Israels Angriff auf den Iran und die imperialistische Neugestaltung der Region
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Yusuf Karadaş
Mit dem großangelegten Angriff Israels auf strategische Einrichtungen und führende Persönlichkeiten im Iran hat die US-Politik, den Nahen Osten im Sinne ihrer Interessen neu zu gestalten, eine entscheidende Phase erreicht. Ziel der Angriffe waren unter anderem nukleare und militärische Anlagen in mehreren Städten – allen voran in Teheran. Dabei wurden auch hochrangige Persönlichkeiten, wie Irans Generalstabschef Mohammed Bagheri, der Kommandant der Revolutionsgarden Hussein Salami sowie zahlreiche Wissenschaftler, die an Nuklearanlagen arbeiteten, getötet. Obwohl Irans Antwort – der Abschuss von rund 100 Drohnen auf Israel – absehbar war, wird vor allem entscheidend sein, welche nächsten Schritte folgen und welche internationalen Kräfte sich einschalten. Davon hängt ab, welchen Umfang dieser Krieg annimmt und wie er sich auf die Region auswirkt.
Auch wenn US-Außenminister Rubio beteuert, dass sein Land mit dem israelischen Angriff nichts zu tun habe, wurde der Grundstein für diese Eskalation bereits im März durch Donald Trump gelegt. Direkt nach seinem Amtsantritt ließ Trump über die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eine Botschaft an Irans religiöses Oberhaupt Chamenei übermitteln. Darin forderte er ein neues Atomabkommen zu US-Bedingungen innerhalb von zwei Monaten – andernfalls drohte er mit einer „furchtbaren“ militärischen Antwort. Dass der Angriff Israels also in einer Phase stattfindet, in der Iran und die USA über das iranische Atomprogramm verhandeln, zeigt: Diese Aggression erfolgte nicht gegen den Willen der USA, sondern diente als Druckmittel, um die Verhandlungen im Sinne der USA zu beeinflussen. Dass der Iran sich daraufhin aus den für den 15. Juni geplanten Gesprächen in Oman zurückgezogen hat, ändert nichts an diesem Zusammenhang.
Zudem fällt der Angriff zeitlich zusammen mit einem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der dem Iran Verstöße gegen das Atomwaffensperrabkommen vorwirft. Gleichzeitig bereiten Großbritannien, Frankreich und Deutschland vor, diesen Bericht im UN-Sicherheitsrat zu nutzen, um neue Sanktionen gegen den Iran zu fordern. All das verdeutlicht: Israels Aggression stützt sich nicht nur auf Rückendeckung aus den USA, sondern auch auf Unterstützung durch europäische Imperialisten. In einer Zeit, in der der Westen die brutalen Angriffe Israels auf Gaza kaum noch rechtfertigen kann, lenkt der Angriff auf den Iran von Israels Kriegsverbrechen und der Komplizenschaft westlicher Staaten ab.
Zum Thema iranisches Atomprogramm sei Folgendes gesagt: Es wurde in den 1960er-Jahren unter der Schah-Herrschaft mit Unterstützung der USA und westlicher Staaten begonnen und nach der islamischen Revolution 1979 vom Mullah-Regime weitergeführt. Solange ein pro-westliches Regime an der Macht war, galt das Programm als legitim. Doch nach dem Regimewechsel wurde es von denselben Staaten als „Bedrohung“ eingestuft – ein anschauliches Beispiel dafür, wie internationale Regeln je nach politischen Interessen ausgelegt und instrumentalisiert werden.
2016 unterzeichnete der Iran mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats (USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich) sowie Deutschland – der sogenannten P5+1-Gruppe – ein Atomabkommen. Doch es war wiederum die US-Regierung unter Trump, die dieses Abkommen 2018 aufkündigte.
Wie zu Beginn erwähnt, markiert die direkte Eskalation gegenüber dem Iran eine neue Etappe in der Neuordnung des Nahen Ostens im Sinne US-amerikanischer Interessen. Diese begann bereits 2023 mit dem Angriff, der Besatzung und den Massakern in Gaza, bei denen Israel als militärischer Akteur im Vordergrund stand. Es folgten gezielte Angriffe auf die libanesische Hisbollah – eine der tragenden Kräfte der „Widerstandsachse“ – sowie auf das Assad-Regime in Syrien, das ebenfalls als bedeutende Gegenkraft zur US-israelischen Achse gilt. Nachdem Israel große Teile der militärischen Infrastruktur in Syrien zerstört und strategische Gebiete besetzt hatte, erklärte HTS-Führer Colani – der in Syrien an Macht gewann – offen, dass Iran die größte Bedrohung sei. Damit unterstützte er faktisch den Kurs Israels und ebnete den Weg für eine weitere Eskalation.
Es ist offensichtlich: Der wahre Grund für Israels Angriff – und den dahinterstehenden US-Imperialismus – ist nicht allein das iranische Atomprogramm. Ziel ist es, den Iran entweder durch ein erzwungenes Abkommen oder durch militärische Mittel zur Kapitulation zu zwingen. In der Folge sollen auch alle Verbündeten Irans in der Region – von der Hisbollah im Libanon über die Hashd al-Shaabi im Irak bis zu den Huthi im Jemen – ausgeschaltet werden. Gleichzeitig sollen die sogenannten Abraham-Abkommen mit arabischen Regimen fortgeführt werden, um die „Sicherheit Israels“ und die geopolitischen Interessen der USA in der Region dauerhaft abzusichern.
Trotz der Rückschläge für seine Verbündeten und der massiven Angriffe behauptet der Iran weiterhin seine Stellung als bedeutende Regionalmacht und ist nun direkt ins Fadenkreuz geraten. Doch darüber hinaus wird auch versucht, den Einfluss Russlands – das mit dem Iran Anfang 2025 ein strategisches Partnerschaftsabkommen geschlossen hat – und Chinas – das durch die „Neue Seidenstraße“ versucht, die Region als geopolitisches Drehkreuz zu nutzen – einzudämmen. Es bleibt daher abzuwarten, welche Haltung Russland und insbesondere China einnehmen werden, das bisher stets bemüht war, eine direkte Konfrontation mit den USA zu vermeiden.
Und schließlich zur Türkei: Auch wenn die Erdoğan-Regierung Israels Angriff auf den Iran „aufs Schärfste“ verurteilt, spielt sie faktisch eine Rolle in der US-Strategie zur Neuordnung des Nahen Ostens – und steht damit in der gleichen politischen Linie wie Israel. Deshalb vermeidet es AKP-Sprecher Ömer Çelik, bei seinen Stellungnahmen zur israelischen Aggression auch nur ein kritisches Wort über die USA zu verlieren. Die Erdoğan-Regierung war in der Vergangenheit ein aktiver Teil dieser Ordnungspolitik: durch ihre Rolle beim von Trump gelobten Regimewechsel in Syrien, durch ihre Bemühungen, im Irak als Gegengewicht zum Iran zu agieren, und durch die Fortsetzung wirtschaftlicher Beziehungen zu Israel – trotz aller öffentlicher Empörung. Gleichzeitig ist es jedoch auch richtig, dass die türkische Regierung besorgt ist über den wachsenden Einfluss Israels in der Region, der ihre eigenen Ambitionen einschränkt. Dieser scheinbare Widerspruch ist Ausdruck der doppelten Strategie Ankaras: Einerseits sucht die türkische Führung Kooperation mit dem US-Imperialismus, andererseits öffnet sie dadurch – gewollt oder ungewollt – auch Israel neue Handlungsspielräume. Solange diese Konkurrenz nicht in offenen Konflikt umschlägt, stellt sie für die USA kein Problem dar, sondern dient vielmehr als nützliches Instrument zur Umsetzung ihrer Regionalpolitik.
Die Entwicklungen seit den Massakern in Gaza im Jahr 2023 zeigen deutlich: Es reicht nicht aus, Israel zu verurteilen, um einen großflächigen Krieg in der Region zu verhindern. Man muss auch diejenigen ins Visier nehmen, die Israel stärken und stützen – allen voran die USA, ihre westlichen Verbündeten und kollaborierende Regime wie das der Erdoğan-Regierung. Diese Katastrophe lässt sich nur durch gemeinsame Kämpfe der Völker der Region gegen Imperialismus und Kollaboration abwenden – Kämpfe, die ethnische, religiöse und konfessionelle Grenzen überwinden und auf eine friedliche Zukunft für alle abzielen, getragen von internationaler Solidarität.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben