Wartet Berlin auf einen schwachen Moment Erdogans?

Die Journalistin Ayşegül Karakülhancı Duman über den jüngsten Erdogan-Besuch in Deutschland und das gefährliche Kalkül der deutschen Bundesregierung, 04.10.2018

Die Show um Erdoğans Staatsbesuch ist nun zu Ende. Nach ihrem ersten Treffen in Berlin traten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Erdoğan vor die Presse. Den ironischsten Moment des Tages stellt der Zeitpunkt dar, als ein Journalist, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Journalisten“ trug, durch Sicherheitskräfte gewaltsam weggetragen wurde, während Merkel über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit der Presse sprach. Auch die von deutschen Journalisten an Erdoğan gestellte Frage „Haben Sie sich für die Nazi-Vorwürfe und Beleidigungen gegen Deutschland entschuldigt?“ wurde von beiden ignoriert. Höchstwahrscheinlich wird sich die Haltung Merkels negativ auf ihre Wahlergebnisse auswirken. Das Ausrollen eines roten Teppichs für den Präsidenten Erdogan wird die Zustimmung für populistische rechte Parteien wie die AfD nur noch weiter verstärken.

Der kurzfristige ökonomische Erfolg für Erdogan

Am Nachmittag des 28. September führtenErdoğan und seine Delegation Gespräche mit großen deutschen Unternehmen in Berlin. Ziel der hinter verschlossenen Türen geführten Gespräche war der Austausch von Ideen und das Zurückgewinnen von Vertrauen, um die deutschen Unternehmen wieder für Investitionen in der Türkei zu gewinnen. In der Türkei sind zur Zeit 6500 deutsche Unternehmen mit insgesamt 120.000 Mitarbeitern tätig. Nach Angaben der Zeitung ‚Die Welt‘ waren rund 20 dieser Unternehmen zu dem Treffen in Berlin eingeladen. Die Namen der eingeladenen Unternehmen wurden jedoch nicht veröffentlicht. Bekannt ist, dass sich unter den Teilnehmern unter anderem die Commerzbank, Bosch und Siemens befanden.

Siemens ist ein Unternehmen, das sich stets für einen langfristigen und konstruktiven Dialog mit der Türkei ausspricht. Seine Geschäfte blicken auf eine 168-jährige Geschichte in der Türkei zurück. Siemens beschäftigt 3000 direkte, und indirekt 40.000 weitere Mitarbeiter in dem Land. Dabei sollte erwähnt werden, dass in Verbindung mit dem anstehendenGroßprojekt zur Sanierung der türkischen Eisenbahn oft der Name Siemens fällt.

Die ersten Schlüsse aus diesem Besuch kann man dahingehend ziehen, dass Deutschland die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei erhalten wird. Die Frage der Ausweitung der Zollunion scheint vorläufig mithilfe von Vorzugshandelsabkommen fortgesetzt zu werden. Was den Tourismus angeht: Die Türkei wird auf Grund der Abwertung der türkischen Lira in den Augen der deutschen Urlauber wieder ein attraktives Land werden. Aber davor muss die Reisewarnung in die Türkei zunächst vollständig aufgehoben werden.

Auch wenn Deutschland auf kurze Sicht der Türkei seine Unterstützung erklärt und damit die Menschenrechte und Demokratisierung an zweite Stelle setzt, ist es unwahrscheinlich, dass sich dieser Plan langfristig bewährt. Die Kandidatur der Türkei für die EU-Mitgliedschaft besteht weiterhin. Trotz aller strategischen Beziehungen und der NATO-Partnerschaft mit der Türkei, wird es mit jedem Tag schwieriger für die deutsche Regierung, die eigene Unterstützung für dieErdogan-Regierung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber plausibel zu begründen. Auch große deutsche Unternehmen sprechen sich für unabhängige Gerichte, die Einhaltung der Meinungs- und Pressefreiheit und eine unabhängige Zentralbank aus.

Erdogan, du bist nicht willkommen“

Bereits bevor Erdoğan in Deutschland ankam, begannen die ersten Proteste. Sie wurden aus den verschiedensten Beweggründen und von allen Teilen der Gesellschaft mitgetragen. Mutige Journalisten, deutsche linke Aktivisten, türkische Oppositionelle, kurdische Gruppierungen, Akademiker bis hin zu Künstlern demonstrierten gegen den Staatsbesuch Erdogans. Themen wie die negative Rolle der Türkei im syrischen Bürgerkrieg, die Aktivitäten der Ditib und das Vorgehen des türkischen Geheimdienstes gegen türkischen Oppositionelle in Deutschland waren nur einige der aktuellsten Anlässe, um gegen die wirtschaftliche Zusammenarbeit der deutschen Regierung mit der AKP-Regierung zu demonstrieren.

Köln tolerierte Erdogans Besuch

Die Tatsache, dass Erdoğan die an die Ditibangebundene Kölner Zentralmoschee eröffnen sollte, stellte ein wichtiges Problem für die Kölner Gemeinde und die Regierung Nordrhein-Westfalens dar. Lange Zeit waren schwiegen alle für dieses Treffen relevanten Institutionen. Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes, hatte zuvor gesagt, er werde nicht an der Eröffnung teilnehmen. Auch die Verweigerung seitens der Ditib-Verantwortlichen, der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rekers bei der Eröffnungsfeier die Möglichkeit zu bieten, eine Rede zu halten, war der erwartete falsche Schritt seitens der Ditib und erlöste Reker von der unerwünschten Teilnahme. Reker kündigte daraufhin an, dass an der Eröffnung weder sie, noch andere Vertreter der Kölner Gemeinde teilnehmen würden. Zudem beklagte sie, dass Ditib keinen Respekt gegenüber der Kölner Gemeinde zeige. Die Stadt Köln beschränkte zudem die Eröffnungsfeier der Moschee auf 500 Personen mit der Begründung, Ditib könne in der Moschee keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen gewährleisten. Damit wurde Erdogans Wunschnach einer großen Teilnahmerzahl indirekt behindert. “Köln toleriert Erdogan, Erdogan muss auch Köln tolerieren”, sagte Reker. Am Samstag wurden viele Orte Kölns, wie auch am Tag zuvor in Berlin, zum Schauplatz von Protesten. Während Erdogans Unterstützer sich in der Nähe der Moschee versammelten und ihre Verbundenheit mit dem türkischen Präsidenten zeigen durften, wurd die Kundgebung der Gegendemonstranten an einem weit von der Moschee entfernten Ort genehmigt.

Berlin versucht Erdogans Schwäche auszunutzen

LautAussagen Berliner Regierungsvertreter gibt es momentan zwei Themen, die die Regierung Erdogan ernsthaft erschüttern: Ersteres stellt die zurzeit gefährliche wirtschaftliche Situation dar, die zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch führen könnte. Ein zweites Thema sind die schlechten Beziehungen zu den USA. Angesichts der bestehendenWidersprüche zwischen Erdogan und dem russischen Präsidenten Putin sieht Deutschland die Annäherung der türkischen Regierung an Berlin und Brüssel als eine große Chance. Berlin setzt darauf, dass Erdogan die Bereitschaft zu einem Demokratisierungsprozess in seinem schwächsten Moment aus eigenen Stücken erklären wird. Um den Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen Türkei zu fördern, müsse man laut deutscher Regierung die aktuelle Situation zumindest für einen gegenseitigen Dialog nutzen. Merkels und Steinmeiers Berater setzen sich dafür ein, Erdogan selbst davon zu überzeugen, dauerhafte Veränderungen einzuführen. Durch Zwang und Drohung würde man nur auf Ablehnung seitens Erdoğan stoßen. Er müsse selbst daran glauben, dass es für ihn am besten ist, den Weg der Demokratisierung einzuschlagen.

Vorerst hat Deutschland Erdogan die Chance gegeben, als wichtiger Staatsmann auf internationalen Bühne wieder aufzutreten und Selbstbewusstheit zu gewinnen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Deutschlands Politik der Demokratisierung der Türkei tatsächlich funktionieren wird. Wir haben jedoch zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass die deutsche Meinungs- und Pressefreiheit nicht eingehalten wird, der türkische Geheimdienst schon bis in die Reihen der deutschen Polizei vorgedrungen ist und eine Organisation wie die Ditib freigesprochen wird, die täglich mit zahlreichenVergehen in der Presse zum Thema gemacht wird. Der Krieg in Syrien und im Nahen Osten macht eine stabile Türkei zu einem unverzichtbaren Partner Deutschlands. Sicher ist jedoch, dass die von Merkel betriebene Türkeipolitik bald zu einer politischen Krise führen wird.

Im Original erschien der Artikel am 01.10.2018 unter dem Titel „Berlin Erdoğan’ın zayıf anını mı bekliyor?“ auf der Homepage des Nachrichtenportals Gazete Duvar.

Quelle:

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.