Die schmalen Schultern tragen die großen Lasten

Inzwischen haben die Sommerschulferien begonnen, und für den 27. Juli kündigt sich der Kollektivurlaub im Bauwesen an. Das ist die Zeit, in der sich in Luxemburg viele Räder langsamer drehen, während das politische Geschehen während Wochen quasi zum Stillstand kommt.

Für viele, aber nicht für alle, sind die Sommerschulferien gleichbedeutend mit Erholung, zumindest für eine oder zwei Wochen, bevor sich das Hamsterrad ab September wieder drehen wird.

Für einige Wochen im Sommer vergisst man auch mal ganz gerne die alltäglichen Probleme, um auszuspannen. Doch nach dem kurzen Verdrängungseffekt muss man dann feststellen, dass sie noch immer da sind und auf eine Lösung warten.
Es ist schon lustig wie die Regierung sich zu Beginn der Sommerferien auf die eigene Schulter klopfte und so tat, als habe sie mit der Anpassung des gesetzlichen Mindestlohnes eine Herkulesarbeit verrichtet und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit in einem Land geschaffen, in welchem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.

Es liegt uns fern, die Nettoerhöhung von monatlich 100 Euro für alle Mindestlohnbezieher zu zerreden, denn wer nicht viel hat, wird froh sein, Monat für Monat 100 Euro mehr an Kaufkraft zu haben. Umso mehr sämtliche Löhne bis zu einem Bruttobetrag von 3.000 Euro in den Genuss des Steuerkredits kommen.
Doch mal ehrlich: Ist diese Anpassung tatsächlich so überragend, wo doch die »Chambre des salariés« errechnet hatte, dass aus den letzten Jahren ein Nachholbedarf von mehr als 20 Prozent besteht, und die KPL das als politische Forderung auf die Tagesordnung setzte?

Mit dem Beschluss der Regierung, welcher gleichzeitig ein Zugeständnis an das Kapital war, das nur einen Teil des höheren Mindestpreises für den Kauf der Ware Arbeitskraft zu bezahlen hat, wird keine Gerechtigkeit geschaffen, und die Anzahl der »Working poor« wird damit nicht kleiner.

Vor allem aber bedeutet soziale Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit »tout court« keineswegs, dass immer dann, wenn ein kleines Zugeständnis an die Kleinverdiener und benachteiligten Bevölkerungsschichten gemacht wird, auch Geschenke an das Kapital und die Reichen verteilt werden, wie das diese Regierung tut.

Gerecht wäre, wenn die mit den breiten Schultern eine größere Last zu tragen hätten, als die mit den schmalen. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Die Lohnabhängigen bezahlen heute zwei Drittel der direkten Steuern, das Kapital aber nur ein Drittel. Die Regierung weigert sich seit Jahren, die Teuerungszulage für die Ärmsten der Armen aufzuwerten, die Steuertabellen an die Inflation anzupassen und genügend bezahlbare Mietwohnungen zu bauen, aber sie verhindert gleichzeitig die Einführung einer Vermögenssteuer für die Reichen, eine höhere Besteuerung der Kapitaleinkünfte und die Einführung einer Spekulationssteuer, so dass sich die Baulöwen und Spekulanten noch immer dumm und dämlich verdienen. Und sie überlegt inzwischen, wie sie möglichst unauffällig auf dem Buckel der Lohnabhängigen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und des Klimas ergreifen und gleichzeitig das Kapital und die Reichen schonen kann.

Nach den Sommerferien werden die Lohnabhängigen diese Herausforderungen erneut aufnehmen müssen. Hoffentlich ausgeruht und in der Absicht, diese Verhältnisse zu ändern.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek