Aus der Ohnmacht heraus
Übernommen von Unsere Zeit:

Krisenzeiten sind für Marxisten immer ein Anlass gewesen, sich ihrer Grundlagen neu und vertieft zu versichern. Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg begann und die II. Internationale sich im Jubel der Vaterlandsverteidigung selbst abschaffte, zog sich auch W. I. Lenin zunächst in die Theorie zurück. Im Schweizer Exil widmete sich der Revolutionär besonders der Philosophie Hegels. Zu den zahlreichen Werken, die er innerhalb von weniger als einem Jahr studierte, zählten auch Hegels Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. Lesen konnte er dort Sätze wie diese: „Der Mut der Wahrheit, der Glaube an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung der Philosophie. Der Mensch, da er Geist ist, darf und soll sich selbst des Höchsten würdig achten, von der Größe und Macht seines Geistes kann er nicht groß genug denken.“
Das klingt zunächst typisch idealistisch – und tatsächlich erlebt das Denken oftmals eher seine Ohnmacht, gerade in gesellschaftlichen Notlagen. Dennoch muss, wer praktisch wirksam werden will, ein entsprechendes Weltverständnis entwickeln – der Pfad zur erfolgreichen Praxis führt nur über die Theorie. Hans Heinz Holz hat sich daher immer wieder nicht nur der Philosophie im Allgemeinen, sondern auch der politischen Philosophie im Besonderen gewidmet. Sein Fokus lag dabei auf der klassischen deutschen Philosophie von Leibniz über Kant bis zu Hegel, die er ganz im Sinne Lenins als eine der drei entscheidenden Quellen des Marxismus angesehen hat.
Dementsprechend widmet sich die Gesellschaft für dialektische Philosophie auf ihrer diesjährigen Hans-Heinz-Holz-Tagung der politischen Philosophie im Deutschen Idealismus und ihrer Transformation im dialektischen Materialismus. Die Tagung findet am Samstag, 1. März 2025, ab 10 Uhr in der Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen statt. Eröffnet wird sie bereits am Vorabend um 19 Uhr mit einem Kulturprogramm: Misa Harz und der Schriftsteller und UZ-Autor Ken Merten lesen und besprechen Ronald M. Schernikaus „die tage in l.“.
Die eigentliche Konferenz widmet sich dann der „Macht des Gedankens“. Hinter das Motto darf man getrost ein Fragezeichen setzen, denn welche Macht das Denken genau hat, wie es über Politik denkt und wie es selbst politisch werden kann – das eben soll erörtert werden. Welche Rolle der Philosophie des Deutschen Idealismus dabei auch zukommen mag: Nicht bestreiten lässt sich die politische Relevanz dieser Auseinandersetzung, die gerade im Januar wieder augenfällig wurde. So berief sich die AfD-Vorsitzende Alice Weidel in einem Interview mit der US-Zeitschrift „The American Conservative“ auf Johann Gottlieb Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ als einen Vorläufer eines völkischen Nationalismus – die Reaktion hat ihre Klassiker parat. Für Marxisten Anlass genug, um zu schauen, wo im Deutschen Idealismus die Grenze zwischen Rückschrittlichem und Progressivem verläuft.
In diesem Sinne beginnt die Tagung, obwohl ihr Schwerpunkt auf Hegel und Holz liegt, mit einer Auseinandersetzung mit Fichte. Jean Quétier, einer der wichtigsten Intellektuellen der französischen PCF, wird über „Die Umsetzung des revolutionären Aktivismus in den Deutschen Idealismus: Fichte im ‚Jungen Hegel‘ von Georg Lukács“ sprechen.
Im Anschluss referiert Mesut Bayraktar, Schriftsteller und Redakteur der „Aufhebung“ – des Jahrbuchs der Gesellschaft für dialektische Philosophie – über „Hegel und die Holzdiebe. Zur Kritik der ‚Rechtsphilosophie‘“ und knüpft dabei an sein Buch „Der Pöbel und die Freiheit: Eine Untersuchung zur Philosophie des Rechts von G. W. F. Hegel“ an, das 2021 bei PapyRossa erschien.
Von dem Juristen, Autor und Hobbes-Experten Alfred Noll, der wahrscheinlich nicht aus Wien wird anreisen können, wird ein Beitrag zum „rechtsphilosophischen Denkansatz von Hans Heinz Holz“ vorgelesen. Im dritten Beitrag des Tages spricht Marcus Döller, Doktorand an der Universität Erfurt, zum Thema „Was heißt es, dialektisch-materialistisch zu denken? – Hegels geheimer Materialismus im Lichte der materialistischen Lektüre Hegels von Hans Heinz Holz“.
Thematische Abwechslung bringt Svenja Hauerstein, freie Lektorin und Redakteurin des Literaturkollektivs „nous – konfrontative Literatur“, mit ihrem Vortrag „Annäherung an die Sprachphilosophie bei Holz. Eine linguistische Einordnung“, bevor Julian Lämmrich den Bogen zur politischen Praxis schlägt und die Beteiligung von Holz an der Diskussion über das Parteiprogramm der DKP von 1990 bis 2006 bespricht. Durch die Reflexionen, wie ein Philosoph sich in Partei- und Strategiefragen verhält, und die abschließende Diskussion mögen sich Anknüpfungspunkte ergeben, wie man aus der Ohnmacht – des Gedanken wie der Tat – herauskommt.
Quelle: Unsere Zeit