Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow auf der Pressekonferenz mit Heiko Maas in Moskau

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir hatten konstruktive, vertrauensvolle und ausführliche Verhandlungen mit dem Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutschland, Heiko Maas. Wir schnitten die bilaterale Tagesordnung und unser Zusammenwirken zur internationalen Problematik sowohl in der UNO als auch in Europa an.

Der Besuch von Heiko Maas erfolgt im Vorfeld des 50. Jahrestags der Unterzeichnung des Moskauer Vertrags zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Respektierung der europäischen territorialen und politischen Realien, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten. Das Original dieses Vertrags wurde heute in diesem Saal vorgelegt. Wir haben es zusammen mit Heiko Maas angeschaut. Am 12. August 1970, als er unterzeichnet wurde, traf die Sowjetunion sicher und auf betont friedlichen Positionen trotz des vorherrschenden Klimas des Misstrauens und harten ideologischen Drucks bewusst eine strategische Wahl zugunsten einer friedlichen und gegenseitig respektvollen Partnerschaft mit dem Westen. Es muss auch die pragmatische Ostpolitik des Kanzlers Willy Brandt hervorgehoben werden. Damals wurde in Bonn berücksichtigt, dass die Gewährleistung einer langfristigen Stabilität in Europa in vielerlei Hinsicht mit der Normalisierung der Beziehungen zu Moskau verbunden ist.

Der damalige Vertrag förderte die Billigung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz auf dem Kontinent, verbesserte die internationale Lage im Ganzen. Er förderte die Durchführung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Unterzeichnung deren Schlussakte in Helsinki sowie den gleichzeitigen Beitritt der DDR und BRD zur UNO.

Heute bestätigten wir während der Diskussionen die gegenseitige Einstellung auf die weitere Vertiefung des Zusammenwirkens im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung, Kultur, humanitäre Austausche. Ernsthafte praktische Fortschritte wurden zum Ergebnis des zu Ende gehenden Themenjahres zu Wissenschaft und Hochschulpartnerschaften. Dieses Jahr wird durch ein neues Themenjahr abgelöst – das Jahr für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung. Am 26. September eröffnen deutsche Partner als Zusatz dazu das Deutschlandjahr in Russland, in Moskau. Wir hoffen, dass dies auf dem Puschkinskaja-Platz angesichts der epidemiologischen Lage durchgeführt werden kann.

Wir begrüßen die Tatsache, dass die Partner trotz der Schwierigkeiten um Pandemie mit der praxisorientierten Umsetzung der humanitären Geste der deutschen Bundesregierung gegenüber den Überlebenden der Leningrader Blockade begannen. Die erste Partie der medizinischen Ausstattung für das Krankenhaus der Kriegsveteranen ist schon in Sankt Petersburg. Heute am Nachmittag hat der Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutschland, Heiko Maas, mehrere Treffen in Sankt Petersburg, er wird unter anderem mit den Überlebenden der Leningrader Blockade sprechen. Wir wissen diese Aufmerksamkeit zu diesem Problem durch unsere deutschen Freunde zu schätzen.

Im Wirtschaftsblock legten wir den Schwerpunkt auf die Fertigstellung des Gaspipelineprojekts „Nord Stream 2“. Selbstverständlich berücksichtigten wir den präzedenzlosen Sanktionsdruck seitens der USA. Wir wissen die prinzipielle Position Berlins zur Unterstützung dieser ausschließlich kommerziellen Initiative, die die Erdgaslieferrouten diversifizieren und die Energiesicherheit Europas auf Grundlage der Einschätzungen, die die europäischen Länder selbst machen, festigen lässt, zu schätzen. Und nicht auf Grundlage der Einschätzungen aus dem Übersee.

Wir drückten der deutschen Seite Besorgnisse wegen der Situation in unserem Zusammenwirken bei der Cybersicherheit aus. Wir verzeichneten, dass es im vergangenen und in diesem Jahr zahlreiche Cyberangriffe gegen Objekte und Organisationen in Russland aus dem deutschen Internet-Segment gab.

Wir wirken mit Deutschland auch beim ukrainischen Dossier zusammen. Wir haben ein gemeinsames Verständnis über die Alternativlosigkeit und Notwendigkeit der maximal umgehenden Umsetzung des Minsker Maßnahmenkomplexes. Wir riefen deutsche Kollegen erneut dazu auf, ihren Einfluss auf die Kiewer Führung zu nutzen, um sie zur schnellstmöglichen Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen im Rahmen des Minsker Prozesses zu bewegen. Wir tauschen regelmäßig Meinungen zu den weiteren Aussichten des Zusammenwirkens im Rahmen des Normandie-Formats als wichtigen Instruments, das die Tätigkeit der Kontaktgruppe fördert, wo Kiew, Donezk und Lugansk zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen, die von ihnen unterzeichnet wurden, zusammenwirken sollen, aus.

Zudem erörterten wir Fragen, die die Krisenlage im Nahen Osten und Nordafrika betreffen. Wir haben eine gemeinsame Position über die Notwendigkeit der vollständigen Erfüllung der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats zur Syrien-Regelung, die die Bestätigung der Souveränität und territorialen Integrität dieses Landes vorsieht. Wir besprachen die Fragen der Vorbereitung auf die bevorstehende (hoffentlich in diesem Monat, wenn die epidemiologische Lage das ermöglichen würde) Wiederaufnahme der Tätigkeit der redaktionellen Kommission des Verfassungsausschusses in Genf. Wir halten es für wichtig, dass seitens unserer europäischen Partner mehr Aufmerksamkeit realen Schritten zur konkreten, praxisorientierten Verbesserung der humanitären Lage in Syrien, die die Lage einfacher Staatsbürger beeinflusst, gewidmet wird.

Wir haben auch ein großes Interesse an der Regelung der Situation in Libyen. Wir bestätigen ein gemeinsames Herangehen Russlands und Deutschlands bezüglich der Notwendigkeit der politischen Lösung dieses Konfliktes auf Prinzipien, die in den Schlussdokumenten der Berliner Libyen-Konferenz dargelegt und in der Resolution des UN-Sicherheitsrats bestätigt wurden. Aktuell bleibt die Notwendigkeit der Erfüllung der Berliner Vereinbarungen in vollem Maße. Wir sind damit einverstanden. Die weitere Eskalation der Gewalt in Libyen droht mit einer ernsthaften Destabilisierung nicht nur dieses Landes, sondern auch der ganzen Nahostregion und der Region Nordafrikas. Wir gehen davon aus, dass das Endziel unserer Anstrengungen die Wiederherstellung der Souveränität, territorialen Integrität und Staatlichkeit Libyens, die wegen des Abenteuers der Nato 2011 als Verstoß gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrats grob verletzt wurde, ist.

Von anderen Themen, bei denen Russland und Deutschland aktiv kooperieren, würde ich natürlich die Situation um den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan zur Regelung des iranischen Atomprogramms nennen. Hier gibt es mehrere Ideen, die von unseren europäischen Kollegen vorgelegt werden. Russland brachte seinerseits einige Vorschläge auf, die unseres Erachtens bei der Wiederaufnahme der Kooperation aller ohne Ausnahme der Unterzeichner des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans helfen würden. Hoffentlich werden wir diese Initiativen noch ausführlicher besprechen.

Wir sind bereit, auch in anderen Richtungen der internationalen Politik, darunter das Zusammenwirken in der OSZE, Europarat und anderen Plattformen, zusammenzuarbeiten.

Ich bin Heiko Maas für seinen Besuch in Moskau dankbar. Wir stimmten den Terminplan unserer weiterer Kontakte, der ziemlich intensiv bis zum Jahresende sein soll, ab.

Frage: Im Namen der  russischen Journalisten drücken wir Dankbarkeit dafür aus, dass Sie die Situation mit der Festnahme der Journalisten in Belarus unter persönliche Kontrolle nahmen. Einige Menschen wurden freigelassen, doch Korrespondenten von Rossiya Segodnya und Meduza setzen sich nicht in Verbindung. Sie führten Telefongespräche mit dem Außenminister von Belarus, Wladimir Makej, wie sind die Ergebnisse? Wurde das Thema Belarus jetzt besprochen? Der Bundesaußenminister Heiko Maas hatte zuvor nicht ausgeschlossen, dass dieses Thema heute besprochen wird.

Sergej Lawrow: Natürlich befassen wir uns mit der Lage unserer Journalisten, unserer Staatsbürger. Der russische Botschafter in Belarus, Dmitri Mesenzew, das Außenministerium in Form der Presse- und Informationsstelle und ich haben im Gespräch mit Wladimir Makej dieses Thema angeschnitten, beharrten auf der schnellstmöglichen Freilassung unserer Journalisten. Dabei wissen wir, dass viele von jenen, die festgenommen wurden, keine Akkreditierung hatten, doch gleichzeitig wissen wir, dass sie rechtzeitig beantragt wurde, unter Einhaltung aller Regeln und Verfahren.

Die aktuelle Situation soll vor allem ausgehend aus humanen Gründen gelöst werden. Wir haben gehört, dass heute wieder Informationen über die fehlende Verbindung (es gab sie und dann verschwand) mit einigen Ihrer Kollegen auftauchten. Der Meduza-Korrespondent ist für uns von Bedeutung vor allem als Staatsbürger Russlands. Meduza ist nicht ein russisches Medium, doch als russischer Staatsbürger befindet er sich natürlich unter unserer Schutzherrschaft. Bei Kontakten mit weißrussischen Kollegen werden wir natürlich die schnellst mögliche Regelung dieser Situation anstreben.

Leider, wenn es zu Massenunruhen kommt (und es kommt dazu in vielen Ländern, darunter in der EU, wie wir vor kurzem in Frankreich mit den „Gelbwesten“ beobachten konnten) erweisen sich ihre Kollegen, die die Situation objektiv beleuchten wollen, oft in nicht guten Situationen, konfrontieren mit Gewalt, wie es mit RT-Korrespondent der Fall war. Deswegen werden wir in bilateralen Kontakten mit allen unseren Partnern, in den Ländern, wo russische Journalisten tätig sind, ein nicht diskriminierendes Verhalten zu uns anstreben. Natürlich beim Verständnis, dass alle die entsprechende Gesetzgebung einhalten sollen. Im Rahmen der internationalen Strukturen, darunter OSZE, werden wir ebenfalls ein gleichberechtigtes, gleiches Herangehen zu allen Journalisten ohne Versuche, einige Medien als „propagandistisch“ und Journalisten als „Propagandisten, die die Ziele ihres Berufs nicht widerspiegeln“ zu bezeichnen, verteidigen. Das ist sehr bedauerlich.

Das Gespräch soll nicht nur laufen, weil das in Belarus vor sich geht, sondern weil das ein gemeinsames Problem ist. Sie wissen, welches Verhalten es in Europa zu Massenunruhen gibt (Gelbwesten, vor kurzem gab es das auch in Deutschland, 2017 während der G20 demonstrierten Antiglobalisten in Hamburg und verletzten deutsche Gesetze). Wir sahen, wie die Rechtsschutzorgane, darunter Spezialeinheiten, vorgehen. Heute haben wir das Thema Belarus nicht besprochen, doch ich bin mir sicher, dass wir jetzt beim Arbeitsfrühstück Meinungen dazu austauschen können.

Frage: Im Kontext der Regelung der innenukrainischen Krise wird immer eine besondere Rolle der Sonderbeobachtermission der OSZE hervorgehoben. Wie meistern die Beobachter ihrer Meinung nach ihre Mission? Wie objektiv beleuchten sie das, was in der Ostukraine vor sich geht?

Sergej Lawrow: Wir haben heute dieses Thema angeschnitten. Wir kooperieren eng mit Deutschland im Rahmen des Normandie-Formats. Was die Sonderbeobachtermission der OSZE betrifft, unterstützen wir aktiv diesen Mechanismus, der ein eindeutiges Mandat zur Arbeit in der ganzen Ukraine, nicht nur im Donezbecken, sondern auch in anderen Regionen aus der Sicht der Beobachtung des Respektes der Rechte des Menschen, nationalen Minderheiten, der Versuche, die Neonazi-Tendenzen wiederzubeleben, hat. Leider widmet die Mission diesem Teil des Mandats nicht ausreichend Aufmerksamkeit, wir haben darauf ihren Leiter Yasar Halit Cevik  aufmerksam gemacht.

Der Aspekt ihrer Tätigkeit, der in erster Linie die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf sich zieht (ich meine die Beobachtung, wie die Minsker Abkommen im Donezbecken erfüllt werden), löst bei uns ebenfalls einige Fragen aus. So bevorzugt die Sonderbeobachtermission, über die Verstöße gegen den Waffenstillstand und Beschuss von zivilen Objekten abstrakt zu berichten – „in dieser Periode gab es so viele Male Beschuss“, es wird nicht gesagt, von welcher Seite. „Es wurden so viele Zivilisten betroffen, so viele Objekte der zivilen Infrastruktur beschädigt“. Wir beharren seit mehreren Jahren darauf, dass die Sonderbeobachtermission konkret bei ihrer Einschätzungen ist und berichtet, wer an solchem Beschuss mehr schuld ist, wer ihn beginnt und wer auf ihn antwortet. Mithilfe unserer Vertretung in der OSZE auf Grundlage der täglichen Berichte, die die Sonderbeobachtermission veröffentlicht, konnten wir eine tüchtige Arbeit machen, indem die Angaben im öffentlichen Raum analysiert wurden. Aus dieser Analyse ergibt sich ein sehr konkretes Bild – mehr als 80 Prozent des Beschusses der zivilen Objekte entfallen auf die Streitkräfte der Ukraine. Was zivile Opfer auf beiden Seiten der Kontaktlinie betrifft, sind mehr als 80 Prozent der Opfer auf der Seite der Aufständischen. Mit anderen Worten: die Streitkräfte der Ukraine tragen die größte Verantwortung für die Verletzung der Vereinbarung über den Waffenstillstand. Ich denke, dass damit alle Mitglieder der OSZE und Weltgemeinschaft im Ganzen ein objektives Bild über die Erfüllung der Minsker Abkommen haben, muss die OSZE-Sonderbeobachtermission ihre Verpflichtung erfüllen, die bereits seit einigen Jahren nicht erfüllt wird, und einen umfassenden thematischen, analytischen Bericht darüber, wer die Verletzung des Waffenstillstandes initiiert, wer vor allem zivile Objekte beschießt, auf wessen Schuld friedliche Einwohner ums Leben kommen, vorlegt. Wir haben sowohl Albanien als OSZE-Vorsitzenden als auch dem Gemeinsamen Zentrum für Kontrolle über Waffenruhe, wie auch dem OSZE-Generalsekretariat  und dem Missionschef  Yasar Cevik, der für die strikte Erfüllung ihres Mandats, für objektive Darstellung von Informationen sowie für jegliche Versuche zur Vertuschung der Wahrheit persönlich verantwortlich ist, darauf verwiesen, dass wir alle die Möglichkeit haben sollten, uns an Fakten und nicht an Fantasien zu richten.

Herr Maas erwähnte in seinen Einführungsworten den Pariser Gipfel. Wir sind voll und ganz einverstanden, dass alle von uns getroffenen Vereinbarungen erfüllt werden sollten, aber das ist lange noch nicht so. Ich stimme zu, dass von allen Seiten – von Kiew, Donezk und Lugansk – Fortschritte her müssten, aber in diesem Zusammenhang müssen wir unsere deutschen und französischen Kollegen als Teilnehmer des „Normandie-Formats“ und als Co-Autoren der Minsker Vereinbarungen auf Erklärungen aufmerksam machen, die aus Kiew zu hören sind: Der Vizepremier Alexej Resnikow, der Kiew in einer der Strukturen der Kontaktgruppe vertritt, erklärte, die Minsker Vereinbarungen wären „veraltet“, Präsident Wladimir Selenski sagte, er wolle erklärt bekommen, was diese Vereinbarungen zu bedeuten haben (man sollte ihm nämlich jede Vereinbarung „entziffern“), und der wieder zum Chefunterhändler in der Kontaktgruppe ernannte Leonid Krawtschuk  erklärte offen, Pjotr Poroschenko hätte einen Fehler gemacht, als er sie unterzeichnete. Dennoch zeigte er sich bereit, den Prozess ihrer Umsetzung weiter mitanzuführen. Da gibt es ja viele merkwürdige Dinge.

Ich bin einverstanden, dass man konkrete Schritte fördern sollte, die „vor Ort“ unternommen werden und generell positiv sind. Aber erstens kann man so etwas von einer relativ geringen Zahl der Vereinbarungen sagen, und zweitens würden wir dann „hinter diesen Bäumen den Wald nicht sehen“, und bei dem „Wahl“ geht es um die generelle Vorgehensweise Kiews bezüglich der Minsker Vereinbarungen und ihres Status. Wir rechnen in diesem Sinne sehr damit, dass Deutschland und Frankreich ihre Kollegen in Kiew doch beeinflussen und ihnen erklären können, dass es für die Arbeit in voller Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Minsker Vereinbarungen keine Alternativen gibt.

Frage: Sie erwähnten, dass die USA immer mehr mit Sanktionen gegen die Pipeline Nord Stream 2 drohen. In der vorigen Woche entstand für ein deutsches Unternehmen eine direkte Sanktionsgefahr – und es lassen sich zunehmend lauter werdende Aufrufe zu Gegensanktionen gegen die USA hören.

Erwarten Sie von Deutschland Gegensanktionen gegen die USA? Und wenn ja, dann welche?

Eine Frage an die beiden Minister: Können Sie sich vorstellen (wenn man die Verlangsamung der Bauarbeiten an Nord Stream 2 bedenkt), dass die Bauarbeiten bis Ende dieses bzw. Anfang des kommenden Jahres abgeschlossen werden?

Sergej Lawrow (antwortet nach Heiko Maas): Ich stimme Herrn Maas zu. Wir halten exterritoriale Sanktionen, wie auch einseitige Sanktionen generell, auf die leider nicht nur die USA und die EU zurückgreifen, für rechtswidrig. Die Europäische Union treibt ihre einseitigen Sanktionen voran. Allerdings hält sie sich – im Unterschied zu den USA – bei den exterritorialen Sanktionen zurück.

Die USA sehen dabei keine „roten Linien“ für sich und verfolgen ein ganz klares Ziel (ohne das irgendwie diplomatisch „auszufertigen“): Die USA wollen das Recht haben, alles zu tun, was immer sie wollen – in der Weltpolitik, in der Weltwirtschaft und in allen möglichen Bereichen der menschlichen Aktivitäten. Und das sehen wir auch: Die USA treten aus den meisten multilateralen Verträgen, aus multilateralen Organisationen, aus allen Vereinbarungen und aus allen Strukturen aus, die Washingtons Handlungsfreiheit auf diese oder jene Weise beschränken könnten. Das ist aus meiner Sicht für alle offensichtlich. Wir gehen davon aus.

Wir setzen unsere Kontakte mit den USA fort, denn der Pragmatismus verlangt immerhin, dass die Kontakte aufrechterhalten bleiben. Wir sehen sehr gut, wie Washington in der internationalen Arena vorgeht, ohne sich zu scheuen, alle möglichen Methoden zu verwenden – und das bestätigt auch die Situation um Nord Stream 2. Man erklärt offen, dass die USA um jeden Preis Nord Stream 2 stoppen werden, weil sich die USA „um die Energiesicherheit Europas kümmern“.

Falls unsere europäischen Partner bereit sind, die Lösung von Fragen ihrer Sicherheit, egal ob im energetischen oder in einem anderen Bereich, den USA zu überlassen; wenn sie, auch die Länder, deren Unternehmen an der Umsetzung des kommerziellen Projekts Nord Stream 2 teilnehmen, eben weil das den Interessen ihrer Energiesicherheit entspricht – wenn sie bereit sind, entsprechende Entscheidungen Washington zu überlassen, dann ist das ihre Sache.

Wir sehen, dass die Reaktionen in Deutschland ganz anders sind. Die Bundesrepublik hat ihre Position und bringt sie auch voran. Ich höre, was man in Washington auf höchster Ebene sagt: „Es ist ja ein Unfug! Die USA kümmern sich um die Sicherheit Deutschlands, und Deutschland zahlt Russland Milliarden!“ Das ist aber nichts als Entstellung der Fakten. Herr Maas hat eben bestätigt, dass das Nordatlantische Bündnis grundsätzlich wichtig ist für Deutschlands Sicherheit – als Verbündetenbeziehungen. Vor kurzem erklärte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, dass die Nato Deutschlands Sicherheitsgarantie sei. Wir fragten damals, gegen wen sich Deutschland prinzipiell wehren will, egal ob als Nato-Mitglied oder selbstständig. Darauf bekamen wir keine Antwort, aber das ist eigentlich Teil der Diskussion über die Prinzipien, in deren Sinne man sowohl den Dialog über Sicherheitsprobleme führen als auch das Sicherheitssystem in der Euroatlantischen Region selbst entwickeln sollte. Ich muss abermals sagen: Die Teilnehmer des Unternehmens Nord Stream 2, unter anderem die russischen, deutschen und auch die anderen Teilnehmer, sind entschlossen, das Projekt zu beenden. Soweit ich verstehe, gibt es allen Grund zu vermuten, dass dies in der nächsten Zeit auch passieren wird.

Frage: Sie sagten, vom deutschen Territorium hätte es Angriffe gegen russische Infrastrukturobjekte gegeben. Könnten Sie darüber ausführlicher erzählen?

Sergej Lawrow: Was die Computer-Angelegenheiten und die Cybersicherheit angeht, so gibt es in Russland das Nationale Koordinierungszentrum für Computerzwischenfälle. Es funktioniert schon seit längerer Zeit und hat eine ganze Reihe von Partnern, auch in Deutschland. Das russische Zentrum registrierte seit Januar des vorigen Jahres und bis Ende Mai dieses Jahres 75 Fälle, wenn russische Ressourcen, darunter mehr als 50 staatliche Einrichtungen, Hackerangriffen aus dem deutschen Segment des Internets ausgesetzt wurden. Über alle diese Fälle wurde die zuständige deutsche Struktur informiert. Von insgesamt 75 haben wir nur in sieben Fällen formelle Antworten erhalten, die aber keine richtigen Antworten auf die gestellten Fragen waren. Bei unseren Fragen ging es darum, dass jede Episode, wenn wir Hackerangriffe registrierten (unter anderem auf unsere staatlichen Ressourcen), hochprofessionell behandelt werden sollte.

Heute machten wir unsere Kollegen, unter anderem im Kontext ihrer Besorgnisse und ihres zum Ausdruck gebrachten Interesses an einem hochprofessionellen Dialog über die Regelung von Problemen im Bereich der Cybersicherheit, darauf aufmerksam, dass Ignoranz von Anfragen, die von zuständigen Profis kommen, mit den Absichten, die unsere deutschen Freunde auf der politischen Ebene äußern, kaum kompatibel ist. Wir haben ihnen entsprechende statistische Angaben bereitgestellt.

Darüber hinaus verwiesen wir darauf, dass wir mit Deutschland bilaterale zwischenbehördliche Beratungen über Cyber- und Informationssicherheit auf politischer, militärpolitischer und angewandter Ebene hatten. 2018 wurde die nächste Runde dieser Beratungen auf Initiative der deutschen Seite abgesagt. Seit dieser Zeit wollte Deutschland sie nicht wiederaufnehmen. Allerdings haben wir heute über die Aktivitäten der hochrangigen Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik (diese bilaterale Gruppe besteht und leistet eine sehr wichtige Arbeit) gesprochen und in diesem Zusammenhang die mögliche Wiederaufnahme der Arbeit an Problemen der Cybersicherheit auf diesem Weg erwähnt. Hoffentlich können wir dann von Worten zu Taten übergehen und ein hochprofessionelles Gespräch beginnen.

Was den aufsehenerregenden Mord in Tiergarten angeht, so möchten wir, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Auf die Anfragen der zuständigen deutschen Behörden haben wir unseren deutschen Kollegen alle möglichen Informationen bereitgestellt. Herr Maas sagte, diese Informationen genügen nicht. Aber auch wir wären an einer Bestätigung von Erklärungen der deutschen Staatsanwaltschaft interessiert, dass mit diesem Mord der russische Staat verbunden wäre. Vorerst haben wir keine konkrete Antwort gehört.

Frage: Der slowakische Ministerpräsident Igor Matovic sagte neulich zur Ausweisung von drei russischen Diplomaten aus seinem Land, die Slowakei und Russland seien Freunde, aber die Slowakei sei ein souveräner Staat und keine „Bananenrepublik“, wo man die diplomatischen Regeln verlachen könnte. Was halten Sie von dieser Geschichte um die Ausweisung der russischen Diplomaten?

Sergej Lawrow: Dass die Slowakei für Russland ein freundschaftliches Land ist, kann ich nur zustimmen. Wir hatten nie diplomatische Probleme.

Ich denke, es geht hier nicht um die Slowakei. Sie haben die Worte zitiert, dass die Slowakei ein souveräner Staat ist. Aber plötzlich habe ich heute gelesen, dass die offizielle Sprecherin des US-Außenministeriums, Morgan Ortagus, die Entscheidung der slowakischen Behörden zur Ausweisung der russischen Diplomaten positiv bewertet hatte. Ich denke, dass keine ausländischen Vertreter mehr diese Situation so kommentiert haben. Da können Sie selbst Ihre Schlüsse darüber ziehen, wer damit verbunden und an dieser Entscheidung der souveränen Slowakei hinsichtlich der drei russischen Diplomaten interessiert sein könnte.      

Frage (übersetzt aus dem Deutschen): Teilen Sie die Einschätzung Ihres deutschen Amtskollegen, dass es für die deutsch-russischen Beziehungen gut wäre, wenn solche Streitfragen wie die um den Mord in Tiergarten offen besprochen würden?

Können Sie im Kontext eines anderen Falles, mit dem sich die deutsche Justiz beschäftigt und dessen Spuren ebenfalls nach Russland führen, bestätigen, dass sich der frühere Wirecard-Vorstandschef Jan Marsalek in Deutschland befindet?

Sergej Lawrow: Ich kenne Herrn Jan Marsalek nicht. Wenn Sie fragen, ob er sich in Deutschland befindet, dann ist das bestimmt keine Frage an mich. Ich weiß kaum etwas über seine Aktivitäten, denn er ist kein Gegenstand von außenpolitischen Diskussionen.

Was offene Besprechung von diesen oder jenen Fragen (ob es dabei um Tiergarten oder um sonst etwas geht) angeht, so waren wir immer dazu bereit. Es passierte nicht auf unsere Initiative, als unsere westlichen (auch unsere deutschen) Partner nach 2014 gleich mehrere Diskussionsformate blockierten. Das ist allgemein bekannt. Die EU stellte beispielsweise gleich mehrere branchenbezogene Gespräche ein. Wir betrachten das quasi philosophisch: Falls unsere Partner nicht bereit sind, dann können wir sie nicht dazu zwingen.

Wir sprachen heute darüber, dass die EU ihre Politik gegenüber Russland abermals erwägen will. Wenn sie dazu bereit ist, dann muss man uns nicht zwei Mal dazu aufrufen. Wir wären zu einem gleichberechtigten, fairen und offenen Dialog über alle beiderseitig wichtige Fragen bereit, zumal es viele solche Fragen gibt. Ich kann abermals betonen: Wenn man sagt, der deutsche Generalstaatsanwalt habe von der Verbindung des russischen Staates mit dem Mord in Tiergarten erklärt, dann wollen wir eine Bestätigung gerade dieser Worte sehen. Aber es wurden eben keine Beweise vorgelegt.

Was die Anfragen angeht, so haben wir, wie Herr Maas gesagt hat, mehrere Anfragen bezüglich der rechtlichen Hilfe beantwortet. In Bezug auf einige Fragen haben wir einfach keine Informationen, wie unsere zuständigen Behörden behaupten. Was die Cybersicherheit angeht, so gab es 2018 (ich hoffe, dass der Korrespondent, der die letzte Frage gestellt hat, meine Antwort auf die vorige Frage gehört hat) einen Beratungsmechanismus über das Thema Cybersicherheit, dessen Arbeit von der deutschen Seite vor zwei Jahren eingestellt wurde. Heute haben wir vom Interesse an der Wiederaufnahme dieses Dialogs im selben oder in einem anderen Format gehört. Wir sind bereit, eine solche Möglichkeit zu besprechen. Wir sind daran interessiert, zumal wir auch in den letzten anderthalb Jahren 75 Anfragen an unsere deutschen Kollegen stellten, die mit Hackerangriffen aus dem deutschen Segment des Internets gegen russische, insbesondere staatliche, Einrichtungen verbunden waren.

Ich freue mich sehr, dass wir heute nicht nur Fragen offen besprechen, die beim Publikum großes Interesse hervorrufen, sondern auch allmählich die Notwendigkeit einsehen, entsprechende professionelle Wege für Gespräche zu haben, auf denen wir nicht im Kontext von irgendwelchen innenpolitischen Interessen dieses oder jenes Landes und nicht im Kontext von diesen oder jenen wahlbezogenen Überlegungen verhandeln könnten, sondern einfach weil wir mit Deutschland Partner und gute Freunde sind und nicht wollen, dass diese Zusammenarbeit irgendwie belastet wird. Ich bin überzeugt, dass wir durchaus imstande sind, jegliche Versuche zur Zerstörung dieses Zusammenwirkens zu unterbinden. Jedenfalls ist Russland dazu bereit.

Quelle:

Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland