Über die „Sonderbehandlung“ des palästinensischen Volkes und ihre Widerspiegelung in der „Freien Presse“ Österreichs

Übernommen von Zeitung der Arbeit:

Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

75 Jahre Unrecht gegen das palästinensische Volk kann nicht Recht werden

Ende September 1939 bombardierten deutsche Truppen Warschau, das am 28. September 1939 kapitulieren musste. Von Anfang an wurden Polen und die in ein Getto eingesperrten Juden vom deutschen Militär terrorisiert. Sie galten, weil nicht den auserwählten Ariern zugehörig, als Untermenschen. Zu ersten Widerstandsaktionen in Warschau kam es im Jänner 1943, es bildeten sich kleinere bewaffnete Kampfgruppen, die sich in einem Militärverband organisierten. Der jüdische Militärverband hisste am Tag des Eindringens des deutschen Militärs in das Getto am 19. April 1943 auf den eigenen Stellungen eine Fahne mit dem Davidstern und eine polnische Flagge. Der Widerstandskampf von Polen und Juden in den Häusern, Bunkern und Tunnels war aussichtslos, am 16. Mai 1943 war für das deutsche Militär die Aktion gegen die Widerstandskämpfer abgeschlossen. Fotografien des polnischen und jüdischen Freiheitskampfes in Warschau sind erhalten geblieben, z. B. wie Ordnungsdienste Schubkarren voller Kinderleichen transportieren, Leichen der Zivilisten auf den Straßen liegen oder Familiengruppen, Frauen und Kinder, mit erhobenen Armen durch Straßen gehen. Die deutsche Vernichtungspolitik in Polen erfolgte nach den Richtlinien für „Sonderaufgaben“ des deutschen Militärs.[2]

In nichts unterscheiden sich die aus Gaza und dem Gazastreifen übermittelten Bilder von getöteten oder in den Ruinen weinenden, ausgemergelten Kindern von den erhalten gebliebenen Bildern der Bestialitäten der deutschen Wehrmacht in Stadt und Gebiet Charkow (1942/1943), über die der altösterreichische Jude Leo Stern (1901–1982) in Wien 1945 eine Dokumentation herausgegeben hat, weil niemand vergessen solle, “dass unser österreichisches Volk nicht frei von Mitschuld ist an den grausamen Mordtaten, die auf deutsches Kommando an der sowjetischen Zivilbevölkerung verübt wurden“. Ein Fotobild dokumentiert das Charkower Lazarett, nachdem es von der deutschen Wehrmacht in Brand gesetzt worden war.[3] Die österreichische Ärztin Diyani Dewasurendra war für die Organisation Ärzte ohne Grenzen in Gaza im Einsatz und berichtet im Morgenjournal des ORF am 11. November d. J.: „Wir haben Kollegen verloren. Wir mussten mitkriegen, dass Kollegen ihre Kinder und ihre Familie aus dem Schutt herausziehen mussten. (…) Wir sind in Sicherheit, aber unsere Mitarbeiter sind es nicht, unsere Ärzte und Chirurgen sind es nicht, unsere Krankenschwestern sind es nicht und unsere Patienten sind es schon lange nicht mehr. Verbrennungen müssen mit Essig versorgt werden und Kinder, die Schmerzen haben, können nicht mehr genug Medikamente erhalten und unser medizinisches Team ist schwerst erschöpft.“

Die ungezählten Massaker der Militärmacht der deutschen Okkupanten gegen Kinder und Halbwüchsige im Osten werden heute in Deutschland als „aufgearbeitete Vergangenheit“ abgetan. In Wirklichkeit forciert Deutschland im Interesse der das Land beherrschenden Reichen und der Rüstungsindustrie weltweite Interventionen. Vom 24. März bis 24. April 1999 bombardierte Deutschland im Rahmen der NATO wie schon am 6. April 1941 ohne vorhergehende Kriegserklärung Belgrad. Währender der Besetzung Serbiens gehörten Massenerschießungen und Deportationen zum Alltag der deutschen Okkupanten. Vergessen in Deutschland, aber unvergessen in Serbien ist die Erschießung von 400 Gymnasiasten am 21. Oktober 1941 in Kragujevac.[4] Jetzt unterstützt Deutschland die israelischen Truppen bei ihrem Vernichtungsfeldzug gegen das palästinensische Volk.

1975 (!) wurde erstmals ein Gespräch zwischen dem Buddhisten Thich Nhat Hahnh (1926–2022) und dem Befreiungstheologen Daniel Berrigan SJ (1921–2016) veröffentlicht.[5] Beide waren Aktivisten gegen den US-Völkermord in Vietnam und nehmen in ihrem Gespräch auf Israel und Palästina Bezug. Erinnert sei an Mỹ Lai (1968), wo die US-Amerikaner eines ihrer ungezählten Kriegsverbrechen gegen friedliebende Zivilisten begangen haben. Palästinenserführer haben Berrigan SJ ihre Sicht auf ihre Gewaltaktionen gegen Israel so erklärt: „Als wir diese Dinge noch nicht getan hatten, hat kein Mensch von uns gehört. Wir existierten nicht. Dann griffen wir einen Schulbus an oder entführten ein Flugzeug oder nahmen Geiseln. Jetzt nimmt uns die Welt zur Kenntnis. Jetzt weiß die Welt, dass wir existieren. Ansonsten hätten wir in den Flüchtlingslagern ewig so weitergemacht, versteht ihr“. Berrigan SJ sagte zu sich selbst: „Das ist eine entsetzliche Wahrheit. Ich hatte, bevor diese Dinge passierten, noch nie von den Palästinensern gehört“.[6] Für Berrigan SJ ist die Tatsache unerträglich, „dass Israel faktisch erklärte, die Kinder der Palästinenser seien nichts wert“.[7] Sowohl Nhat Hanh wie Berrigan SJ bedauern zutiefst, welche Rolle die Propaganda in dieser Gewaltspirale spielt und die vom System integrierten Intellektuelle zu Dienern der Gewalt werden.

Am 7. Oktober d J. erfolgte der zu erwartende Ausbruch der Hamas aus dem von der israelischen Militärmacht als Riesengetto mit Stacheldraht umzäunten Gazastreifen, der zivile Opfer in Kauf genommen hat. Die Hamas hat 2006 in freien Wahlen die parlamentarische Mehrheit im Gaza-Streifen errungen. Israels Eliten und seine Militärs nehmen den 7. Oktober d. J. zum Anlass, um von einer zweiten Shoa zu sprechen und damit den von ihnen vorbereiteten Genozid am palästinensischen Volk zu rechtfertigen. Seit Jahren versteht es der israelische Staatsapparat, die herrschende Politik, die Führungsmedien und eine Überzahl von Intellektuellen in Österreich für die Rechtfertigung der Bombardements auf palästinensische Frauen und Kinder einzubinden, die schon bis dahin durch die Blockade Israels an Unterernährung zu leiden hatten. Die USA unterstützt diesen Völkermord, hat doch einer ihrer von Österreich hofierten Repräsentanten Henry Kissinger (*1923) einen unverhohlenen Aufruf zum Völkermord in Vietnam so gegeben. Bomben seien zu werfen: “Alles, was fliegt, auf alles, was sich bewegt“.[8]

Die Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung gibt die Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) heraus und hat dort das Heft 05/2022 den „Einsätzen der israelischen Armee in Gaza“ gewidmet. Der Artikel „Einsätze der Israel Defense Force (IDF) in Gaza“ ist von zwei Bundesheeroffizieren bearbeitet. „Grund für die Zweite Intifada (2000 bis 2005) waren“, so stellt der Artikel fest, „die immer schlechter werdenden Lebensbedingungen in Gaza sowie der Zuzug von rund 100.000 israelischen Siedlern in das Westjordanland und den Gazastreifen, was eine Verdoppelung der dort ansässigen Siedlungen bedeutete“. Jeden Tag fanden und finden in Gaza neue Verbrechen statt. Besonders kennzeichnend ist, dass Israel humanitäre Hilfsaktionen für die palästinensische Bevölkerung kriminalisiert. Am 31. Mai 2010 wurde eine Hilfsflottille auf dem Weg nach Gaza von den israelischen Militärs unter Verletzung der Menschenrechte abgefangen.[9] Der US-amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky (*1928), der die palästinensische und israelische Presse liest, stößt immer wieder auf Berichte, wie israelische Siedler und die israelische Armee tagtäglich wirtschaftliche Grundlagen von Dörfern vernichten und Wohnhäuser vernichten und so fort.[10]

Die Zweite Intifada war trotz gezielter, von den österreichischen Offizieren als „chirurgische Eingriffe“ verharmloste Tötungsaktionen israelischer Militärs von Befreiungskämpfern möglich, die über ein komplexes Netzwerk identifiziert wurden. In der ÖMZ wird festgestellt, dass Israel versuche, durch den direkten Ansatz der gezielten Tötung von Einzelpersonen „einen möglichst großen Wissensverlust aufseiten der Hamas zu kreieren.“[11] Zu Beginn der Zweiten Intifada ermordete die israelische Armee am 31. Dezember 2000 den palästinensischen Friedensaktivisten Dr. Thabet Thabet (1950–2000). Ihm widmet in der christlichen Zeitschrift Concilium der in einem Kibbuz aufgewachsene Sergio Nicolás Yahni einen Artikel, der religiöse Wege mit seinen notwendigen Etappen zum Frieden zwischen Palästina und Israel aufzeigt. Er stellt fest, dass die politische Ausdrucksform des Staates Israel die „zionistische Kolonisierungsbewegung“ ist und der nationale Befreiungskampf der Palästinenser nicht über die Resolutionen der UNO hinausgeht. Diese Resolutionen beinhalten das Recht der Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und den Rückzug der israelischen Truppen aus der Westbank und dem Gazastreifen.[12]

Von der „Haltung“ der Tageszeitung „Der Standard“ und der ÖMZ

Die israelische Operation gegen die sich unter der Hamas sammelnden Befreiungskämpfer im Gazastreifen zum Jahreswechsel 2008 /2009 (27. Dezember bis 21. Jänner) begann mit eine Woche dauernden „reinen Luftkampagne“. „Politisch war die Bodenoffensive“, so resümiert die gut informierte Bundesheerzeitung ÖMZ, „– aufgrund der zu erwartenden negativen Berichterstattung durch Kollateralschäden mit zehn Tagen limitiert“. Im Sprachgebrauch des österreichischen Bundesheeres sind unter „Kollateralschäden“ die schreienden und in den niedergebombten Häusern begrabenen Kinder gemeint. Im Kontext wird festgestellt, dass es darauf ankomme, die „Deutungshoheit“ über die Geschehnisse zu erringen. Israel bereite sich intensiv darauf vor. „Zukünftige Konflikte müssen daher“, so der Artikel, „bereits vor Operationsbeginn ein entsprechendes Narrativ aufbauen“. Dass der Staat Israel der palästinensischen Befreiungsbewegung bei all ihrer Kreativität in dieser Frage weit überlegen ist, wird nicht zu bezweifeln sein. Die ÖMZ publiziert in ihren Heften eine „Internationalen Rundschau“, darunter ein Kapitel „Naher und Mittlerer Osten“, in denen ein Abschnitt Israel unter Einbeziehung des nicht separat ausgewiesenen Palästinas betrifft, gelegentlich Meldungen, die in der österreichischen Presse so nicht veröffentlicht werden. In Heft 03/2023 wird lapidar gemeldet: „Mitte Jänner [2023] töteten israelische Soldaten bei einer Operation im Flüchtlingslager Dschenin zwei Palästinenser. Das Vorgehen Tel Avivs provozierte eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen und heizte das gespannte Verhältnis weiter an. Später, im gleichen Monat starben weitere neun Personen in Dschenin. In Ramallah und Nablus wurden umgehend Generalstreiks ausgerufen. […] Ende Jänner [2023] startete die größte israelisch-amerikanische Militärübung. […] Mehr als 6.400 US- und 1.500 israelische Soldaten verbesserten die Interoperabilität zwischen beiden Armeen“.[13] Heft 06/2023, das noch vor Ausbruch des israelischen Einmarsches im Gazastreifen publiziert wurde, wird unter der Rubrik „Israel“ referiert: „Mitte Juli [2023] traf der israelische Präsident Isaak Herzog US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Hauptgesprächsthema waren die israelische Siedlungspolitik – gemäß UNO und den meisten westlichen Staaten völkerrechtswidrig – und die amerikanische Besorgnis über Netanjahus Justizreform. Mitte August [2023] sicherte sich Israels Rüstungsindustrie den größten Exportvertrag. Nach Zustimmung durch Washington (aufgrund der gemeinsamen Entwicklung) wird Israel das moderne Flugabwehrsystem Arrow 3 im Wert von 3,5 Mrd USD an Deutschland liefern. […] Netanjahu nannte das Geschäft >historisch<“.[14]

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant gab am 9. Oktober d. J. bekannt, dass er eine „komplette Belagerung“ des Gazastreifens angeordnet hat. „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere“, sagte der von den Israelis auserwählte Heerführer.[15] Nicht wortwörtlich, aber sinngemäß berichten die Mainstream-Medien in Österreich sowie in anderen westlichen Ländern, dass es für die Zukunft Israels notwendig und an der Zeit ist, Palästina endgültig auszulöschen. Völkermord an den Palästinensern wird als Rettung der Freiheit Israels ausgegeben. Karl Kraus (1874–1936) hat die Parteinahme der „Freien Presse“ als „schwarze Magie“ bezeichnet, aus Druckerschwärze werde Blut. Wenn es einmal einen Völkerrechtsprozess wegen der israelischen Verbrechen am palästinensischen Volk geben sollte, dann werden diese journalistischen Helfershelfer als Mitschuldige auf der Anklagebank sitzen müssen. Diese Presse lässt sich nicht zuletzt mit rührseligen Kommentaren von österreichischen Israelis füttern, die in Tel Aviv oder Haifa ihr Luxusleben konsumiert haben, ohne von den wenigen Kilometern entfernten Konzentrationslager Gaza jemals gestört worden zu sein. Die Tageszeitung „Der Standard“ schätzt sich selbst als Elitemedium ein und bewirbt seine kleinbürgerlich städtische Klientel mit der Losung „Haltung“. Zu dieser Haltung gehört, das österreichische Volk ungeniert über die Ereignisse in Gaza und Israel pausenlos zu täuschen. Der langjährige Kommentator des „Der Standard“ und Autor des vom Verein Arbeitsgemeinschaft jüdisches Form herausgegebenen Jüdischen Magazins NU Eric Frey hat im „Der Standard“ am 7. November d. J. dem in Wien residierenden Vertreter des Staates Palästina in Österreich und ständigen Beobachter des Staates Palästina bei der UN und den internationalen Organisationen Salah Abdel Shafi vorgehalten, er würde die „Macht der Hamas“ repräsentieren.[16] Der Artikel von Eric Frey will sinngemäß, dass die mit der rechtsradikalen israelischen Regierung von Netanjahu kollaborierende österreichische Rechtsregierung mit ihrem Kanzler Karl Nehammer die palästinensischen Botschaft in Wien schließt. Botschafter Salah Abdel Shafi hat Eric Frey aus Wien am 11. November d. J. geantwortet:

„Sehr geehrter Herr Eric Frey, als österreichischer Journalist, der über den Nahen Osten und damit auch über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichtet, waren Sie für mich aufgrund Ihrer relativ sichtbaren Objektivität immer eine Ausnahme, sodass ich Ihre Analysen und Kommentare mit großem Interesse gelesen habe. Doch die Bewahrung Ihrer journalistischen Objektivität und die Bewahrung des ethischen Journalismus sind bedauerlicherweise mit Ihrem Kommentar „Das Schweigen des palästinensischen Botschafters beweist die Macht der Hamas“ verloren gegangen. Der einzige Wahrheitsgehalt Ihres Kommentars ist die Beschreibung meiner Person. In der Tat, ich bin kein Radikaler, ich bin kein Islamist. Ich bin Mitglied der PLO, die als Dachorganisation das Existenzrecht Israels anerkannt hat und trotz tausender Rückschläge weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Grenzen von 1967 predigt. Umso undurchsichtiger ist Ihr Vorwurf, dass ich es abgelehnt habe, das, was Sie das „Hamas-Massaker“ nennen, zu verurteilen und mich von der „Terrororganisation“ zu distanzieren. Ich habe immer wieder betont, dass Angriffe auf Zivilistinnen und Zivilisten, die auch hinsichtlich der tragischen Ereignisse vom 7.Oktober erfolgten, durch nichts zu rechtfertigen sind und wir für die bedingungslose Freilassung aller zivilen Geiseln eintreten. Sie stellen einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Alle diejenigen, die Verbrechen gegen das Völkerrecht begehen, müssen gemäß dem Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus haben wir bzw. ich öffentlich dazu aufgefordert, dass eine internationale Untersuchungskommission darüber urteilen soll, wer Kriegsverbrechen begangen hat. Weder Sie noch ich entscheiden, welche Seite Völkerrechtsbruch begangen hat. Diese Aussagen haben Sie bewusst ausgeblendet. Die Tatsache, dass Sie die Hamas als Terrororganisation betrachten heißt nicht, dass die ganze Welt ihrem Urteil folgt. Denn weder Sie noch die Europäische Union sind Maßstab für das Völkerrecht, sondern sie sind Maßstab einer Doppelmoral. Für mich ist Israel ein Terrorstaat. Dass Sie diese Meinung nicht teilen, gibt mir nicht das Recht, Sie zu diffamieren.

Objektiver Journalismus heißt auch, das Kind beim Namen zu nennen, aber dem geschieht nicht so.

Herr Frey, warum bezeichnen Sie den israelischen Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben- Gvir, nicht als Terroristen, obwohl er bereits 2007 von einem israelischen Gericht wegen Aufhetzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde? Warum nennen Sie nicht den israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich einen Terroristen? Er forderte Siedler auf, ganze palästinensische Dörfer mitsamt ihren BewohnerInnen zu verbrennen. Ihrerseits gab es gleichfalls keinen Kommentar zum israelischen Minister für Jerusalemer Angelegenheiten und Altertümer, Ämichai Eliayahu, der am 5. November gefordert hat, eine Atombombe auf Gaza zu werfen.

Wäre diese Berichterstattung schädlich für die Karriere, fehlt es an Mut? Vertretung des Staates Palästina und ständige Vertretung bei den Internationalen Organisationen in Wien.

An dieser Stelle möchte ich erneut an den objektiven und ethischen Journalismus erinnern: haben Sie jemals recherchiert, wie viele palästinensische Minderjährige in israelischen Gefängnissen gefangen gehalten werden? Ist Ihnen bewusst, dass in den letzten 30 Tagen täglich rund 200 Kinder im Gaza-Streifen getötet wurden oder sind das für Sie Kollateralschäden? Herr Frey, ich bin in Gaza geboren und aufgewachsen. Ich bin immer ohne Angst nach Gaza gereist – auch nachdem die Hamas die Macht an sich gerissen hat. Meine österreichischen Freundinnen und Freunde, die ich in den letzten Jahren hier gewonnen habe, wissen auch, dass ich eine Person bin, die frei und ungebunden ihre Meinung kundtut. Umso verwerflicher ist Ihr Versuch, meine Position als Ausdruck meiner Angst darzustellen, da es im Umkehrschluss ein Ausdruck Ihres eigenen Scheiterns ist, eine objektive journalistische Arbeit vorzuweisen. Ich habe nur Angst vor der israelischen Besatzung, denn die israelischen Besatzungstruppen haben meine Stadt Gaza und das Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, zerstört. Nehmen Sie meine Einladung zu einem persönlichen Gespräch an und diskutieren Sie mit mir auf sachlicher Ebene über das Wertesystem, über Doppelmoral und objektive Berichterstattung.

Hochachtungsvoll Salah Abdel Shafi“

Gibt es einen Weg zum Frieden?           

Botschafter Salah Abdel Shafi erinnert an die immer noch mögliche Zweistaatenlösung. An seinem bescheidenen Botschaftsgebäude ist jene weiß-grün-schwarze Palästinaflagge gehisst, die vom palästinensischen Volk in Gaza 1948 wieder aufgenommen und von der Arabischen Liga als Flagge des palästinensischen Volkes anerkannt wurde. Diese Flagge wurde auch von der PLO auf der Palästinenserkonferenz in Jerusalem 1964 gebilligt. Der derzeitige israelische Innenminister Bezalel Smotrich bestreitet die Existenz eines palästinensischen Volkes.[17] Präsident Jizcka Herzog will eine Art „Reichsprotektorat“ über Gaza unter israelischer Herrschaft errichten. Immer wieder tritt der vom europäischen Staatsklerikalismus als Ketzer denunzierte Papst Franziskus (*1936) für die Zweistaatenlösung ein. Zwei Völker, zwei Staaten – das sei die einzige Lösung für eine friedliche Zukunft. Seine Aussendung über Vatican News wird mit dem Feuer in den Ruinen eines von israelischen Raketen getroffenen und eingestürzten Hauses in Gaza City illustriert.[18] Falls im zionistischen Staat Israel für seine Juden die prophetische Religion noch irgendeine Rolle spielen sollte, seien diese an die Worte des dritten der großen Schriftpropheten Ezechiel erinnert, der von den Frevlern Umkehr (Teschuwa), Reue und gute Taten als Sühne einfordert.[19]      


[1] Mahmood Hama Tschawisch: Die kurdische Exilliteratur in Deutschland von den 70er Jahren bis heute. Tectum Verlag Marburg 1996, S. 134  

[2] Czesław Pilichowski: Es gibt keine Verjährung. Verlag Interpress Warszawa 1980; Elisabeth Freundlich: Die Ermordung einer Stadt namens Stanislau. NS-Vernichtungspolitik in Polen 1939–1945. Österreichisicher Bundesverlag Wien 1986; Wolfgang Scheffler / Helge Grabitz: Der Ghetto-Aufstand Warschau 1943 aus der Sicht der Täter und Opfer in Aussagen vor deutschen Gerichten. Ein Siedler Buch bei Goldmann. Goldmann Verlag München 1993.

[3] Deutsche Greuel in Russland. Gerichtstag in Charkow. Stern-Verlag Wien 1945; über Leo Stern s. Gerhard Oberkofler / Manfred Stern: Leo (Jonas Leib) Stern. Ein Leben für Solidarität, Freiheit und Frieden. StudienVerlag Innsbruck 2019.

[4] NATO Crimes in Yugoslavia. Documentary Evidence 14 March – 24 April 1999. Belgrade May 1999; Zoran Konstantinović: Deutsch-serbische Begegnungen. Überlegungen zur Geschichte der gegenseitigen Beziehungen zweier Völker. Edition Neue Wege Berlin 1997; Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo (Hrsg.). Fotos: Gabriele Senft. Schrift des Internationalen Vorbereitungskomitees für ein Europäisches Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslaien. Schkeuditzer Buchverlag. Schkeuditz 2000.   

[5] Thich Nhat Hanh / Daniel Berrigan: Das Boot ist nicht das Ufer. Gespräch über buddhistisch-christliches Bewusstsein. Aus dem Amerikanischen von Susanne Kahn-Ackermann. Arkana Goldmann München 2001.

[6] Nhat Hahn / Berrigan, S. 69 f.

[7] Ebenda, S. 64.

[8] Noam Chomsky: Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik. Aus dem Amerikanischen von Karlheinz Dürr, Norbert Juraschitz und Hainer Kober. Ullstein Verlag Berlin 2016, S. 94. 

[9] Vgl. UN-Menschenrechtsrat: Bericht der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über den israelischen Angriff auf die Gaza-Hilfsflottille. Mit Vorworten von Henning Mankell, Norman Paech, Annette Groth und Inge Höger sowie einem völkerrechtlichen Gutachten von Prof. Dr. Norman Paech. Melzer Verlag Neu Isenburg 2011.

[10] Z. B. Noam Chomsyk & Andre Vitchek: Der Terrorismus der westlichen Welt. Von Hiroshima bis zu den Drohnenkriegen. Unrast Verlag Münster 2014, öfters, hier S. 130.  

[11] ÖMZ 05/2022, S. 573.

[12] Sergio Nicolás Yahni: Krieg und Wege zum Frieden im palästinensisch-israelischen Konflikt. Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie. 40. Jg., Heft 5, S. 605–614. 

[13] ÖMZ 03/2023, S. 393.

[14] ÖMZ 06/2023, S. 827.

[15] Z. B. Süddeutsche Zeitung vom 13. Oktober 2023.

[16]  https://www.derstandard.at/story/3000000194176/das-schweigen-des-palaestinensischen-botschafters-beweist-die-macht-der-hamas

[17] Zuletzt gemeldet von Die Presse vom 15. 11. 2023.

[18] Vatikan: Nein zur Eskalation im Nahen Osten – Vatican News

[19] Ez 18 und 21–30. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH Stuttgart 12. A. 2015, S. 958. 

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Quelle: Zeitung der Arbeit