11. Juni 2025

11. Juni 2025
KlassenkampfZLV

Gewerkschaftsfahnen statt weißer Laken

Übernommen von Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek:

Während sich die Regierungen in der EU ein Rennen zu liefern scheinen, wer seinen Einwohnern die Lebensarbeitszeit am kräftigsten erhöht und somit die Rente kürzt, kommen aus Deutschland, wo Kanzler Friedrich Merz deutlich machte, es müsse »für den Wohlstand dieses Landes« mehr gearbeitet werden und »work-life-balance« dabei nur schädlich sei, die Neuigkeiten, daß neben der IG Metall auch die Ver.di ihren Kampf um sozialen Fortschritt angesichts der »angespannten wirtschaftlichen Situation« auf Eis legt.

Mitten in der Debatte um mehr und länger arbeiten sowie Schleifungen des Sozialstaates in immer mehr Ländern der Union, werden also von den Salariatsvertretern die weißen Laken aus dem Fenster gehängt. Ein fatales Zeichen, denn die alleinige Verteidigung des Status Quo wird nicht mehr ausreichen, und für die Wirtschaft ist jeder Zeitpunkt ein schlechter Zeitpunkt, um Wohlstand auch nur im Ansatz gerechter zu verteilen. Stattdessen wird sogar der Acht-Stunden-Tag bei unseren Nachbarn laut infrage gestellt. All diesen Vorhaben hat die Masse der Lohnabhängigen nun kaum etwas entgegenzusetzen. Klar: Die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich hat keinen direkten Bezug zur aktuellen Lage, doch reicht die Symbolik des Rückzuges aus, um ein deutliches Signal zu senden.

Die von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte wöchentliche Höchstarbeitszeit anstelle eines Acht-Stunden-Tages ist vor allem deshalb skandalös, weil es von den Sozialdemokraten mitgetragen wird. Ähnlich wie die PAN-Gesetzgebung in Luxemburg, in deren Rahmen sich eine Referenzperiode üblicherweise auf einen Monat bezieht, im Bankensektor sogar auf bis zu vier Monate, ein Werkzeug zu Ungunsten der Lohnabhängigen und im Falle einer Umsetzung in Deutschland ein weiterer sozialer Rückschritt.

Hierzulande beobachten Regierung und Wirtschaftsbosse mit feuchten Händen, was anderswo so alles ausgedacht und durchgeboxt wird. Wohl wissend, daß diesem Klassenkampf von oben dort überall bröckelnde Barrikaden entgegenstehen.

Allerdings haben die antisozialen Umtriebe der konservativ-liberalen Regierung in ihrer Heftigkeit und Dreistigkeit tatsächlich mittlerweile auch eher beschauliche Gemüter erzürnt. Menschen, denen Politik bisher fern war, hört man nun über den geplanten Rentenklau und die anderen Angriffe auf Arbeitsbedingungen und Sozialstaat diskutieren. Häufig immer noch mit der wenig hilfreichen Gegenüberstellung von »schwerer Arbeit« und »weniger schwerer Arbeit«, anstelle einer Diskussion um die generelle Umverteilung des geschaffenen Wohlstands von unten nach oben, aber immerhin.

Der letzte Tropfen war rezent die Forderung des Patronats nach einer Aushöhlung der exklusiven gewerkschaftlichen Befugnisse bei kollektivvertraglichen Verhandlungen.

Es braut sich was zusammen, EU-weit und auch im Ländchen. Die für den kommenden 28. Juni angekündigte Großdemonstrationen, für die sogar LCGB und OGBL einen Schulterschluß erreicht haben, der ein wichtiges Signal in Richtung Regierung ist, daß der Dienst an der Sache über allem steht, dürfte ein Richtungsweiser werden, wie es hierzulande um den Widerstand der Lohnabhängigen im Ernstfall bestellt ist. Diese Demonstration muß massiv und groß werden, auch im Sinne der Jugend, die noch mehr leiden wird, als alle anderen unter diesen Regierungsvorhaben. Eine Herkulesaufgabe in einem Land wie Luxemburg mit einer so stark fragmentierten Gesellschaft. Ganz besonders darf im Anschluß nicht nachgelassen werden. Es wäre ein fatales Signal für die Gewerkschaftsbewegung, denn genug »heiße Herbste«, die deutlich zu kühl ausfielen, haben bereits in der Vergangenheit viel Resignation hinterlassen.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek