Erpresser unter sich

Offiziell wollten die Regierungen in Berlin, Paris und Rom bis zum Dienstag einen gemeinsamen Besuch von Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Mario Draghi am Donnerstag in Kiew nicht bestätigen. Am Dienstag flog Macron allerdings nach Rumänien und am Mittwoch nach Moldau. Auch das Interview, das Wladimir Selenski am Montag „heute journal“-Moderator Christian Sievers gab, deutete auf eine Staatsaktion.

Der ukrainische Präsident kam darin ohne Umschweife zum zentralen Punkt eines möglichen Treffens: Scholz soll die „künftige Mitgliedschaft der Ukraine in NATO und EU“ zusichern, das Land müsse noch im Juni den Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das wird auch passieren, offen ist allerdings, mit welchem Attribut – „uneingeschränkt“ oder „potenziell“. Selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hielt das bei einem Besuch in Kiew am Samstag in der Schwebe.

Gegenüber Scholz griff Selenski im Fernsehen gleich zu moralischer Erpressung: Die Bundesrepublik habe „etwas später als einige unserer Nachbarländer“ Waffen geliefert (er nannte dabei die „Nachbarn“ USA und Großbritannien). Die Angaben der Bundesregierung vom Montag, sie habe seit dem 24. Februar für 305 Millionen Euro Rüstungsgüter an Kiew geliefert, bezweifelte er – keine gute Voraussetzung für eine Staatsvisite. Die Mischung aus Unverschämtheit und Größenwahn, mit der Kiew versucht, die BRD tiefer in den Krieg hineinzuziehen, und Berlin umgekehrt Kiew beim EU-Beitritt auf Abstand hält, charakterisiert das beiderseitige Verhältnis.

Auf welcher Tischseite allerdings bei einem Scholz-Besuch der größere Erpresser sitzt, ist entschieden. Bisher will der Kanzler keine Sonderregeln für einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine akzeptieren. Am Samstag sagte er im Kosovo auf seiner Rundreise durch fünf südosteuropäische Staaten: Das sei nicht fair gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkan, die seit 19 Jahren warteten. Seine Reise war ein Fingerzeig für Kiew: Verhaltet euch, wie wir wünschen, sonst geht es euch ebenso. Selenski hat sich wieder mal überschätzt, Scholz sitzt am längeren Finanz- und Rüstungshebel.

Quelle: Unsere Zeit