Türkei bombardiert Nordsyrien im Erdbebengebiet

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Bundesregierung auf, sich gegenüber der Türkei für einen sofortigen Stopp der türkischen Artillerieeinsätze in Nordsyrien einzusetzen. Die Bundesregierung solle sich neben der Forderung nach einer Öffnung der Grenzen zwischen Türkei und Syrien zudem für die Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Syrien einsetzen. Das Embargo der USA und EU gegen Syrien treffe die Zivilbevölkerung im ganzen Land. Auch der Chef des syrischen Halbmondes, Khaled Habubati, hat die EU zur Aufhebung ihrer Sanktionen und zu Hilfslieferungen aufgerufen.

„Wir sind erschüttert über die verheerenden Folgen des Erdbebens für die Menschen in der Türkei und in Syrien. Es wäre ein Gebot der
Menschlichkeit, dass die Türkei wenigstens in dieser Situation den Krieg unterbricht und die Grenzübergänge nach Syrien für Hilfslieferungen öffnet“, erklärt Dr. med. Angelika Claußen, Vorsitzende der IPPNW.

Bereits vor dem Erdbeben stand ganz Nordsyrien, auch das Gebiet der Selbstverwaltung in Nordost-Syrien (Rojava) vor einer humanitären Katastrophe. Zehn Jahre Krieg, das Embargo und die seit zwei Jahren
andauernden Kriegshandlungen der Türkei haben viel Infrastruktur zerstört (Krankenhäuser, Landwirtschaft, Strom- und Wasserversorgung).

Nun strömen weitere Flüchtlinge aus den vom Erdbeben am schlimmsten betroffenen Gebieten (vor allem aus Afrin und Aleppo) nach Rojava, weil die dortige Verwaltung zumindest versucht, die Menschen zu versorgen. Es kommen keinerlei Hilfsgüter an, weil die Grenze zur Türkei und die Grenze zum Irak geschlossen sind und auch die Regierung Assad es ablehnt, mit der kurdischen Selbstverwaltung zu kooperieren. In Rojava müssen zudem 50.000 Gefangene aus dem IS-Umfeld in Gefängnissen und Lagern versorgt werden.

Auch in der Türkei gibt es wenig Hilfe für die vom Erdbeben betroffenen Gebiete. Präsident Erdogan versucht zurzeit, jegliche Unterstützung unter staatliche Kontrolle zu bringen, was die Hilfe verzögert und die lokalen Hilfsorganisationen ausbremst, denn sie sind verpflichtet, bereits gesammelte Spendengelder an die staatlichen Institutionen abzugeben.

Mitglieder der IPPNW verfolgen die Situation in den kurdischen Gebieten in der Türkei, im Irak und in Syrien seit Jahren und versuchen, zivile Strukturen vor Ort zu unterstützen und mit der Kurdistan-Hilfe Hamburg und Medico International humanitäre Hilfe für die von Krieg und wirtschaftlicher Not betroffene Bevölkerung zu leisten.

„Wir haben in Nordost-Syrien (Rojava) ein politisches System kennengelernt, das die Todesstrafe abgeschafft hat, das die gesamte
Bevölkerung (ca. 5 Millionen, vornehmlich Kurden und Kurdinnen, aber auch
Menschen arabischer, christlich-aramäischer, turkmenischer u.a. Volkszugehörigkeit) demokratisch in Entscheidungsprozesse einbezieht und Frauen eine gleichberechtigte Position ermöglicht. Ähnliche Ansätze gibt es auf lokaler Ebene auch schon lange in der Türkei, wo den Menschen, insbesondere Kurden und Kurdinnen, jedoch bei jeder öffentlichen Aktivität massive staatliche Repression droht“, erklärt IPPNW-Mitglied Dr. Gisela Penteker.