Politisches Chaos in Israel und Todesangst in Palästina

Nach über einem Jahr des politischen Chaos und einer sich zuspitzenden innenpolitischen Situation im Rahmen von Corona kommt es in Israel nun voraussichtlich zu einer Regierungsbildung. Die von Benjamin Netanjahu (Likud) angeführte Rechtsregierung war an mehreren Fragen zerbrochen, unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen gegen Netanjahu als auch daran ob der ultraorthodoxe Teil der Bevölkerung zum Militärdienst eingezogen werden solle.

Für die Wahl im April 2019 formierte sich gegenüber dem nationalkonservativen Likud eine politische Gegenkraft – die Allianz „Blau Weiß“. Träger waren liberale und konservativen Parteien, angeführt von Vertretern aus Medien, Verwaltung sowie dem Militär mit Benny Gantz an der Spitze. Ihre WählerInnen mobilisierte „Blau Weiß“ vor allem aus den wohlhabenden und europäischstämmigen Schichten in Israel. Hauptziel war es eine erneute Regierung unter Netanjahu unmöglich zu machen. Wirtschaftspolitisch blieb es beim hegemonialen Neoliberalismus und in der Palästina-Frage zeigte sich eine harte Haltung. Gantz brüstete sich im Wahlkampf „Teile von Gaza in die Steinzeit zurückgeschickt“ zu haben, „indem er (als Generalstabschef) 6231 Ziele zerstörte“.

Letztlich führten die Wahlen im April sowie im September nicht zu einem Sieger, sodass 2020 erneut an die Wahlurne geschritten wurde. Auch dieses Mal gab es keine klare Mehrheit für Likud. Plötzlich knickte Gantz ein und zeigte sich bereit zu einer Regierung mit Netanjahu. Diesen Schritt begründete er damit, dass in Zeiten von Corona er bereit sei „die Interessen Israels vor alles andere zu stellen“. Für Netanjahu und sein politisches wie persönliches Umfeld könnte dies die Rettung vor dem Aus sein, da damit sein Sturz sowie strafrechtliche Folgen entfallen.

Duell um Regierungsbildung

Nachdem die internationalen Medien sowie die israelische Bevölkerung eine zügige Einigung im von Präsident Reuven Rivlin gesetzten Limit von 4 Wochen erwartet hatten, geht der Streit um die Regierungsbildung unvermindert weiter. Die Frist verstrich am Montag, den 13.04.2020 ungenutzt, eine erwartete Einigung zur Einheitsregierung konnte zuerst nicht erzielt werden. Streitpunkte waren nach Medienberichten, die Frage nach der Besetzung und Ernennung von hohen Richtern sowie eine Garantie für Netanjahu, dass ihm das oberste Gericht trotz seiner justiziablen Korruptionsvorwürfe nicht die Ernennung zum Regierungschef vorenthalten würde. Rivlin sicherte Gantz weitere 48 Stunden zur Verhandlung zu – Netanjahu und Gantz kamen am 20.04.2020 zu einer Last-Minute Übereinkunft und werden ab sofort eine Einheitsregierung in Israel bilden. Das Amt des Regierungschef wird zwischen den beiden Kandidaten nach 1,5 Jahren rotieren.

Imperialistische Zusammenarbeit

Israel und die Bundesrepublik Deutschland unterhalten erst seit 1965 diplomatische Beziehungen, erst im Jahr 2000 sprach mit Bundespräsident Johannes Rau erstmalig ein deutscher Politiker vor dem israelischen Parlament, seit längerer Zeit jedoch ist der israelische Staat einer der bedeutendsten Verbündeten des deutschen Imperialismus im Nahen Osten. Die Zusammenarbeit ergibt sich aus gemeinsamen Interessen im geopolitischen Kampf wie der Abwehr des „Terrorismus“, von der Zusammenarbeit in Fragen der Migration sowie dem gemeinsamen Kampf im Krieg gegen Syrien. Darüberhinaus exportieren die deutschen Waffenschmieden Kampfmittel und Fahrzeuge in Millionenhöhe nach Israel, zudem werden SoldatInnen gegenseitig ausgebildet und eine enge militärische Kooperation besteht. Allein 2019 exportierte die BRD Waffen im Wert von 101 Millionen Euro gen Israel. Diese imperialistische Zusammenarbeit überdeckt alle Bemühungen oder Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern.

Covid-19 in Israel: Arbeitslosigkeit, Tod und Einschränkungen

Im Zuge von Corona erließ Netanjahus Übergangsregierung Maßnahmen die zur zeitweiligen Schließung von Parlament und Gerichten führten, gleichzeitig war es möglich die Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes ungestört auszuweiten. Aktuell sind in Israel rund elftausend Menschen infiziert und rund 110 Menschen seien bislang verstorben, weitere 180 Patienten befinden sich in einem lebensbedrohlichen Zustand. Der Geheimdienst darf mittels Handyortung und Bewegungsprofilen vermeintlich Infizierte und deren Kontakte aufspüren – auch erfolgt der Einsatz der Armee im Inneren. Seit Anfang März stieg die Arbeitslosenzahl auf mittlerweile schätzungsweise 500 000 Menschen, sie könnte auf bis zu 1,2 Millionen steigen, was einem Anteil zwischen 13 und 32 Prozent der Bevölkerung entspräche. Diese Auswirkungen treffen am Unmittelbarsten die politisch wie ökonomisch ausgegrenzte arabische Minderheit, da ihre Viertel ein schlechteres Gesundheitswesen aufweisen und Kriminalität, Armut und Perspektivlosigkeit grassieren sowie die restliche Arbeiterklasse in Israel.

Protest formiert sich dagegen online. Dabei ist auch die Israelische Kommunistische Partei die gemeinsam mit anderen linken Gruppen und arabischen Parteien Teil der „Gemeinsamen Liste“ ist, ein Wahlbündnis das aktuell die drittgrößte Fraktion in der Knesset (= Name des israelischen Parlamentes) bildet. Die KP kämpft seit Jahren gegen Demokratie- und Sozialabbau sowie für nationale Rechte der arabischen Minderheit in Israel und eine Zweistaatenlösung. Unabhängig davon zu was für einer Einigung Netanjahu und Gantz kommen und wie eine künftige Regierung auszusehen vermag, der Kampf um politische und soziale Rechte ist gerade in Zeiten von Corona wichtiger denn je. Wie auch anderswo auf der Welt nutzen die Herrschenden in Israel die Situation um demokratische Rechte einzuschränken und die Krisenlasten auf den Rücken der einfachen Bevölkerung abzuladen.

Pandemie unter Besatzung

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass (wie oben erwähnt) weder Gantz, Netanjahu bereit sind Zugeständnisse an die palästinensische Seite zu machen und somit ein – zuvor schon Friedensschluss in unerreichbare Ferne rückt. Für die besetzten Gebiete gilt eine ähnliche Einschätzung wie für die durch den imperialistischen Krieg zerstörten Gebiete im Irak oder Syrien der Organisation der „Ärzte ohne Grenzen“: man warnt vor einem „Massensterben“ in Folge einer „eklatanten“ Lage. Diese Sorge basiert auf den nüchternen Fakten im Hinblick auf die Besatzungs- und Blockadepolitik, demnach sind im Westjordanland nur 20 Intensivmediziner sowie 120 Atemgeräte verfügbar. Im Gazastreifen, einem Gebiet in welchem auf rund 375 Quadratkilometer gut 2 Millionen Menschen (!) leben, stehen täglich nur 150 Teststreifen zur Verfügung sowie nur 45 (!) Intensivbetten (insgesamt seien es 2500). Aufgrund der Blockade sowie der israelischen Kontrolle gelangen nur unzureichend wichtige Medikamente oder Hilfsmittel nach Palästina. Die Menschen beginnen den Aufforderungen der lokalen Behörden nach sozialer Distanz zu folgen – die Hamas sagte das traditionelle Freitagsgebet ab, trotzdem bleiben die Aussichten dunkel, denn die vorhandene Infrastruktur wird bei einem vollständigen Ausbruch keine Chance haben allen betroffenen Menschen zu helfen. Das historische Unrecht gegenüber Palästina muss beendet werden, die Covid-19 Pandemie stellt die blanke Existenz der Menschen in Frage und offenbart somit erneut das rassistische Gesicht der israelisch-imperialistischen Politik. Das Ende der Blockade, die Gründung eines palästinensischen Staates in den von der UN-vorgesehenen Grenzen sowie die medizinische und humanitäre Absicherung der palästinensischen wie israelischen Bevölkerung, müssen unsere Forderungen sein, doch dies wird nur gegen die Herrschenden in Tel-Aviv gehen.

Stellungnahme der Internationalen AG der SDAJ, Stand: 20. April 2020

Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend