Für eine einige, starke und internationalistische LINKE! – Aufruf der Arbeitsgemeinschaft Cuba sí

Die Arbeitsgemeinschaft Cuba sí in der Partei DIE LINKE beschloss in Naumburg am 10. April 2022 auf ihrem Bundestreffen diesen Aufruf, der dem Erfurter Parteitag der LINKEN (24. bis 26. Juni 2022) am Cuba sí-Stand ausliegt.

Wir als Cuba sí machen uns große Sorgen um die Zukunft unserer Partei. In einer Zeit, in der die soziale Ungleichheit größer wird, der Klimawandel fortschreitet und Europa wieder zum Kriegsschauplatz geworden ist, brauchen wir die LINKE als „internationalistische Friedenspartei“, als eine Partei, die sich für eine Gesellschaft einsetzt, „in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben können“. (Erfurter Programm der LINKEN, 2011). Und sie muss die Partei bleiben, die – wie bei ihrer Gründung 2007 betont – die Systemfrage stellt.

Wir rufen die Mitglieder unserer Partei auf, sich – trotz aller Differenzen – für die Einheit und die Stärkung der LINKEN einzusetzen. Es geht um nichts Geringeres als um das Überleben unserer Partei als sozialistische Partei. Wenn es uns nicht gelingt, die Einheit der Partei zu wahren, wird es auf unabsehbare Zeit keine linke Partei mehr im Deutschen Bundestag geben. Das Scheitern unserer Partei hätte zudem fatale Auswirkungen auf die Partei der Europäischen Linken sowie auf andere linke Parteien.

Das katastrophale Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2021 hat die existenzielle Krise der LINKEN deutlich gemacht. DIE LINKE wird wahrgenommen als eine Partei im Streit, als eine Partei, der man die Lösung wichtiger gesellschaftlicher Herausforderungen nicht zutraut. Viele in unserem Land vermissen DIE LINKE vor Ort. Oft werden wir als „etablierte“ Partei gesehen, als Partei, die für eine Regierungsbeteiligung zu kompromissbereit ist und die ihre Versprechen nicht einlöst. Auch hält sich unsere Partei oft zurück mit einer klaren Positionierung bei kontrovers diskutierten Fragen, um in den Medien und bei möglichen Wählern nicht anzuecken. Wir sehen zudem mit großer Sorge, dass einige Genossinnen und Genossen unserer Partei ihre unterschiedlichen Positionen nicht intern diskutieren, sondern über die Medien verbreiten.

esorgniserregend sind auch die immer wiederkehrenden Versuche einiger Genossinnen und Genossen, Grundpositionen unseres Parteiprogramms öffentlich in Frage zu stellen. Ein weiterer Tiefpunkt in dieser existenziellen Krise der LINKEN ist der Umgang mit dem Ältestenrat der Partei und seinem langjährigen Vorsitzenden Hans Modrow. Es ist gefährlich für die innerparteiliche Demokratie, wenn das bloße Aufwerfen von Fragen zur Abberufung eines Parteigremiums führt.

Im Bundestagswahlkampf 2021 hat DIE LINKE mit der SPD in der Sozialpolitik und mit den Grünen in der Umweltpolitik konkurriert – und dabei immer auch auf eine mögliche rot-rot-grüne Koalition gehofft. Obwohl die sozialpolitischen und ökologischen Forderungen unserer Partei viel weitreichender waren, haben uns die Menschen nicht gewählt! Besonders dramatisch war der Einbruch der Wählerstimmen bei den Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Sie aber haben DIE LINKE früher stark gemacht. Wenn unsere Partei bei diesen Bevölkerungsschichten nicht als die Partei wahrgenommen wird, die Antworten für ihre Alltagsprobleme hat, findet auch unsere Forderung nach einer „sozial-ökologischen Transformation“ bei ihnen kein Gehör. Der Charakter der LINKEN als sozialistische Partei, die sich um die „kleinen Leute“ in Ost und West kümmert, verblasst. Auch haben wir im Bundestagswahlkampf unser Alleinstellungsmerkmal Friedenspolitik vernachlässigt.

Mit dem Scheitern der NATO in Afghanistan hätten die friedenspolitischen Positionen der LINKEN bei der Wahlentscheidung der Menschen aber an Überzeugungskraft gewinnen können. Dass die politisch Verantwortlichen unserer Partei aus der Wahlniederlage nichts gelernt haben, zeigt auch die Tatsache, dass beim Jahresauftakt der LINKEN im Januar 2022 das Thema „sozial-ökologische Transformation“ im Vordergrund stand.

DIE LINKE muss ihre Krise überwinden und wieder zu strategischer Klarheit zurückfinden. Wir müssen diese lähmende Defensive und diese existenzbedrohende Streiterei umgehend beenden. Und wir haben dafür nur wenig Zeit! Das katastrophale Wahlergebnis im Saarland war ein weiterer klarer Beleg für den Krisenzustand der LINKEN. Eine kriselnde LINKE ist aber keine Motivation für die Menschen, uns zu wählen. Auch ist es möglich, dass die Ampelkoalition aufgrund teils unterschiedlicher Positionen nicht vier Jahre hält und der nächste Bundestagswahlkampf schneller kommt als gedacht.
Um aus dem gegenwärtigen Tief herauszukommen, brauchen wir sehr schnell die von vielen Mitgliedern geforderte „schonungslose Analyse“. Des Weiteren brauchen wir die Einsicht und Akzeptanz aller Genossinnen und Genossen, dass das Erfurter Parteiprogramm die Grundlage unseres gemeinsamen Handelns ist – und bleiben muss! In den vergangenen Jahren aber war zu beobachten, dass sich DIE LINKE von grundlegenden Positionen des Erfurter Programms entfernt. Eine Umkehr ist nötig! Und dafür sind nach unserer Auffassung viele klärende Aussprachen und Diskussionen notwendig. Gegenwärtig aber verharrt DIE LINKE in einem „Weiter-wie-bisher-Modus“. Von ehrlicher Aufarbeitung, Neuanfang oder gar persönlichen Konsequenzen – keine Spur.

Wir leben in einer Zeit sich zuspitzender innerkapitalistischer Widersprüche, in der die Akzeptanz des Krieges als Mittel der Politik nach wie vor sehr verbreitet ist. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Bruch des Völkerrechts, und Russland gehört zu jenen Ländern, die Krieg als Mittel der Politik akzeptieren. Als LINKE dürfen wir aber nicht dem Irrtum erliegen, die NATO jetzt zu einem Demokratie- und Friedensbündnis erklären zu wollen. Wir müssen auch konstatieren, dass unser Land durch Waffenlieferungen an die Ukraine sowie durch die Verhängung weitreichender Wirtschaftssanktionen selbst Kriegspartei geworden ist – mit allen negativen Folgen für die Bevölkerung und den unabsehbaren Konsequenzen für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen. Wir dürfen in der gegenwärtigen Situation ebenso wenig verdrängen, dass die USA und ihre NATO-Verbündeten unter anderem für die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak verantwortlich waren.

Wir brauchen nicht noch mehr Soldaten, Kriegsgerät und Militärmanöver an den Grenzen zu Russland, wir brauchen keine hochgerüstete Bundeswehr, keine NATO und keine ausländischen Militärbasen. Wir wollen keine weitere Militarisierung der Gesellschaft, kein neues Wettrüsten und keinen neuen Kalten Krieg. Für unsere Partei DIE LINKE muss Frieden das oberste Gebot bleiben – nie waren die friedenspolitischen Forderungen unseres Parteiprogramms so aktuell, so wichtig und so notwendig wie heute. Als im Bundestag vertretene Partei kann DIE LINKE Einfluss nehmen, wie eine Nachkriegsordnung in Europa aussehen könnte – ob es ein friedliches Europa mit einem „kollektiven Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“ geben wird.

Es wäre deshalb fatal, wenn DIE LINKE ihre friedenspolitischen Positionen, wie sie im Erfurter Parteiprogramm formuliert sind und wie sie viele Jahre praktiziert wurden, jetzt verwässern oder aufgeben würde. Es wäre fatal für die Politikentwicklung in unserem Land und in der EU, es wäre ein fatales Signal für befreundete Parteien und Organisationen – und es wäre fatal für die Einheit der LINKEN und für die eigene Existenz als Partei.

Wir in der Partei DIE LINKE und alle, die der Partei nahestehen, sind verpflichtet, konsequent die friedenspolitischen Positionen der LINKEN zu verteidigen – auch in Wahlkämpfen und vielleicht sogar besonders dann, wenn Friedens- und Abrüstungspolitik nicht zu den Mainstream-Themen gehören.

Und wir müssen viel deutlicher und offensiver klarmachen, dass unser Einsatz für den Frieden untrennbar mit anderen Politikfeldern zusammenhängt – so auch mit dem wichtigen Engagement für soziale Gerechtigkeit und eine saubere Umwelt. Ein atomarer Weltkrieg, den viele Menschen fürchten, würde auch hier in Europa unzählige Menschenleben fordern, Menschen in Armut und Obdachlosigkeit stürzen sowie unglaubliche Zerstörungen der Umwelt bedeuten.

Als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten müssen wir wieder den Mut haben, Imperialismus und Nationalismus als die Hauptursachen von Kriegen zu benennen sowie die Kriegstreiber und die Profiteure von Kriegen zu entlarven und zu bekämpfen. Wir müssen offensiv und klar die gesellschaftlichen Verhältnisse analysieren, die Kriege hervorbringen, und wir sind verpflichtet aktiv beizutragen, Kriegsursachen zu beseitigen. Wir müssen endlich wieder den Mut haben, die Systemfrage zu stellen.

Neben der Bewahrung und Stärkung eigener Positionen muss DIE LINKE noch viel mehr die Verbindung zu den Gewerkschaften – und somit zu den Lohnabhängigen, den prekär Beschäftigten und den Erwerbslosen –, zur Friedensbewegung und zu den vielen sozialen und ökologischen Initiativen, Bewegungen, Organisationen in unserem Land suchen. Als Bundestagspartei haben wir das Potenzial, eine starke linke Bewegung in unserem Land zu formen, die dann durch DIE LINKE auch in den Parlamenten präsent sein kann. Für uns als AG Cuba sí bedeutet linke Politik darüber hinaus auch die Unterstützung all jener Bewegungen, Parteien und Regierungen, die weltweit für Frieden, Unabhängigkeit, Souveränität, sozialen Fortschritt, für eine gerechte, solidarische Weltwirtschaftsordnung und für den Schutz der natürlichen Ressourcen kämpfen. Diese fortschrittlichen Kräfte brauchen unsere Solidarität in ihrem antiimperialistischen Kampf – und wir brauchen sie für den gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir als Mitstreiterinnen und Mitstreiter der AG Cuba sí möchten in diesem Aufruf auf das Beispiel Kuba verweisen: Die kubanische Revolution hat nach dem Sieg 1959 die verschiedenen revolutionären Kräfte zu einer starken Partei zusammengeführt. Kuba konnte sich trotz der jahrzehntelangen US-Blockade erfolgreich entwickeln, weil die Kommunistische Partei Kubas ein klares Programm mit festen Prinzipien hat. Bis heute hat sich die kubanische Revolution gegen alle Anfeindungen und Angriffe verteidigen und behaupten können, weil sie die Fähigkeit entwickelt hat, auf Herausforderungen mit pragmatischen Lösungen zu reagieren – ohne dabei ihre Prinzipien aufzugeben!

Liebe Genossinnen und Genossen, die LINKE wird als sozialistische, als systemüberwindende Kraft gebraucht! Wir stehen in der Tradition der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, und wir alle – von der Parteispitze bis zur Basis – müssen auch heute wieder viel stärker diejenigen sein, die sich für die arbeitenden Menschen sowie für diejenigen einsetzen, die in dieser kapitalistischen Gesellschaft am meisten benachteiligt werden. Wir haben uns im Jahr 2011 für unseren politischen Kampf in gemeinsamer Diskussion ein starkes Parteiprogramm gegeben. Dieses Erfurter Programm unterscheidet uns elementar von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Geben wir dieses Programm und das dort formulierte Ziel der Errichtung eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems – des demokratischen Sozialismus – auf, geben wir DIE LINKE auf.

Wir, die AG Cuba sí, rufen alle Genossinnen und Genossen auf: Setzen wir uns gemeinsam auf der Grundlage des Erfurter Parteiprogrammes für eine einige, starke und internationalistische Partei DIE LINKE ein – stark auf der Straße und stark in den Parlamenten!

AG Cuba sí

Beschlossen auf dem Bundestreffen der Arbeitsgemeinschaft Cuba sí in Naumburg am 10. April 2022

Quelle: Cuba Sí