Ein Vertragsbruch – aber keine Kompensationen?

Vor einer Woche kündigte Familienministerin Corinne Cahen in der Chamber an, die Regierung plane den Mechanismus über die Anpassung der Familienzulagen an die Lebenshaltungskosten zum 1. Januar 2022 wieder in Kraft zu setzen.
»Wieder in Kraft setzen« heißt, dass die Anbindung der Familienzulagen zuvor von der Regierung außer Kraft gesetzt wurde. Das geschah im Jahre 2006 unter einer CSV/LSAP-Regierung, die mit der Zustimmung des Patronats und der Gewerkschaften unter anderem beschloss, die Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung zu verzögern, die Solidaritätssteuer zu erhöhen, den Beitrag der Lohnabhängigen zur Pflegeversicherung von 1 auf 1,4 Prozent anzuheben und das Kindergeld, die Schulanfangszulage, die Entschädigung für den Elternurlaub, das Erziehungsgeld, die Geburtszulage, die Mutterschaftsentwicklung und die Erziehungspauschale zu desindexieren, was die KPL damals scharf kritisiert hatte.
Das war eine reine Austeritätsmaßnahme, die zu einem Rückgang der Kaufkraft von Zehntausenden von Familien führte.

Nach dem größten Indexklau aller Zeiten, der 2012 für drei Jahre von CSV, LSAP, DP und den Grünen beschlossen wurde, hatte die Regierung, die zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung verlor, den Gewerkschaften am 28. November 2014 in einer schriftlichen Abmachung zugesagt, die Familienzulagen wieder an die Lebenshaltungskosten und zusätzlich an die Lohnentwicklung anzupassen.

Dieser Vertrag, den die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« damals im Wortlauf veröffentlichte, wurde allerdings nicht von der Regierung eingehalten, so dass die Familienzulagen seither fast 8 Prozent und seit 2006 sogar deutlich mehr als 20 Prozent an Wert verloren haben Das ist einer von vielen Gründen, weshalb im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr Familien in die Armut stürzten.

Wenn die gleiche Regierungskoalition mehr als sechs Jahre nach der Abmachung mit den Gewerkschaften verkündet, sie sei bereit, die Familienzulagen ab 2022 wieder zu indexieren, ist das kein Grund für Freudensprünge.

Denn erstens ist vorgesehen, die Anpassung erst in einem Jahr und dann auch noch ausschließlich an den Preisindex vorzunehmen, nicht aber zusätzlich an die Lohnentwicklung, wie es im Vertrag von 2014 geheißen hatte.

Und zweitens geht keine Rede von möglichen Kompensationen für den Rückgang der Kaufkraft der Familien seit dem Vertragsbruch von 2014 und erst recht nicht seit dem Indexklau von 2006.

Jedenfalls drängt sich gerade unter den gegenwärtigen Krisenbedingungen eine sofortige Anpassung der Familienzulagen an die Lebenshaltungskosten und an die Lohnentwicklung, und die Auszahlung einer Kompensation für den Indexklau der vergangenen Jahre auf.

Um das und andere Sozial- und Krisenmaßnahmen im Interesse der Schaffenden zu finanzieren, sollte eine Coronasteuer für das Groß- und Finanzkapital und die Super-Reichen eingeführt werden, wie das die KPL fordert. Damit würde gleichzeitig eine von den Regierungen der staatstragenden Parteien gewollte historische Fehlentwicklung in Frage gestellt. Denn das Gesetz von 1947 machte immerhin noch das Kapital für die Zahlung des Kindergeldes verantwortlich.

Ali Ruckert

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Ein Vertragsbruch – aber keine Kompensationen?