Bandera statt Gorki

Die militärische Lage in der Ukraine ähnelte um den Jahreswechsel dem von Militärexperten vorhergesagten Stellungskrieg. Kiews Truppen setzten wie seit acht Jahren den Beschuss von Wohnhäusern und ziviler Infrastruktur im Donbass fort – nun auch mit NATO-Artillerie vom Kaliber 155 Millimeter. Allein am Neujahrstag gingen auf fünf Siedlungen in der Volksrepublik Donbass nach Angaben dortiger Vertreter im „Gemeinsamen Komitee zur Untersuchung von Kriegsverbrechen“ 400 Granaten nieder. Die Truppen der Volksrepubliken Lugansk und Donezk sowie die verbündeten russischen Streitkräfte meldeten ihrerseits erhebliche Verluste der Armee Kiews an Menschen und Material.

Bei Beschuss eines Stützpunktes russischer Truppen bei Makejewka in Donezk starben in der Neujahrsnacht nach Angaben Moskaus 63 Soldaten, es gab eine große Zahl von Verletzten. Kiews Armee verwendete dabei ein US-Raketenwerfersystem vom Typ HIMARS und feierte 400 Tote. Auch die Ortung der Opfer hätte es ohne NATO wohl nicht gegeben. Die russische Nachrichtenagentur TASS zitierte einen Gesprächspartner der Vollzugsbehörden in der Volksrepublik, der erklärte, der Treffer sei „durch die aktive Nutzung von Mobiltelefonen durch die ankommenden Soldaten verursacht“ worden. Der Feind habe den Echelon-Aufklärungskomplex genutzt, um „den Standort der Teilnehmer zu ermitteln“.

Ebenfalls am Neujahrstag beging Kiew den Geburtstag des Faschistenführers Stepan Bandera (1909 – 1959) mit dem traditionellen Fackelmarsch in der Hauptstadt und zahlreichen Feiern in Städten und Dörfern der Westukraine. Tage zuvor waren in Dnipro, der viertgrößten Stadt der Ukraine, die Denkmäler für die russischen Dichter und Denker Alexander Puschkin und Maxim Gorki zerstört worden. Weitere 85 Objekte in der Stadt, die mit der sowjetischen Vergangenheit verbunden sind, sollen folgen.

Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski erklärte in einer Ansprache 2023 zum „Jahr des Sieges“. In einer auf Deutsch verfassten Twitter-Botschaft wandte er sich an Olaf Scholz: „Danke für die Zeitenwende, Herr Bundeskanzler!“

Die Antwort aus Berlin war verhalten. Der SPD-Außenpolitiker Michael Müller wurde am Montag ins ARD-Morgenmagazin geschickt, um dort die Weigerung seiner Partei zu bekräftigen, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. Er erklärte: „Es wäre eine Eskalation, die wir uns alle nicht ausmalen wollen, wenn die NATO direkt Kriegspartei werden würde gegen Russland.“ Fest stehe aber, dass Deutschland die Ukraine mit „modernsten Waffen“ unterstütze, „so lange es nötig ist“. Wichtiger Bestandteil sei dabei jedoch, „immer wieder ein Gesprächsangebot“ zu machen für ein Friedensabkommen oder zumindest einen Waffenstillstand. Müller griff dabei direkt die Koalitionspartner an: „Bedauerlich, dass Grüne und FDP das nicht verstehen.“

Der SPD-Vertreter stellte sich damit auch gegen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der hatte die Bundesrepublik und die anderen Bündnisstaaten zum Jahresende zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aufgerufen. Russlands Präsident Wladimir Putin müsse davon überzeugt werden, dass er die Kontrolle über die Ukraine nicht erreichen werde. Dann könne es eine friedliche Verhandlungslösung geben. Am Montag forderte er in einem Interview mit der britischen BBC, die Waffenproduktion im Westen zu steigern. Es sei wahrscheinlich, dass auch dieser Krieg am Verhandlungstisch enden werde, doch entscheidend für den Ausgang solcher Gespräche sei die Stärke der Ukraine auf dem Schlachtfeld.

Fazit: Kiew ist mit dem angekündigten schnellen Durchmarsch an die russische Grenze gescheitert, kann aber mit seiner Artillerie die Zivilbevölkerung im Donbass weiter terrorisieren und den russischen Streitkräften schwere Schläge versetzen. Angesichts des Stellungskrieges mehren sich im Westen Stimmen, die auf einen Waffenstillstand und einen begrenzten Krieg gegen Russland nach dem Täuschungsmodell der beiden Abkommen von Minsk setzen.

Quelle: Unsere Zeit