11. Oktober 2024

junge Welt: Zur Kenntlichkeit – Kommentar zum Compact-Verbot

Unrecht wird nicht Recht, nur weil es mal den Richtigen trifft. Als das Bundesministerium »für Inneres und Heimat« am Dienstag bekanntgab, dass das rechte Magazin Compact verboten sei, gab es keinen Grund zu trauern. Keine Träne für Elsässer. Der Vorgang aber steht für mehr als bloß sich selbst. Schon länger hobeln deutsche Regierungen an dem, worauf zu stehen sie vorgeben. 2019 ereilte die kurdischen Verlagshäuser Mezopotamien und MIR-Multimedia GmbH wegen PKK-Nähe das Verbot. 2022 untersagte man im Fahrwasser des Ukraine-Kriegs Sputnik und RT Deutsch die Verbreitung in Deutschland. Seit Beginn des Gazakriegs wurden Personen aufgrund israelkritischer Äußerungen Opfer staatlicher Repression. Es kommt nicht darauf an, ob man mit den Betroffenen in jeder Frage übereinstimmt. Es geht ums Prinzip. Und immer wieder vermengen Ministerium und Verfassungsschutz vorsätzlich das Gefahrenpotential von rechts mit der Systemkritik von links.

Der kategorische Imperativ gilt auch im Politischen. Einfacher: Für Linke sind Verbote gegen rechts deswegen interessant, weil es sie als nächstes treffen könnte. Bekanntlich wird die junge Welt vom Verfassungsschutz beobachtet, sie muss vor der Drohkulisse eines möglichen Verbots arbeiten. Unscheinbar, regelrecht beiläufig haben die Behörden rote Linien überschritten. Wenn Innenministerin Nancy Faeser den Beschluss gegen Compact damit begründet, dass man »auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen« muss, wiederholt sie, was Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am 1. April in der FAZ erklärt hatte: Nicht nur »Gewaltaufrufe« oder konkrete Planung von Gewalt seien Anlass, tätig zu werden, sondern auch die »Delegitimierung« der Bundesrepublik oder eines ihrer politischen Vertreter. Es langt also, dass jemand Kritik am kapitalistischen System übt oder das Grundgesetz durch Bestimmungen über Vergesellschaftung zu erweitern vorschlägt. Es langt, ein fundamentales Urteil zu äußern, um staatlicherseits verfolgt zu werden, selbst dann, wenn die betreffende Person keine Anstalten macht, ihren Worten Taten folgen zu lassen.

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Und das berührt eine größere Frage. Im Nebelwort der »wehrhaften Demokratie« kommt ein Widersinn zum Ausdruck, ein ganz logischer aber. Unter dem Vorwand, bürgerliche Freiheit zu schützen, wird bürgerliche Freiheit eingeschränkt. Im Moment des vermeintlichen Notstands zeigt sich, was der Möglichkeit nach immer schon vorlag: Die Werte der bürgerlichen Gesellschaft, auf denen das Selbstverständnis des sich freiheitlich sehenden Staats, mithin das Gefühl moralischer Dignität gegenüber autokratischen Systemen steht, sind nicht universell, sondern partikular. Sie werden abgebaut, sobald es erforderlich scheint. Freiheit wird gepflegt, solange sie nichts kostet. Dass diese Werte zur Stunde – und unter Beifall der Zivilgesellschaft – fallen, ist kein Skandal, es ist ein Wahrheitsereignis. Ein Staat macht sich kenntlich.

Quelle: junge Welt

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