16. März 2025
FriedensbewegungKulturUZ - Unsere Zeit

Kriegsübungen

Übernommen von Unsere Zeit:

Mit seinem Buch „Kognitive Kriegsführung“ hatte Jonas Tögel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Pädagogische Psychologie in Regensburg, 2023 eine Analyse der Manipulationstechniken zum Zweck der Kriegsführung insbesondere der NATO vorgelegt. Mit seinem neuen Buch „Kriegsspiele“ liefert er gewissermaßen die Hardware nach: „Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren“, lautet der Untertitel.

Im ersten Kapitel stellt Tögel die „Herzlandtheorie“ vor, die Europa als Dreh- und Angelpunkt geostrategischer Überlegungen definiert. Ursprünglich Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert, nehmen zeitgenössische Weltenplaner hierauf Bezug, so etwa der durch seine Schachbrett-Theorie bekannt gewordene US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński. Das Herzland sei der Schlüssel zur Weltherrschaft für die USA – unverzichtbar hierbei die Kontrolle der Länder „südlich von Russland, beispielsweise der Ukraine, (von) Usbekistan, Turkmenistan oder Georgien, die ebenfalls zum Herzland gehören“. (S. 16)

Kapitel 2 befasst sich mit dem „Kalten Krieg“. Nur wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen die Planungen zur Niederringung der So­wjet­union. Erst 1998 erfuhr die Weltöffentlichkeit von der diesbezüglichen Rede Winston Churchills zur „Operation Unthink-able“, in der der „totale Krieg“ mitgedacht war. „Die ‚Vernichtung von Russland‘ wurde dabei explizit mit einkalkuliert.“ (S. 23)

Weiter ging es mit „Plan Totalität“ (1945), „Operation Dropshot“ (1949), „Freibrief“ (1955), „Fähiger Bogenschütze“ (1983). Besonders bemerkenswert: die seit 1979 geführte „Stabsrahmenübung“ der NATO namens Wintex-Cimex mit der Simulation eines Krieges mit der So­wjet­union vom Kriegsausbruch bis zum Einsatz von Atomwaffen. 1989 sorgten die vorgegebenen Rahmenbedingungen für Widerstand in der Regierung Kohl. „Dabei simulierte man auch den Widerstand der Friedensbewegung sowie Streiks der Gewerkschaften, welche in dem Szenario die Nachschubwege der NATO-Truppen blockierten. Ein Teil des NATO-Plans gegen den Widerstand war, in verschiedenen Gebieten von Deutschland gegen die Streikenden mit Soldaten der Bundeswehr vorzugehen.“ (S. 45) In den Szenarien des „totalen Krieges“ wurde Deutschland Abwurfgebiet für Atombomben durch Truppen der NATO.

Ebenfalls dargestellt wird das Planspiel der So­wjet­union namens „Sieben Tage bis zum Rhein“ (ab 1964), in dem bei einem erwarteten Angriff der NATO auch der Einsatz von Atombomben eingeschlossen war.

Zusammenfassend stellt Tögel fest, „dass die (atomare) Zerstörung Deutschlands und auch anderer Länder Europas zu dem Zweck, die einfallende sowjetische Armee zu stoppen, ein wesentlicher Bestandteil regelmäßig stattfindender großflächiger Übungen von NATO sowie US-Militär war“. (S. 52) Diese Erfahrungen waren nach dem Wegfall der So­wjet­union als Gegner keinesfalls obsolet – sie finden aktuell ihren Niederschlag in den Auseinandersetzungen um die „Nukleare Teilhabe“, also der Stationierung von Atomraketen auf deutschem Boden.

Kapitel 3 widmet sich den „Kriegsszenarien der Gegenwart“. Viele Informationen darüber wurden erst Jahre später öffentlich, so etwa über die NATO-Übung „Steadfast Noon“ („Standhafter Mittag“). „In der Übung geht es darum, den Abwurf der circa 150 amerikanischen B-61-Wasserstoffbomben, die in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Italien und der Türkei lagern, zu trainieren.“ (S. 68) „Deutsche Soldaten trainieren bei NATO-Übungen mit amerikanischen Kampfjets den Abwurf amerikanischer Atombomben, die in Deutschland lagern und die vollständig in der Verfügungsgewalt der US-Militärs bleiben.“ Die potenziellen Ziele liegen ebenfalls in Deutschland oder Europa. (S. 72)

Die NATO-Übung „Steadfast Defender“ („Standhafter Verteidiger“) von 2024 verleitet den Autor zu dem Schluss, dass hier der Dritte Weltkrieg geprobt werden soll.

In Kapitel 4 gibt Tögel eine Einschätzung der „aktuellen militärischen Lage“, wobei der Ukraine-Krieg der nützliche Taktgeber zu sein scheint. Im September 2024 wurde die Ausschreibung des Pentagons für eine Studie veröffentlicht, in der die Auswirkungen eines Nuklearkriegs in Europa auf die Landwirtschaft untersucht werden sollen. „Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die NATO-Übung Wintex-Cimex aus dem Jahr 1989, während deren Verlauf klar wurde, dass von Deutschland in der nuklearen Auseinandersetzung nicht viel übrig bleiben würde“, zitiert Tögel die Schweizer „Weltwoche“. (S. 83)

Auch das Thema Kognitive Kriegsführung wird im letzten Teil des Buches als Bestandteil der Kriegsführung ergänzend vorgestellt.

Das Buch liefert eine Fülle an Informationen. Durch den Fokus auf die Aktivitäten von USA und NATO rückt das Agieren europäischer Länder und insbesondere Deutschlands in den Hintergrund. Es finden sich jedoch durchaus wichtige Informationen, wie Widerstände gegen die Pläne der USA durch die in Deutschland Regierenden immer weniger wurden. Dem abschließenden Aufruf des Autors ist zuzustimmen: Es wird an den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land liegen, die Umsetzung der Kriegspläne zu verhindern.

Jonas Tögel
Kriegsspiele
Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren.
Westend Verlag, Neu-Isenburg 2025, 96 Seiten, 15,00 Euro
Erhältlich im uzshop.de

Quelle: Unsere Zeit