Wege aus der Krise

Während sich Wissenschaftler – darunter selbsternannte Experten in inflationärem Ausmaß – immer heftiger darüber streiten, ob der Höhepunkt der Corona-Krise bereits überschritten wurde oder noch vor uns liegt, und nicht wenige »Experten« – darunter auch USA-Präsident Trump – immer neue Ideen über den Kampf gegen das Virus aushecken, denken vor allem Politiker darüber nach, wie und wann ein Ausweg aus den auferlegten Beschränkungen freigegeben werden kann. Dabei haben sie vor allem drei wichtige Aspekte im Sinn: Einerseits müssen dem ungeduldigen Volk ein paar Glasperlen zugeworfen werden, um es von »krummen Gedanken« abzuhalten. Schließlich könnte es ja sein, daß sich in der Zeit von Quarantäne und »Home office« die eine oder andere Idee verbreitet, die den Herrschenden nicht so richtig ins Konzept paßt.

Zweitens aber, und das ist von »systemrelevanter« Bedeutung, geht es darum, wie schnell Banken und Konzerne wieder zur gewohnten Tagesordnung übergehen können und dabei möglichst nicht nur keine Verluste erleiden, sondern auch den einen oder anderen Extraprofit mitnehmen. Dazu gibt es bereits eine Menge Ideen, vor allem in Form von »Hilfspaketen«. Wir wissen, daß all die Milliarden in erster Linie für das Wohl der Großunternehmen gedacht sind, und daß das gewöhnliche Volk zunächst mit ein paar Brosamen vom Tisch der Reichen zufrieden gestellt werden soll – schließlich ist es ja an ihm, später für die ganze Zeche aufzukommen.
Und drittens muß alles getan werden, damit das System keinen allzu großen Schaden nimmt. Denn gerade in der Krise erkennen viele Menschen die Grenzen und die Gebrechen des kapitalistischen Gesellschaftssystems immer deutlicher.

Und diese Grenzen und Gebrechen des politischen und wirtschaftlichen Systems müssen immer wieder klar benannt werden. Zwar hat das Virus und seine Verbreitung zunächst überhaupt nicht mit dem Kapitalismus zu tun, aber die Art und Weise, wie damit umgegangen wird, macht deutlich, daß dieses System auf Dauer nicht mit derartigen Krisen fertig werden kann. Das liegt vor allem am grundlegenden Konstrukt, nämlich daran, daß im Kapitalismus ausnahmslos alles zu einer Ware wird oder werden kann, und daß jeweils nur die Ware wirklich »systemrelevant« ist, aus der sich möglichst viel Profit herausschlagen läßt.

Die Gesundheit ist so eine Ware. In krisenfreien Zeiten – die allerdings immer seltener werden – läßt sich damit eine Menge Geld machen. Allerdings nur unter Bedingungen einer Zwei-Klassen-Medizin und dann, wenn das öffentliche Gesundheitswesen nur die Leistungen anbietet, die aus Sicht der Besitzenden wirklich unverzichtbar sind. Als im Zuge der großen Wirtschafts- und Finanzkrise alle möglichen Wege zum Einsparen öffentlicher Mittel gesucht wurden, war das Gesundheitswesen der kapitalistischen Staaten zu einem riesigen Manöverfeld für Kürzungen geworden. Allein Italien wurde von der EU-Kommission zwischen 2011 und 2018 ganze 63 mal aufgefordert, die Gesundheitsausgaben zu kürzen und/oder Teile des Gesundheitssystems zu privatisieren.

Es liegt auf der Hand, daß auch nach dieser Krise zur Kasse gebeten wird. Die bereits begonnene Aufweichung und Abschaffung von in Jahrzehnten erkämpften Errungenschaften ist ein Teil dieser Zeche. Es steht also die Frage, ob wir bereit sind, diese Zeche zu bezahlen, oder ob es andere Wege aus dieser Krise gibt.

Uli Brockmeyer

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek