Vor 60 Jahren: Westdeutsche Jagd auf linke Sozialdemokraten

Von Wolfgang Runge

Am heutigen Freitag jährt sich zum 60. Mal die Massenfestnahme von Mitgliedern der »Sozialistischen Aktion«, einem Zusammenschluss linker Sozialdemokraten und Sozialisten. Dazu hat uns Wolfgang Runge aus Hamburg, der zu den Betroffenen der Razzia gehörte, nachstehenden Aufsatz aus seinen Erinnerungen »Verfolgt – Verboten – Verschwiegen. Zur Geschichte der Sozialistischen Aktion (SDA) 1949 bis 1955« übersandt.

Vom 15.Oktober 1949 bis zu ihrer Selbstauflösung 1955 wirkte in der Alt-BRD eine Organisation von linken Sozialdemokraten und Sozialisten, die zum großen Teil noch in der SPD waren, z.T. aber auch schon durch den von Rechtssozialdemokraten beherrschten Apparat ausgeschlossen worden waren. Sie kann aus historischer Sich mit Fug und Recht als die zur damaligen Zeit größte Organisation von Linkssozialisten bezeichnet werden. Ihr Name war »Sozialdemokratische Aktion« (SDA), bis der SPD-Parteivorstand der SDA durch das Frankfurter Landgericht die Führung des Namens »sozialdemokratisch« untersagen ließ. Daraufhin nannte sich die Organisation »Sozialistische Aktion«. Sie gab eine Wochenzeitung »Unsere Aktion« heraus, die nach der Absplitterung einer von der USA finanzierten Gruppe dann »Sozialistische Aktion« hieß, sowie das Theorieorgan »Sozialistisches Forum« und die Jugendzeitschrift »Der junge Sozialist«.

 

Die SDA war eine Sammlung aller sozialistischen Kräfte, die sich für die Aktionseinheit der Arbeiterbewegung einsetzten. Sie versammelte alle sozialdemokratischen und sozialistischen Kräfte, die sich für den gemeinsamen Kampf der Arbeiterbewegung einsetzten, und entsprach damit der Linie, die der emigrierte Teil des SPD-Vorstandes 1934 im sogenannten Prager Manifest formuliert hatte und den die Sozialdemokraten in der Ostzone verwirklicht hatten.

Damit stand die SDA im Fadenkreuz der Kräfte, die mit allen Mitteln die Schaffung einer Einheitspartei im Westen als Grundlage für eine antikapitalistische Politik verhindern wollten – und das schließlich auch geschafft haben. Dazu gehörte das Verbot Bildung einer Einheitspartei  durch die britische Militärregierung, schriftlich an Max Reimann gerichtet, der damals Vorsitzender der KPD in der britischen Besatzungszone war. Ebenso gehören dazu die Machenschaften der rechten Führungsgruppe der neugegründeten Schumacher-SPD und verschiedener Geheimdienste, die ihre Agenten in der SDA positionierten und versuchten, so die Einheitsbestrebungen umzusteuern. Als das misslang, wurde noch vor dem Verbot der KPD 1956 gegen die SDA mit Mitteln der politischen Justiz vorgegangen. So nahm das Bundesinnenministerium die SDA 1950 in eine Liste »kommunistischer Tarnorganisationen« auf. Doch die Bestrebungen zur Einheit hatten auch prominente Sozialdemokraten als Fürsprecher, unter ihnen der Nürnberger Oberbürgermeister Ziegler, der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Arp, der hessische Justizminister Vennedey, und zahlreiche Mitglieder und Funktionäre in den Gewerkschaften und bei der sozialistischen Jugend.

Die Zeitung der Schwerindustrie und des Finanzkapitals, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, kommentierte am 17. Mai 1956 den Prozess gegen führende Funktionäre der SDA mit dem Hinweis, dass die SDA vor der Massenfestnahme in Worms »bisher nur in politisch bedeutsamen Betrieben, beim Hamburger und Bremer Hafenarbeiterstreik und beim hessischen Metallarbeiterstreik im Herbst 1951ein Begriff war«. Die FAZ setzte dann fort: »Die Sozialistische Aktion arbeitet immer noch in den Betrieben.«

Damit traf das Unternehmerblatt den Kern des politischen Prozesses vor dem Bundesgerichtshof. Die Aktionseinheit in den Betreiben führt für die Arbeiterbewegung zum Erfolg, und das genau sollte unterbunden werden. Die SPD sollte aus Sicht der Adenauerregierung von ihrem linken Gewissen entlastet werden. Nur so konnte der reaktionäre Kurs der Spaltung Deutschlands und die Wiederaufrüstung durchgesetzt werden. Das die Rechtssozialdemokraten diese Hilfe in der inneren Auseinandersetzung annahmen – wie schon häufiger in der Geschichte der SPD – spricht gegen alle, die im 150. Jahr der SPD-Geschichte diese Negativbilanz ausklammern wollen. Um kompatibel mit den Parteien des Kapitals zu sein, wurde der sozialistische Teil der SPD stets geopfert. So gingen die Mitgliedszahlen der SJD – Die Falken 1953 innerhalb von eineinhalb Jahren nach verbandsinterner Zählung um die Hälfte von 80.000 auf 40.000 Mitglieder zurück. Die hessische SPD-Landtagsabgeordnete Lilly Wächter wurde von der US-Militärpolizei am Flughafen in Frankfurt unter Missachtung ihrer Immunität verhaftet und von einem amerikanischen Militärgericht verurteilt, weil sie sich aus eigener Anschauung ein Bild über die US-Aggression gegen das koreanischen Volk gemacht hatte und die Wahrheit darüber verbreitete. August Kuper, der Vorsitzende der SDA, hatte sie noch am Flughafen begrüßt. Seine Verhaftung erfolgte dann im Februar 1953 in Worms.

Das politische Klima war zu diesem Zeitpunkt schon sehr stark von der Unterdrückung aller linken Bewegungen durch den Adenauerstaat geprägt. Mit der Einführung des Blitzgesetzes 1951, dem Verbot einiger linker Organisationen wie der FDJ und der Einführung des Berufsverbots für alle, die sich im linken Spektrum betätigten,wurden die Möglichkeiten für eine linke fortschrittliche Politik eingeschränkt. Bundeskanzler Konrad Adenauer forderte die Einschränkung des Streikrechts, ihm genügte die von den Rechtssozialdemokraten in den Gewerkschaften geübte »Sozialpartnerschaft«, sprich Hinnahme der Willkür der Bosse, nicht. Die FDJ war verboten, andere Organisationen wurden verfolgt, gegen die KPD wurde ein Verbotsantrag beim Bundesgerichtshof gestellt.

Die SDA, eine Organisation von Linkssozialisten, die sich die Aktionseinheit mit den Kommunisten auf die Fahnen schrieb, war keine »Tarnorganisation«, sie trat offen für die Zusammenarbeit mit der KPD ein. Dass eine solche Organisation schon mit ihrer Gründung ins Fadenkreuz der kalten Krieger geriet, war klar. So versuchte der US-Geheimdienst unter Einsatz größeren Finanzmitteln, einen Teil der ersten Führung zu kaufen. Der »Spiegel« vom 17. Juni 1953 berichtete darüber: »Anfang 1951 trafen sich die drei Verschwörer Heinikel, Leven und Klug das erste Mal gemeinsam in Edmund Heinikels Frankfurter Wohnung im dritten Stock der Bockenheimer Anlage 33, um darüber zu beraten, wie sie die östlich orientierte SDA zum Westen hin umdrehen könnten. Das geschah acht Tage später in einem Frankfurter Vorortcafé. Dort trafen sich Heinikel, Leven und Klug mit zwei amerikanischen Beamten in Zivil, die bei der Vorstellung nur undeutlich ihre Namen nannten und in gebrochenem Deutsch versicherten, daß für Leute, die den Kommunismus bekämpfen wollen, „immer größtes Interesse“ bestehe.

Beim nächsten Treff breiteten die drei Deutschen ihr exaktes Umkehrprogramm vor den Amerikanern aus:
* Zerschlagung der SDA.
* Umwandlung in eine anti-stalinistische Organisation mit dem Ziel, den Bolschewismus und seine Tarnorganisationen mit ideologischen Mitteln (Zeitung, Broschüren, Versammlungen) zu bekämpfen.« (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-25656512.html)

Aber die linken Sozialdemokraten und Sozialisten überwanden diese Manipulationsversuche und schufen eine schlagkräftige Organisation. Der Einfluss der SDA in der SPD und den Gewerkschaften sowie in den sozialdemokratischen Jugendverbänden Jusos, SDS und Falken war nicht unbeträchtlich. Und weil das so war, wurde der Staatsapparat auf die SDA gehetzt.

Am 8. Februar 1953 führte die SDA in Worms eine zentrale Tagung aller Funktionäre ihrer in Frankfurt ansässigen Zentrale und der Leitungen aus den Ländern und Bezirken durch. Im Mittelpunkt der Beratung sollte die Verstärkung des Widerstandes gegen die von dem Adenauerregime begonnene Wiederaufrüstung und die Verbesserung der Sammlung aller linkssozialistischen und linkssozialdemokratischen Kräfte innerhalb und außerhalb der SPD stehen. In einem Vereinslokal trafen die Genossinnen und Genossen ein und führten Vorgespräche. Außerdem wurden mit den für die einzelnen Arbeitsbereiche Zuständigen Gespräche zur weiteren Koordinierung durchgeführt. Pünktlich um 11.00 Uhr begann Horst Boje, ein ehemaliger Betonbauer, Gewerkschafter, Student der Akademie der Arbeit in Frankfurt und SPD-Mitglied bis zu seinem Ausschluss, der damals Mitglied des Sekretariats der SDA war, mit seinem Referat zur weiteren Arbeit. Als er knapp zehn Minuten gesprochen hatte, wurde das Lokal von der Polizei gestürmt. Ein Untersuchungsrichter des Bundesgerichtshofes an der Spitze kam in den Saal und erklärte alle Teilnehmer für festgenommen.

Nicht alle Teilnehmer der Tagung wurden davon überrascht. Sie traten beim Prozess 1956 als Belastungszeugen der Anklage in Karlsruhe auf und wurden als Spitzel verschiedener Geheimdienste entlarvt. Aber auch einige Genossen der SDA hatten durch einen Frankfurter Sozialdemokraten bereits im November einen Hinweis bekommen, dass die politische Polizei einen Schlag gegen die SDA vorbereitete. Leider hatte das Sekretariat diese Warnung nicht ernst genommen. Diejenigen unter den Genossen, die diesen Hinweis ernst nahmen, hatten keinerlei Material dabei. Sie hatten ihr Verhalten bei einer Festnahme abgesprochen und verhielten sich so, wie es ältere erfahrene Genossen aus der Nazizeit berichtet hatten. Kurz vor Beginn der Tagung kam der KPD-Genosse August Baumgarte in den Saal und teilte mit, dass das Gebäude von der Polizei umstellt sei und auch ein Wagen der US-Militärpolizei vor dem Gebäude parkte, da Worms zur amerikanischen Zone gehörte. Der Genosse verließ den Raum sofort und setzte sich als Gast in die Gaststätte. Kaum hatte er, ein erfahrener Antifaschist, hinter dem elf Jahre KZ-Haft lagen, den Raum verlassen, qualmte der Kanonenofen, der in der Mitte des Raumes für ein bisschen Wärme sorgen sollte. Entschuldigend konnten wir damals nur sagen, dass viele einfach nicht glauben wollten, dass so etwas wie die Verfolgung von linken Sozialdemokraten und Kommunisten wenige Jahre nach der Befreiung von Faschismus schon wieder möglich war.

Nach der Besetzung durch die Staatsmacht wurden die Personalien festgestellt und alle Teilnehmer ins Polizeipräsidium gebracht. Dort befanden wir uns in einem größeren Saal und es bestand noch die Möglichkeit, sich auf die weitere Entwicklung einzustellen. Treffs für die nächste Zeit wurden vereinbart, der Organisationssekretär übergab einige tausend Mark an eine Genossin, die damit auf Toilette ging. Als sie wieder rauskam, hatte sie etwas stärkere Rundungen als zuvor. Die Aktion funktionierte. Ein deutscher Beamter sieh in einer jungen Sekretärin eben nur eine Schreibkraft und nicht eine Genossin. Das ermöglichte, die nächsten Schritte zumindest finanziell zu sichern.

Nach der Verhaftung der führenden Genossen standen die freigelassenen Genossen vor einem weiteren Problem. Sie hatte die Schlüssel für einige Autos, aber keiner hatte einen Führerschein. Nur ein Genosse, sein Vater war bei Opel in Rüsselsheim Werksfahrer, konnte fahren. Es war später Nachmittag, als die Genossen und Genossinnen, die zum Kern der SDA- Zentrale zählten, aus dem Polizeipräsidium rauskamen und zurück nach Frankfurt fuhren. Natürlich fuhr ein Kripowagen hinterher. Erst in Frankfurt an der Hauptwache gelang es dem Genossen, mit einem Täuschungsmanöver die Begleitung abzuhängen. Sie verließen das Auto und verschwanden zu unseren Quartieren. Dort mussten fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feststellen, dass es nicht nur in den Büros, sondern auch in den Wohnungen Razzien gegeben hatte. 41 Wohnungen und Büros waren durchsucht worden. Nur vier Unterkünfte waren der Polizei nicht bekannt, weil die Überwacher und die Spitzel innerhalb der Organisation sie nicht ermitteln konnten. Als die Betroffenen zur Zentrale der SDA gingen, stand dort der Blumentopf am rechten Fenster – als   Signal dafür, dass Polizei im Haus war und ist. Diese Warnung stammte aus dem sowjetischen Buch »Die Krähe ist ein Frühlingsvogel« von Nikolai Ostrowski, das damals gerade erschienen war und mit Begeisterung gelesen wurde.

Unser Zimmer bei einer Arbeiterfamilie im Kettenhofweg gehörte zu den nicht gefundenen. Am 9. Februar, einen Tag nach den Festnahmen, haben wir aus dem Fenster zwei Genossen aus Hamburg die Straße entlang gehen sehen. Wir sind dann runtergegangen und in entgegengesetzter Richtung aus einer Seitenstraße auf sie zugekommen, um zu überprüfen, ob sie einen »Schatten« hatten oder ob wir sie treffen können. Als klar war, dass sie nicht beschattet wurde, haben wir sie wie zufällig getroffen. Damit begann unsere volle Illegalität, die bis Mitte 1955 dauern sollte. Die SDA verlegte ihre Zentrale nach Wuppertal, von da aus alle zwei bis drei Monate in eine andere Stadt. Der Widerstand der Linken in und am Rande der SPD gegen die Wiederaufrüstung, gegen Sozialabbau und Sozialpartnerschaft und für die Anerkennung der DDR sowie Verständigung wurde in anderen Formen fortgesetzt.

Am 4. Juli 1956 – noch vor dem Verbot der KPD am 18. August 1956 – verurteilte der Bundesgerichtshof sechs Sozialisten und Gewerkschafter zu insgesamt elf Jahre und elf Monate Gefängnis.