Kritik von PRO ASYL zum Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan: Schutzsuchende in Drittstaaten ausgeschlossen

Als erste Reaktion kritisiert  PRO ASYL das nun vorgelegte Konzept eines Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Afghan*innen als unzureichend. In der vorliegenden Form ist das Programm nicht geeignet, die am meisten  gefährdeten Menschen, die sich für Menschenrechte und demokratische Werte eingesetzt haben, zu retten.

Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, dass sich das Aufnahmeprogramm ausschließlich auf „afghanische Staatsangehörige in Afghanistan“ bezieht. Schutzsuchende, die sich bereits in Drittstaaten befinden, werden ausgeschlossen.  Außerdem droht das Programm  zu einer Art Schutzlotterie mit geringen Gewinnchancen für gefährdete Afghanin*innen zu werden.

Keine Einengung der schutzbedürftigen Personengruppen

Die Forderung der Bundesaußenministerin, Frauen und Mädchen zu schützen, ist vollkommen richtig.  Ihr Hinweis dazu lautet: „Besonders an sie richtet sich deshalb das humanitäre Aufnahmeprogramm, das heute endlich an den  Start geht.“ PRO ASYL warnt davor, das Bundesaufnahmeprogramm auf einige schutzbedürftige Personengruppen zu verengen. Im Falle von Racheaktionen durch das Taliban-Regime ist zu berücksichtigen, dass überwiegend männliche Familienangehörige in dessen Visier geraten.

Der Algorithmus spielt Schicksal

Nach den Plänen der Bundesregierung wird künftig de facto ein Algorithmus entscheiden, wer von dem Bundesprogramm profitieren wird – und nicht ein sachlich begründeter Antrag, den Menschen Fall für Fall prüfen. Mit geschlossenen Ja-Nein-Fragen soll herausgefunden werden, wer für das Programm in Frage kommt.  Erst nach einer computergestützten Priorisierung sollen sich Menschen die vom Algorithmus gefilterten Einzelfälle anschauen und Kurzbegründungen lesen. Eine individuelle Gewichtung der Anträge ist nicht vorgesehen.

Bei dem vorgesehenen IT-Scoringsystem, wonach  die Anträge gefährdeter Afghan*innen mit digitalen Punktesystem und Algorithmen bewertet werden, besteht aus Sicht von PRO ASYL die Gefahr, dass ernsthaft gefährdete Menschen, die aber zum Beispiel möglicherweise nicht die nötigen Sprach- und IT-Kenntnisse mitbringen, durch das Raster fallen.

Zudem kritisiert PRO ASYL, dass sich die Schutzsuchenden nicht selbst direkt für das Programm bewerben können. Das sollen bestimmte in Deutschland registrierte und vom Bundesinnenministerium akzeptierte Nichtregierungsorganisationen übernehmen, eine staatlich finanzierte Koordinierungsstelle soll dann die vermittelten Anträge einpflegen.

Trotz alledem: Aufnahmeprogramm beginnen! 

Obwohl das Programm mangelhaft konzipiert ist, ist es wichtig, dass es nun startet, denn es ist fast der einzige Hoffnungsschimmer für Tausende verzweifelte Menschen. Im Interesse der Verfolgten muss jede Möglichkeit genutzt werden, um bedrohte Menschen vor den Taliban zu retten.

Um die Aufnahme afghanischer Menschenrechtsverteidiger*innen, Medien- und Kulturschaffender, Frauenrechtler*innen und weiterer höchst gefährdeter  Personen zu organisieren, müssen jedoch zusätzlich zu einem Bundesaufnahmeprogramm das Ortskräfte-Verfahren reformiert, weiterhin humanitäre Visa erteilt und der Familiennachzug beschleunigt werden.

Ortskräfteverfahren muss reformiert werden

PRO ASYL fordert, dass die Prüfung von besonders dringenden Einzelfällen durch Erteilung von humanitären Visa fortgeführt wird. Gleichzeitig muss das Ortskräfteverfahren so reformiert werden, dass alle Bedrohten, die für Deutschland gearbeitet haben, Schutz finden. Dafür ist eine Reform des Verfahrens nötig, die den Begriff der Ortskraft auf alle entlohnten und ehrenamtlichen Tätigkeiten für deutsche Institutionen, Organisationen und Unternehmen sowie Subunternehmen ausweitet. PRO ASYL erinnert daran, dass erst durch das Handeln der westlichen Staaten Menschen in Afghanistan in Gefahr gebracht wurden. Wer als „verwestlicht“ gilt, muss aus Afghanistan evakuiert und aufgenommen werden.

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Quelle: Pro Asyl