Díaz-Canel: „Wir alle haben die Verpflichtung, Haiti zu unterstützen“

Granma

Übernommen von Granma:

Redebeitrag von Miguel Díaz-Canel Bermúdez, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Präsident der Republik, auf der Internationalen Konferenz zur Finanzierung des Wiederaufbaus der südlichen Halbinsel von Haiti, 16. Februar 2022, „64. Jahr der Revolution“ (Übersetzung der stenografischen Version der Präsidentschaft der Republik)

Seine Exzellenz Ariel Henry, Premierminister der Republik Haiti;
Ihre Exzellenz Amina Mohammed, stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen;
Sehr geehrte Gäste:

Die Dringlichkeit des menschlichen Dramas, das Haiti, das ärmste Land unserer Hemisphäre und aufgrund seiner geografischen Lage eines der am stärksten von Naturkatastrophen betroffenen Länder in der Karibik, erlebt, ruft uns einmal mehr auf den Plan.
Es wird viel über die Naturkatastrophen und die soziale Gewalt gesprochen, die es seit mehr als zwei Jahrhunderten wie ein Fluch heimsuchen. Es wird weniger über die wahren Ursachen und die dramatischen Folgen des kolonialen und postkolonialen Missbrauchs durch die imperialen Mächte gesprochen, die das Land mehr als 200 Jahre lang dafür bezahlen ließen, dass es gewagt hatte, die erste von Schwarzen – bis dahin Sklaven – angeführte Revolution zu sein, die erste unabhängige Republik in unserem Amerika und die erste auf dem gesamten Kontinent, die die Sklaverei abschaffte.

Das Land, das unseren Alejo Carpentier zu der Idee des „wunderbar Wirklichen“ und zu einem originellen und außergewöhnlichen Werk wie Das Reich von dieser Welt inspiriert hat, überlebt nur knapp die harten Folgen von militärischen Tyranneien, Plünderungen und ausländischen Interventionen, die nicht von der Natur, sondern von Menschen und Machtmissbrauch herrühren.

Deshalb ist es notwendig, in aller Schärfe die haitianische Realität und die Verantwortung für die endgültige Umgestaltung des Landes der gesamten internationalen Gemeinschaft anzusprechen, die bereits eine enorme Schuld gegenüber seinem edlen und fleißigen Volk, das unseren Respekt und unsere Unterstützung verdient und braucht, auf sich geladen hat.

Wir alle haben die moralische Verpflichtung, Haiti substanziell und selbstlos zu unterstützen, und zwar nicht nur beim Wiederaufbau einiger Gebiete, sondern auch bei der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung für das ganze Land in umfassender Weise.
Kuba spricht hier mit der moralischen Autorität, die sich daraus ergibt, dass es jahrhundertelang großes Leid und gewaltige Anstrengungen mit unserer Schwester und nächstliegenden Nation geteilt hat.

In unserem Geschichtsunterricht sprechen wir über Makandal, Louverture oder Dessalines als Teil desselben antirassistischen und freiheitlichen Erbes. Kubanischer Zucker und Kaffee sind ebenso eng mit diesen Produktionen in Haiti verbunden wie das Blut, die Tränen, die religiösen Traditionen, die Tänze, die Lieder, die Landschaften und die Kultur beider Völker, die sich in der Einzigartigkeit der Karibik gegenseitig umarmen.

Im ersten Jahrzehnt der kubanischen Revolution wurde die Anerkennung der sozialen Sicherheit für haitianische Arbeiter, die in der vorrevolutionären Zeit Halb-Sklaven waren, beschlossen. Es war die Begleichung einer historischen Schuld und die Verteidigung eines Grundsatzes, der für immer die bedingungslose Solidarität mit Haiti in allen Bereichen sein würde.

Diese Solidarität erreichte ihren Höhepunkt bei bestimmten Anlässen, wie dem Ausbruch der Cholera und den Erdbeben von 2010 und 2021, als kubanische Fachkräfte der Welt zeigten, wie sehr sie sich für die haitianische Bevölkerung engagieren.
Doch im Gegensatz zu den übrigen internationalen Helfern kamen die kubanischen Fachleute nicht erst nach der Katastrophe, sondern arbeiteten und kooperierten bereits seit mehr als einem Jahrzehnt vor Ort.

Die neue Phase dieser Zusammenarbeit begann 1998 mit der Entsendung einer medizinischen Brigade, von Medikamenten und allem, was nötig war, um der von den Wirbelstürmen George und Mitch betroffenen Bevölkerung zu helfen, sowie mit der Ankunft von Hunderten von jungen Haitianern in der Karibikschule, die in Santiago de Cuba als Erweiterung der ELAM (Lateinamerikanische Medizinschule – Anm.d.Übers.) eröffnet wurde.

Seit Beginn unserer medizinischen Zusammenarbeit in Haiti bis Dezember 2021 haben mehr als 6.000 kubanische Mitarbeiter des Gesundheitswesens ihren Auftrag erfüllt und mehr als 36 Millionen Konsultationen, darunter fast neun Millionen pädiatrische Konsultationen, mehr als 721.000 chirurgische Eingriffe und mehr als 194.000 Entbindungen durchgeführt und damit mehr als 429.000 Leben gerettet. Mehr als 1 649 000 Dosen verschiedener Impfstoffe wurden im Rahmen von Präventionskampagnen verabreicht. 1 129 haitianische Gesundheitsfachkräfte wurden in Kuba ausgebildet.
Im August 2021 wurde den 253 kubanischen Gesundheitsfachkräften, die bereits in diesem Partnerland arbeiteten, eine Brigade des Internationalen Kontingents Henry Reeve zur Seite gestellt, bestehend aus 11 Mitarbeitern, um die Gesundheitsversorgung in den am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebieten zu unterstützen.

Kuba hat auch bei Projekten in den Bereichen Bildung, Sport, Landwirtschaft, Fischerei, Bauwesen, Wasserressourcen und Umwelt mitgewirkt. Mehr als 448 000 Haitianer haben dank des kubanischen Bildungsprogramms Yo sí puedo Lesen und Schreiben gelernt und weitere 1 595 Studenten haben ihren Abschluss an kubanischen Universitäten gemacht.

Wir führen diese Daten nicht an, um uns unserer Zusammenarbeit zu rühmen. Nichts könnte weiter von Martis Predigt und Fidels Idee von Internationalismus und Solidarität entfernt sein. Wir möchten zu Protokoll geben, dass wir uns der ernsten Probleme bewusst sind, die unsere Schwester Haiti plagen. Weil wir nie nur das geteilt haben, was wir entbehren können, sondern das, was wir unter großen Opfern erreichen und aufrechterhalten konnten, und weil wir in äußerst schwierigen Zeiten, die durch den harten Kampf gegen die Pandemie und gegen die verschärfte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der Vereinigten Staaten gegen unser Volk gekennzeichnet sind, beschlossen haben, unsere unwiderrufliche Berufung zur Solidarität und zum Humanismus aufrechtzuerhalten und weiterzuführen.

Als Beweis für diese Bereitschaft bekräftigen wir heute hier unseren Beschluss, die Impfkampagne gegen COVID-19 in Haiti durch Beratung und die Bereitstellung kubanischer Impfstoffe zu unterstützen. Am 27. Januar dieses Jahres haben wir das Generalsekretariat der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) über unsere Zusage informiert, 72.000 Dosen Abdala, Soberana 02 und Soberana Plus für die Impfung von 24.000 Menschen in der Karibik zu spenden. Eine ähnliche Spende wurde den Mitgliedstaaten der Organisation der Ostkaribischen Staaten angeboten.

Wir fordern ausnahmslos alle Regierungen, internationalen Organisationen und Geber auf, die erforderlichen Finanzmittel zu mobilisieren, Technologien zu transferieren, Mechanismen zum Aufbau von Kapazitäten zu schaffen und ihre Verpflichtungen im Rahmen der öffentlichen Entwicklungshilfe für Haiti zu erfüllen, wobei all dies unter strikter Achtung der Souveränität des Landes, seiner Bevölkerung, seiner Regierung und seiner Institutionen erfolgen muss.
Wie der historische Führer der kubanischen Revolution, Fidel Castro Ruz, 1998 sagte: „Haiti braucht keine Soldaten, es braucht keine Invasionen von Soldaten; was Haiti braucht, sind Invasionen von Ärzten, und was Haiti braucht, sind Invasionen von Millionen von Dollar für seine Entwicklung“.

Kuba verfügt zwar nicht über Millionen von Dollar, aber es hat Ärzte und bildet Ärzte aus, um das haitianische Volk zu heilen oder zu seiner Heilung beizutragen. Kuba ist sich des Dramas in Haiti bewusst und ruft dazu auf, die internationale Aufmerksamkeit darauf zu richten.

Die erste wirklich unabhängige und freie Nation unseres Amerikas verdient die größte Aufmerksamkeit der Welt und die dringendste Unterstützung, weil sie nicht nur den Kolonisator vertrieben, sondern auch die Fesseln der Sklaverei gesprengt hat. Lassen Sie uns ihre Menschenrechte möglich machen.

Ich danke Ihnen vielmals.

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Díaz-Canel: „Wir alle haben die moralische Verpflichtung, Haiti substanziell und selbstlos zu unterstützen“