Leben in unterschiedlichen Welten

Am Freitag meldeten Agenturen, der französische Präsident habe seinen russischen Amtskollegen in einem Telefongespräch aufgefordert, auf »ein Ende der militärischen Eskalation im Bürgerkriegsland Syrien« hin zu wirken. Da kommt doch die berechtigte Frage auf, aus welchen Quellen sich die Informationen des Staatsoberhaupts Frankreichs speisen – immerhin eines Landes, das über eigene Atomwaffen verfügt und Ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat ist.

Denn wer sich nicht ausschließlich mit den »Meldungen« der vom Westen gesponserten Oppositionsquellen beschäftigt, müßte zumindest am Rande mitbekommen haben, daß genau das, was Macron von Putin forderte, längst passiert ist. Rußland hatte in Abstimmung mit der syrischen Regierung und deren Armee eine Waffenruhe für die umkämpfte Ost-Gouta durchgesetzt, hatte in mühevoller Kleinarbeit eine Islamistentruppe nach der anderen dazu überredet, die schweren Waffen abzugeben und sich in ein anderes Gebiet des Landes zurückzuziehen. Lediglich die Hardcore-Terroristen der »Armee des Islam« nahmen unter Bruch der Vereinbarung den Beschuß der Hauptstadt Damaskus wieder auf. Syrien und Rußland hatten das klare Ziel, die Ost-Gouta und die Stadt Douma ohne Häuserkampf und somit ohne weitere zivile Opfer einzunehmen, was den von den Saudis finanzierten Islam-Armisten gar nicht gefiel. Daß dann bei weiteren Kämpfen leider erneut zivile Opfer zu beklagen waren, ist allein diesen Leuten zuzuschreiben, die in den bürgerlichen Medien immer noch freundlich als »Rebellen« bezeichnet werden.

Nachdem deren Plan der Verlängerung des Krieges um Douma offenbar zum Scheitern verurteilt war, ließen sie flugs eine Meldung verbreiten, die syrische oder wahlweise die russische Armee habe Giftgas gegen Douma eingesetzt.

Ohne diese Lüge auch nur im Ansatz zu prüfen, ging sie blitzartig durch sämtliche Agenturen. Niemand stellte die Frage, welchen Sinn ein solcher Einsatz eines gefährlichen Kampfstoffs haben könnte, wenn man kurz vor der Einnahme einer Stadt steht und dort womöglich die eigenen Bodentruppen davon betroffen sein könnten.

Wie bei der Aufforderung Macrons an Putin geht es auch hier nicht um Tatsachen, sondern um eine Art Wunschdenken. Der ersehnte Regimewechsel in Damaskus findet nicht statt, das wird immer offensichtlicher. Also muß man zumindest an der Legende weiterstricken, der »Machthaber« – also der gewählte Präsident Syriens – sei »ein Tier« (Zitat Donald Trump), die syrischen Soldaten und deren Verbündete, vor allem die Russen, seien blutrünstige Mörder, und die bewaffneten Regierungsgegner der unterschiedlichsten Couleur seien hingegen »Rebellen« oder »Aufständische«, die gegen eine Tyrannei kämpfen und überhaupt nur Gutes wollen.

Da spielt es keine Rolle, daß selbst in bürgerlichen Medien eingeräumt wurde, wie die ach so netten »Rebellen« in den von ihnen besetzten Gebieten Menschen in ihre Dienste zwangen, als Geiseln hielten, mordeten, brandschatzten, vergewaltigten und plünderten.

Wie furchtbar muß es sein, in einer solchen Welt zu leben, in der Tatsachen nichts bedeuten. Da wird selbst eine grausame Selbstmord-Fahrt eines durchgedrehten Deutschen in Münster zu einem Ereignis hochgespielt, als wäre es ein Terrorakt gegen ganz Deutschland – obwohl schon kurz nach der schrecklichen Amokfahrt klar war, daß es keinerlei politische Motive für die Tat gab, schon gar keine islamistischen. Aber es paßte eben so gut ins Bild – zumindest in das Bild einer Welt, die mit der realen nichts zu tun hat.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek