Corona: Lebensgefahr in kolumbianischen Gefängnissen

Wir dokumentieren einen Aufruf der Movimiento Nacional Carcelario:

Die dramatische Situation in den kolumbianischen Gefängnissen angesichts der Covid-19-Pandemie gefährdet das Leben der Gefangenen. Trotz zweier bestätigter Todesfälle von Internierten innerhalb der Gefängnisse und mehrerer Berichte über Gefängnisse mit möglicherweise mehr als 100 an Corona erkranken Menschen ohne medizinische Versorgung, hat die Regierung bisher keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen.

In den kolumbianischen Gefängnissen gibt es eine Überbelegung von 54 Prozent, Gewerkschaftsmitglieder, Verurteilte wegen aller Arten von Verbrechen und politische Gefangene werden zusammen eingesperrt, in mehreren Hochsicherheitsgefängnissen haben sie keinen Zugang zu Tageslicht, der Zugang zu Trinkwasser ist sehr begrenzt, das Gesundheitswesen ist ineffizient – es nur zwei Pflegekräfte pro 9000 Gefangene und Ärzte haben nur von Montag bis Freitag Zugang und verfügen nicht über genug Medikamente für die gesamte Gefängnispopulation. Das Nationale Institut für Strafvollzug und Gefängnisse (INPEC) gibt nur drei persönliche Hygienesets pro Jahr an jede Person aus, die lediglich eine Seife enthalten. Diese Aspekte sind Teil der Auslöser für wiederholte Proteste und Hilferufe auch an die internationale Gemeinschaft aus den kolumbianischen Gefängnissen.

Das kolumbianische Justizsystem und internationale Gremien haben wiederholt aufgezeigt, dass das Land die Mindestanforderungen für die humane Behandlung der Gefangenen nicht erfüllt. Deswegen führte am 21. März die Nationale Gefängnisbewegung (MNC) eine friedliche landesweite Protest-Aktion durch, auf die die INPEC mit dem exzessiven Einsatz von Waffen reagierte. In La Modelo in Bogotá wurden dabei 23 Gefangene ermordet, mehr als 80 wurden verletzt und 2 werden noch bis heute vermisst. In verschiedenen Gefängnissen gab es daraufhin Berichte über den Entzug der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung, Einzelhaft, unverhältnismäßige Durchsuchungen in den Zellen. Häftlinge mussten sich nackt ausziehen und wurden auf die Flure gezerrt und dort geschlagen. Darüber hinaus gab es unregelmäßige Verlegungen von Personen, die von der INPEC als Anstifter der Proteste identifiziert wurden, ohne die Familien und Anwälte darüber zu informieren. Angesichts dieser Situation traten mehrere Gefangene in einen Hungerstreik, und einige beschlossen, als eine Form des Protests ihren Mund zuzunähen.

Die Regierung von Kolumbien kündigte bereits am 22. März 2020 die Ausrufung eines Gefängnisnotstands an, nachdem der INPEC den Notstand erklärt hatte. Jedoch sind bereits mehr als drei Wochen verstrichen und der Notstandsbeschluss noch nicht rechtskräftig erlassen worden.

Um das Leben der heute 124.188 Personen in Gefangenschaft zu gewährleisten, fordern wir dringend:

1. Freilassung von Gefangenen.

Seit Beginn der weltweiten Krise aufgrund des Coronavirus empfehlen die Vereinten Nationen (UNO) den Schutz von Gefangenen als dringende Angelegenheit: „Die Behörden sollten Personen, die besonders anfällig für COVID-19 sind, freilassen. Mehr denn je sollten die Regierungen jetzt zudem alle Gefangenen freilassen, die ohne ausreichende Rechtsgrundlagen inhaftiert sind, einschließlich politischer Gefangener und Personen, die wegen der Äußerung kritischer Ideen oder abweichender Meinungen inhaftiert sind. Die Regierungen sollten die Gefängnisse durch vorzeitige, vorläufige oder befristete Entlassungsregelungen für Straftäter mit geringem Risiko entlasten, alle Fälle von Untersuchungshaft überprüfen und Kaution anwenden.“ Trotz dieser internationalen Empfehlungen und der Erklärung eines Gefängnisnotstands durch die Regierung hat bisher keine Freilassung stattgefunden.

Um diesen internationalen Empfehlungen nachzukommen, fordern wir von der kolumbianischen Regierung:
– Entlassung aus der Haft für schwangere und stillende Frauen, GewerkschafterInnen, alte Menschen, chronisch und unheilbar Kranke und körperlich Behinderte sowie für diejenigen, die 3/5 ihrer Strafe verbüßt haben.
– Entlassung von Personen mit bereits erteilten Straferlassen.
– Einrichtung von Notfallgerichten zur Bewältigung der Situation und zur raschen Behebung der Überlastung der Gefängnisse.
– Aufhebung der Aussetzung von Gerichtsverhandlungen.

2. Sichere Bedingungen innerhalb der Gefangenenlager.

Die UNO empfiehlt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, „um weitere Ausbrüche von Covid-19 zu verhindern”. Auch wenn möglicherweise Kontakt-Beschränkungen eingeführt werden müssen, warnt die UNO vor den Risiken solcher Maßnahmen: „Die plötzliche Aussetzung der Kontakte mit der Außenwelt kann eine Situation verschlimmern, die an sich schon angespannt, schwierig und potenziell gefährlich sein kann.“
Um diesen internationalen Empfehlungen nachzukommen, fordern wir die kolumbianische Regierung auf:

– Gesundheitsbrigaden.
– Bereitstellen der notwendigen Utensilien zur Reinigung und Körperpflege der Gefangenen,
wie Mundschutz, Desinfektionsgel, Waschmittel, Handschuhe.
– Bereitstellung von Räumen für die Quarantäne und Isolierung von Personen, die möglicherweise mit dem Virus infiziert sind. Dort sollte es Bedingungen für die erforderliche medizinische Versorgung geben.
– Isolierung von mit Covid-19 infizierten Personen in einem spezialisierten medizinischen Zentrum durchgeführt werden sollte.
– Schnelle und effiziente Überweisungen von Infizierten an Krankenhäuser.
– Bereitstellung von Nahrungsmitteln in allen Gefängnissen und wesentliche Verbesserung der bereitgestellten Mahlzeiten.

Quelle:

Rote Hilfe e.V.