Gipfel der faulen Kompromisse und leeren Versprechungen

Dies war wieder »ein guter Tag für Europa«, jubelte die deutsche Chefin der EU-Kommission an die Adresse der deutschen Bundeskanzlerin. Nunja, Frau von der Leyen ist bekannt dafür, daß sie gerne wohlklingende Schlagworte in ihre Reden und Statements einbaut. Aber aus ihrer Sicht ist das mit dem »guten Tag« durchaus so gemeint.

Es war ihr und der deutschen Ratspräsidentschaft wieder einmal gelungen, die ohnehin deutsch geprägte Europäische Union auf Linie zu bringen, und zwar auf die Linie, die dem deutschen Groß- und Finanzkapital an besten in den Kram paßt. Lästige Vorstöße aus Paris, aber auch aus Warschau, Budapest sowie aus Athen und Nicosia konnten erfolgreich abgewehrt werden, Unzulänglichkeiten des gesamten Konstrukts namens EU werden wieder mit Absichtserklärungen und nicht kontrollierbaren Beschlüssen kaschiert, und die politische und wirtschaftliche Basis, auf der die EU seit der Gründung ihrer Vorgängerorganisationen beruht, bleibt unangetastet. So kann es also weitergehen auf dem Weg, der dem Großkapital weiterhin die besten Profitchancen verspricht.

Immerhin brauchten die Staatenlenker diesmal nur wenige Stunden, um zu verkünden, daß sie in dem aus ihrer Sicht wichtigsten Knackpunkt einen »Durchbruch« geschafft hätten. Der Widerstand der Regierungen Polens und Ungarns gegen die Einführung eines »Rechtsstaatsprinzips«, laut dem EU-Mittel und Hilfsgelder nur ausgeschüttet werden an Länder, in denen die »Werte« der EU gewahrt sind, konnte gebrochen werden – mit einem derartig faulen Kompromiß, daß er ganz heftig aus der Schale stinkt, in die er verpackt wurde. Man könne unterschiedliche Ansichten zum Thema Rechtsstaat vor dem EU-Gericht verhandeln, lautet die »Lösung«. Die Regierungschefs Ungarns und Polens kündigten unverzüglich an, das auch tun zu wollen, streckten aber zunächst erst einmal ihre Hände nach den Milliarden aus, die ihnen als Lockmittel vor die Nase gehalten wurden.

Die Entscheidungen zum großen Thema Corona sind derartig schwammig, daß man sie nicht wirklich anfassen kann. Sie taugen auch nichts, weil keinerlei Schlußfolgerungen gezogen wurden aus den klar erkennbaren Schwachpunkten, die zu Beginn der ersten Corona-Welle offen zutage getreten waren. Nichts wird unternommen, um die in so gut wie allen EU-Ländern kaputtgesparten Gesundheitssysteme in Ordnung zu bringen. Man diskutiert über Milliarden-Hilfsprogramme für »die Wirtschaft« und über Wettbewerbsfähigkeit, nicht aber über die Sorgen der Menschen. Man feiert Produkte der Pharmakonzerne aus dem eigenen Herrschaftsbereich für den eigenen Herrschaftsbereich, gegen die lästige Konkurrenz aus China und Rußland oder gar – Gott bewahre uns davor – aus Kuba.

Und dann gab man sich noch ein herrlich grün angepinseltes Klima-Programm, eine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 – bis zum Jahr 2030, wenn die meisten dieser Leute nicht mehr im Amt sind und damit auch nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können.

Das Dauerthema Brexit hatte man zuvor schon abgehakt, aber die Türkei stand noch auf der Tagesordnung. Ganz nach Wunsch des deutschen Ratsvorsitzes und im Sinne der NATO wurden Forderungen nach Sanktionen oder gar nach einen Waffenembargo kurzerhand abgeschmettert und lediglich wieder mal ein drohender Zeigefinger erhoben. Nur bei Rußland war man sich einig. Wegen dessen andauernder »Bedrohungen« wurden bestehende Sanktionen mal wieder verlängert. Wahrlich »ein guter Tag für Europa«!

Uli Brockmeyer
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Gipfel der faulen Kompromisse und leeren Versprechungen