Die Stunde der Heuchler

Der Umgang der Herrschenden mit Krise und Pandemie und aktuell der „große Lockdown“ sind gekennzeichnet von Lug, Trug und Widersprüchen. Mit belegten Stimmen beklagen die Regierenden die vielen Corona-Toten und den Notstand auf Intensivstationen. Dass ihre eigene Politik diese Situation verursacht hat, lassen sie nicht gelten. Die Verantwortung liege bei jedem Einzelnen, jetzt die privaten Kontakte einzuschränken und Weihnachten und Silvester nicht über die Stränge zu schlagen.

Der „große Lockdown“ ist zutiefst widersprüchlich. Der Großteil der Maßnahmen zielt auf Kleinbetriebe, die schließen müssen, und auf das Verhalten im privaten Bereich. Die Verfügungsgewalt des großen Kapitals über seine Fabriken und Banken bleibt unangetastet. Die Eigentümer der großen Konzerne und Banken entscheiden selbst, ob ihnen eine Unterbrechung der Produktion passt oder nicht. Das zeigte sich in der ersten Welle am Beispiel der Automobilindustrie: geschlossen wurde wegen Überkapazitäten. Bezahlt wurde aus den Töpfen des Kurzarbeitergelds, die durch die Beiträge der Arbeiter und Angestellten gefüllt sind. Andere Beschäftigte mussten und müssen weiter arbeiten, auch wenn ihre Gesundheit am Arbeitsplatz durch das Virus gefährdet ist. In der Krise haben viele Konzerne Milliarden an Extra-Profiten erzielt. Die Arbeitsbedingungen bei den Krisengewinnern, der Verkäuferinnen bei Aldi oder der Arbeiter bei Amazon blieben die gleichen.

Der „große Lockdown“ ist eine Mogelpackung. Er täuscht Handeln vor, wo jahrelang nichts getan wurde. Seit 2012 gibt es präzise Expertenempfehlungen, was im Falle einer Virus-Pandemie zu tun ist. Auch nach der ersten Welle im Frühjahr wurden keine Maßnahmen ergriffen. Der Personalmangel im Gesundheitswesen, in Krankenhäusern, auf Intensivstationen, in Gesundheitsämtern, in Schulen und Kitas wurde nicht behoben. Statt eine flächendeckende Krankenhausversorgung zu sichern, wurden in den letzten Jahren Kliniken reihenweise geschlossen oder privatisiert.

So wenig konsequent und planvoll der Gesundheitsschutz betrieben wurde, so schnell und drastisch werden parlamentarische und demokratische Rechte ausgehebelt. Das neue Infektionsschutzgesetz soll uns daran gewöhnen, dass unsere individuellen Freiheiten eingeschränkt werden. Das Großkapital kann weiter schalten und walten, wie es will. Das Infektionsschutzgesetz erlaubt den Regierenden, diese Politik im Interesse des Großkapitals als Notstandsregime durchzusetzen. Das ist sein Wesen, deshalb lehnen wir es ab.

Gelogen wird vor allem hinsichtlich der sozialen Auswirkungen. Es wird behauptet, die Arbeitslosigkeit sei kaum gestiegen. Die hunderttausenden Mini-Jobs, die weggefallen sind, werden nicht gezählt. Ebenso wenig die Solo-Selbstständigen und Kleingewerbetreibenden, die vor der Pleite stehen oder bereits Pleite sind. Betroffen sind vor allem Beschäftigte im Kulturbereich, in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor. Die staatliche Hilfe, die sie erhalten, ist im Unterschied zu den Rettungspaketen für Großkonzerne ein Tropfen auf den heißen Stein und kommt zu spät. Auch das wird Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit treiben. Studentinnen und Studenten, Bezieher von Hartz-IV, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner haben ihren Zuverdienst verloren. Sie leiden unter Armut, verlieren ihre Wohnung. Die Gefahr von Altersarmut steigt rasant.

Betrogen wird, wenn Großkonzerne wie die Lufthansa Milliardenhilfen erhalten, um ihren Konkurrenzkampf fortsetzen zu können, und gleichzeitig zehntausende Arbeitsplätze abbauen. Betrogen wird, wenn staatliche Hilfe vorwiegend den großen Banken und Konzernen zugute kommen, aber schon heute klar ist, dass wir die Kosten tragen sollen. Dazu soll die „Schuldenbremse“ wieder in Kraft gesetzt werden.

Die Pandemie ist gefährlich. Ihre Gefährlichkeit vervielfältigt sich durch die Kombination aus Pandemie, Kapitalismus und Kapitalismus in der Krise. Das Großkapital will gestärkt aus der Pandemie herauskommen. Die vielen Toten, die vielen Erkrankten und Menschen mit schweren Folgewirkungen, sie sind Opfer dieser Strategie.

Quelle: UZ – Unsere Zeit – Die Stunde der Heuchler