle Auftritte als Außenminister gecancelt. Und sich schmollend mit Worten, die zu Herzen gingen, nach Goslar zurückgezogen.

Ein gedemütigter Vater, abserviert im Außenamt, obwohl seine Beliebtheitswerte in unerklärliche Höhen gestiegen waren.

Gabriel schlussfolgerte daraus, er habe seinen Job »offenbar auch ganz gut und erfolgreich gemacht«. Also weiter so! Der »Mann mit den Haaren im Gesicht« wurde wegrasiert, und jetzt reist der Minister wieder, besuchte diese Woche Pristina und auch das kratzbürstige Belgrad.

Dort hatte 1999 die sozialdemokratische Misere begonnen – wichtigster Tatort der jüngeren SPD-Geschichte. Die Trümmer des völkerrechtswidrigen NATO-Krieges sind noch nicht weggeräumt. Sie werden bleiben, weil der Westen auf seiner kolonialen Attitüde beharrt. Schließlich haben alle Teile des bekriegten ehemaligen Jugoslawien auf niedrigem Sozialniveau und mit hohem Abhängigkeitsgrad EU-kompatibel zu werden. Jeder für sich und jeder gegen jeden, separiert, reformiert, privatisiert. Dabei fällt besonders schwer, Serbiens Verhältnis zu seiner vormaligen Provinz Kosovo zu »klären«: Politische oder ökonomische Daumenschrauben müssen angezogen werden, bis es – frei nach Nahles – »quietscht«.

Diese Aufgabe Gabriels ergibt sich aus dem Job, den Schröder und Fischer erledigten. Ohne die »kleine«, von der SPD geführte Koalition mit den Grünen keine Bomben auf Belgrad 1999, ohne den Kanzler, seinen Außenminister und dessen »Auschwitz-Rampe« keine paralysierte, schockerstarrte Friedensbewegung hierzulande. Die Unionsparteien hätten den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 in Europa, geführt gegen die einst als »Untermenschen« gequälten Serben, Juden und Roma auf dem Gebiet eines ehemals von der Naziwehrmacht okkupierten Landes, kaum gewagt.

»Krieg« ersetzt als SPD-Markenzeichen längst »Versöhnung«, die seit Willy Brandts Kniefall in Warschau das außenpolitische Partei-image geprägt hatte. Dabei ist völlig egal, wie der Außenminister gerade heißt – ob der ach so »beliebte« Gabriel Lieferungen von Waffen für den saudischen Krieg gegen die Millionen Verelendeten im Jemen freigibt und von Panzertechnik für Erdogans Krieg gegen die Kurden in Syrien. Oder ob jemand anderes auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« am Wochenende das Mantra von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch und in aller Welt bekräftigt.

Die SPD ist am Ende, das Schauspiel um sie geht weiter. Es beschert Hundert-Prozent-Ergebnisse ebenso wie Abstürze ins Bodenlose – und zeigt doch nichts als Inhaltsleere. Kein Wort zu den Kriegen und zur »Agenda 2010«, vom maroden Gesellschaftssystem ganz zu schweigen. Und das staunende Publikum verlässt den Saal.