Nur 58 Prozent der Wertschöpfung geht an die Lohnabhängigen

Wenn von Ungleichheiten die Rede ist, sind damit in der Umgangssprache vielfach die Unterschiedene zwischen den Löhnen gemeint – auf der einen Seite die Besserverdienenden, auf der anderen Seite die Kleinverdiener, die mit dem Mindestlohn auf oder unter der Armutsgrenze leben. Beklagt wird, dass die Lohnschere immer weiter auseinandergeht – eine Entwicklung, welche weiter anhält, wie aus dem Sozialpanorama 2022 der »Chambre des salariés« hervorgeht. In dem Bericht wird nachgewiesen, dass die höheren Löhne deutlich schneller wachsen als die kleinen Löhne.

Das wird seit jeher von den Gewerkschaften kritisiert, aber vom Kapital gefördert und genutzt, um die Schaffenden zu spalten. Zu allem Überdruss greifen die Patronatsvereinigungen nun auch noch auf die wachsenden Ungleichheiten im Lohnbereich zurück, um gegen die allgemeine Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung zu hetzen.

Damit kann prächtig davon abgelenkt werden, dass die erste Quelle der sozialen Ungleichheiten von der primären Einkommensverteilung zwischen jenen, die Kapital besitzen (und daraus ihr Einkommen beziehen) und jenen, die ihr Einkommen aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft an den Kapitalbesitzer beziehen, herrührt. Genau das hält die »Chambre des salariés« ein weiteres Mal in ihrem »Sozialpanorama 2022« fest.

Das ist der eigentliche Grund dafür, dass in einer Welt, in der die Produktion einen gesellschaftlichen Charakter hat, die Aneignung der Produktionsergebnisse aber in privatkapitalistischer Form erfolgt, der geschaffene Reichtum ungerecht verteilt wird.

Das Kapital, das eine kleine Minderheit in der Gesellschaft ist, kann sich einen großen Teil des geschaffenen Mehrwerts aneignen, wofür der Staat, der in dieser Auseinadersetzung zwischen Kapital und Arbeit nicht neutral ist, garantiert.

Ausbeutung der Arbeitskraft in Luxemburg besonders hoch

Die »Chambre des salariés« hat berechnet, dass der Anteil der Wertschöpfung, der 2020 in Luxemburg an die Arbeit ging, 58 Prozent betrug. Das ist unter dem Durchschnitt in der Euro-Zone und deutlich weniger als in Deutschland (66,6 Prozent), Frankreich (65,1 Prozent) und Belgien (67,7 Prozent), was heißt, dass das hiesige Kapital sich einen höheren Anteil an der Wertschöpfung aneignet, und somit die Ausbeutung der Arbeitskraft in Luxemburg höher ist als in unseren Nachbarländern. Allein in Irland und der Slowakei ist die Ausbeutung noch größer als in Luxemburg.

Nur wenn man den Finanzbereich nicht berücksichtigt, ist der Anteil der Arbeit an der Wertschöpfung in Luxemburg mit 63,6 Prozent nahe am Durchschnitt der Euro-Zone.

Was aber ist zu tun, damit die sozialen Ungerechtigkeiten, die von der primären Einkommensverteilung herrühren, überwunden werden können, statt dass sie immer wieder reproduziert werden?

Für höhere Löhne und die Vergesellschaftung von Großbetrieben
und Banken

Die erste Voraussetzung dafür ist, dass die Lohnabhängigen solidarisch sind und dem Kapital in Arbeits- und Lohnkämpfen, zum Beispiel bei der Erneuerung von Kollektivverträgen und in Lohnkämpfen, Zugeständnisse abtrotzen und diese dann über lange Zeit mit Erfolg verteidigen.

Dazu beitragen können auch Gesetze, die Gelder aus der primären Verteilung abschöpfen, zum Beispiel über deutlich höhere Kapitalsteuern, die dann zugunsten der Schaffenden umverteilt würden.

Schließlich gibt es eine dritte Möglichkeit, die allerdings einen Eingriff in die bestehenden Besitzverhältnisse über eine Vergesellschaftung von Großbetrieben und Banken verlangt, wie das die Kommunisten anstreben.

Anders wird der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht zu lösen sein, und das Kapital wird immer wieder mit allen Mitteln versuchen, einen größeren Teil der Wertschöpfung an sich zu reißen.

 

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek