Russische Bücher verboten

Die ZdA berichtete bereits über den rassistischen Beschluss der Werchowna Rada, Musik von Künstlerinnen und Künstlern mit russischer Staatsbürgerschaft zu verbieten. Ein Beschluss, der in der Tat nicht nur der Vernunft widerspricht, sondern auch der Charta der Grundrechte der EU und hier insbesondere Artikel 11, der die Informationsfreiheit und den kulturellen Pluralismus verteidigt. Was sieht der neue Gesetzesentwurf in Bezug auf die Literatur vor?

Russische Bücher zählen zu antiukrainischer Literatur

Von Repression betroffen ist auch die russische und die belarussische Literatur. Das ukrainische Parlament hatte bereits 2019 ein Gesetz verabschiedet, das den Russischunterricht an Schulen verbot und eine sofortige Umstellung auf ukrainische Schulbücher vorschrieb. Einen krassen Gegensatz dazu bildeten die Schulen im Donbass, die weiterhin Russisch und Ukrainisch, russische und ukrainische Literatur und Kultur vermittelten.

Der neue Gesetzesentwurf zielt darauf ab, „die gesetzlichen Beschränkungen für die Einfuhr und den Vertrieb von Verlagsprodukten mit anti-ukrainischem Inhalt zu verschärfen und so den destruktiven Einfluss Russlands auf die Ukraine über den Buchmarkt zu verhindern“. Laut Gesetzesentwurf ist es daher „verboten, in der Ukraine Bücher herauszugeben, einzuführen oder zu vertreiben, die Werke von Autoren enthalten, die Bürger der Russischen Föderation sind.“ Um also vermeintlich antiukrainischer Literatur Einhalt zu gebieten, will sich die Ukraine gleich aller zukünftigen russischen Literaturerzeugnisse entledigen. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die weiterhin in der Ukraine publizieren wollen, jedoch nach der Konterrevolution die russische Staatsbürgerschaft behalten haben, müssen sich nun um eine ukrainische Staatsbürgerschaft bemühen. Würden sie Romane, Novellen, Kurzgeschichten oder auch nur Kreuzworträtsel veröffentlichen, wäre das Produkt wohl sofort als illegal eigestuft.

Das Verbot gelte aber nicht für Bücher, die vor dem 1. Januar 2023 in der Ukraine veröffentlicht wurden. Als positiver wirtschaftlicher Nebeneffekt der systematischen Russophobie sollte nebenher auch der ukrainische Büchermarkt profitieren, der in der Vergangenheit stets Probleme hatte, sich im Anbetracht des russischen Marktes durchzusetzen oder auch nur konkurrenzfähig zu bleiben. Es stellt sich also die Frage, wie mit Büchern umgegangen würde, die zwar in russischer Sprache, aber von ukrainischen Verlagen veröffentlicht werden würden. Aber da die russische Sprache ohnehin offiziell verboten wurde, sollte sich die Frage eigentlich gar nicht mehr stellen. Umgekehrt aber behält sich der Gesetzesentwurf vor, eine zweite Urheberrechtszone für Übersetzungen populärer Literatur ins Russische und die Einfuhr einschlägiger Literatur aus Drittländern zu schaffen, wo also doch ideologische Prämissen vor der geballten Macht der Profitinteressen zurückweichen würden.

Alle Maßnahmen gelten überdies auch für kulturelle Erzeugnisse aus Weißrussland, das Land, das seit dem russischen Einfall auf die Ukraine einfach aus Prinzip zu den personae non gratae mitgezählt wurde.

Der Großinquisitor

Eine Promotorin der wildesten Ideen ukrainischen Nationalismus‘ und Chauvinismus‘, die in jüngster Vergangenheit häufiger interpelliert wurde, Oleksandra Koval, dürfte indes über die vergleichsweise mild ausgefallenen Repressionsmaßnahmen enttäuscht sein. Ihres Zeichens Direktorin des Ukrainischen Buchinstituts, schlug Koval Ende Mai vor, 100 Millionen als „russische Propagandabücher“ definierte Titel aus den Bibliotheken des Landes zu entfernen. Eine Sammlung „schädlicher Bücher“, in die Koval auch die Werke Puschkins und Dostojewskijs aufnahm, die sich schuldig gemacht hätten, den „russischen Messianismus“ zu schüren und die Verbreitung der „Vorherrschaft der russischen Sprache“ zu fördern.

In einem Interview mit Interfax sprach sie von ihrem Plan, der zwei Etappen vorsieht: In der ersten Phase sollte die „ideologisch schädliche Literatur aus der Sowjetzeit“ aus allen Bibliotheken entfernt und vernichtet werden – dies bis zum Ende dieses Jahres. Erst in der zweiten Etappe sollen Bücher russischer Autorinnen und Autoren, die nach 1991 veröffentlicht wurden, „beschlagnahmt“ werden. Alle möglichen Genres zählt sie zur Literatur, die „das Böse“ vermittelt, darunter Kinderbücher, Liebesromane und Krimis. Alle diese Bücher müssten ihr zufolge aus Schulen und Bibliotheken verschwinden. Universitäten dürften hingegen einige Exemplare behalten, damit Forscherinnen und Forscher „die Ursache des Bösen und des Totalitarismus“ analysieren könnten.

Nun sind 100 Millionen Bücher eine riesige Menge an Literatur, die zerstört werden müsste und die die Bibliothekbestände des Landes mehr als halbieren würden. Der Vergleich mit dem faschistischen Deutschland und seine Verbrennungen marxistischer, jüdischer oder sonstwie ausländischer Literatur von 1933 liegt besonders nahe. Es sei aber darauf hingewiesen, dass selbst die Bücherverbrennungen der Nazis, die inszeniert und möglichst öffentlichkeitswirksam aufgebauscht wurden, nicht so hohe Zahlen erreichten, wie sie Oleksandra Koval vorschweben.

Im Fadenkreuz des ukrainischen Nationalismus stehen die russische und weißrussische Sprache. Dabei ist es einerlei, ob der bekannte Schriftsteller Nikolaj Gogol‘ in der Ukraine geboren wurde oder nicht – sein Fehler war es wohl, auf Russisch zu schreiben. Für heutige Autorinnen und Autoren in der Ukraine wird wiederum die Staatsbürgerschaft zur Pflicht, was kein leichtes Unterfangen darstellt, nachdem sich etwa 29 Prozent der ukrainischen Bevölkerung bei statistischen Umfragen als Russinnen und Russen verstehen, während es für 43–46 Prozent der ukrainischen Bevölkerung zur Normalität gehört, im familiären Umfeld auf Russisch zu reden. Nicht zuletzt bedeutet die Indexierung einer ganzen Sprache einen kulturellen und intellektuellen Rückgang – russische und weißrussische Klassiker, die zur Weltliteratur gehören und von der Weltöffentlichkeit auch als solche akzeptiert sind, werden ukrainischen Schülerinnen und Schülern, Studierenden und einfach lesenden Menschen nicht mehr zur Verfügung stehen. Stattdessen soll sie einer genuin ukrainischen Literatur platzmachen, die schon allein quantitativ gesehen eine große Verminderung und Horizontschließung darstellt.

Quellen:

Interfax / ilpost / today.it / ilGiornale / delfi / InterfaxUkraina

 

Quelle: Zeitung der Arbeit