9. Juli 2025

9. Juli 2025
IranYeni Hayat

„Der gemeinsame Feind der Frauen im Iran und im Nahen Osten ist der Imperialismus“

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Ela Ava*

Während Israels Angriff auf den Iran andauert, haben wir mit Nazanin Asadi, Mitglied des Zentralkomitees der iranischen kommunistischen Frauenorganisation Osyan, über die Lebensbedingungen der Frauen im Iran und die Dynamiken des Widerstands gegen den Krieg gesprochen.

Wie war die Stimmung im Land, nachdem die Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran begonnen hatten? Wie verlief dieser Prozess?

Spulen wir ein wenig zurück. Nach der Ermordung von Mahsa Amini durch die Sittenpolizei im Jahr 2022 veränderten sich die Dynamiken des Frauenwiderstands im Iran grundlegend. Diese Phase brachte auch deutliche Errungenschaften mit sich. Das iranische Regime sah sich gezwungen, den Druck, den es seit Jahren auf Frauen ausübte, zumindest teilweise zu lockern. Das spiegelte sich unter anderem in der Kleidung wider. Zwar setzte die Regierung ihre Repressionen auch nach Aminis Tod fort – besonders auffällig waren dabei die aufeinanderfolgenden Todesurteile – doch im Inneren zeigte sich ein Bild, in dem das Volk selbstbewusster auftrat und die Regierung scheinbar einen Schritt zurück tat.

Doch nach Oktober 2023 änderte sich alles – sowohl für die Region als auch für den Iran.

EINE VOLLE UNTERWERFUNG WIRD AUFGEZWUNGEN

Die Umsetzung des neuen „Nahost-Plans“ der USA begann in Palästina, setzte sich im Libanon, Syrien und Jemen fort – und nun ist der Iran an der Reihe. Tatsächlich wollten die USA den Iran zur „Kapitulation“ zwingen, indem sie dessen Stellvertreterkräfte entweder vernichteten oder stark schwächten.

In diesem Klima reagierte der Iran positiv auf Trumps angebliche Verhandlungsangebote. Der Iran versuchte, diesen Prozess mit bestimmten Zugeständnissen zu überstehen. Doch so kam es nicht. Im Inneren gab es starke Opposition gegen das Regime und von außen forderte Trump eine völlige Unterwerfung. Ein Einlenken hätte – angesichts der inneren Oppositionslage – eine bedingungslose Kapitulation bedeutet.

Nach Beginn des Krieges wurden zahlreiche Stellungnahmen veröffentlicht, von denen ein großer Teil von rechter Propaganda geprägt war. Die Idee, das iranische Regime durch imperialistische Intervention zu stürzen, wird von der Rechten als positive Entwicklung dargestellt. Gleichzeitig wird jeder, der sich gegen den Imperialismus stellt, automatisch mit dem iranischen Regime gleichgesetzt.

In diesem Klima stellt sich die Frage: Wie betreiben linke, sozialistische oder fortschrittliche Frauenbewegungen ihre politische Arbeit?

Nach dem Krieg bildeten sich tatsächlich drei unterschiedliche Hauptströmungen. Die Rechten, die den Sohn des ehemaligen Schahs, Reza Pahlavi, unterstützen, hatten bereits lange auf diesen Moment gewartet. Im Inneren hatten sie keine politische Kraft, keine breite Anhängerschaft – doch durch die Angriffe Israels sahen sie nun ihre Chance gekommen. Die völlige Zerstörung der iranischen Infrastruktur durch Israel wurde von diesen Gruppen mit Freude begrüßt.

Und jetzt greifen genau diese Gruppen all jene an, die sich gegen den Krieg stellen – ob Organisationen oder Einzelpersonen. Sie attackieren Kriegsgegner bei Demonstrationen und versuchen im Inland kritische Stimmen durch Diffamierung als „Regimeanhänger“ mundtot zu machen.

WIR RUFEN ZUM KRIEGSWIDERSTAND AUF“

Diese Gruppen schieben die gesamte Schuld dem iranischen Regime zu und versuchen damit, Israel und die USA von jeder Verantwortung reinzuwaschen. Tatsächlich legitimieren sie damit diesen Angriff. Ja, wir kennen die wahre Natur des iranischen Regimes und kämpfen dagegen an. Aber das ist jetzt nicht der entscheidende Punkt. Die Konflikte des Imperialismus haben nirgendwo auf die Welt Freiheit gebracht – und werden auch im Iran keine Freiheit bringen.

Andere Gruppen stellen sich unter der Flagge der iranischen Regierung gegen Israel. Das ist eine weitere Seite. Aber wir selbst unterstützen das Regime heute nicht. Am wichtigsten ist, dass wir heute progressive Kräfte und die arbeitende Bevölkerung aufrufen, sich im Kampf gegen den Krieg zu vereinen.

Was erleben Frauen unter Kriegsbedingungen? Wie wird der Frauenkampf weitergehen?

Seit dem Völkermord in Palästina spüren besonders Frauen die Auswirkungen des Krieges. Frauenorganisationen versuchen, darauf aufmerksam zu machen. Die Stellungnahmen von Osyan unter dem Titel „Krieg gegen Frauen, Frauen gegen den Krieg“ weisen genau auf diese Auswirkungen hin. Das iranische Regime wusste, dass es auch sie treffen würde und deshalb haben die Repressionen gegen Frauen in dieser Zeit zugenommen. Besonders deutlich wurde dies durch Verhaftungen und die Verhängung von Todesurteilen gegen Frauen.

Eine weitere Realität ist, dass Frauen unter Kriegsbedingungen benachteiligt sind. Die Pflegeverantwortung lastet weiterhin vor allem auf den Frauen. Deshalb müssen Frauen klar und entschieden gegen den Krieg Stellung beziehen und sogar an vorderster Front den Widerstand gegen den Krieg vorantreiben. Diese Kriege werden einzig und allein im Interesse der USA geführt und ausgeweitet. So wie heute in den USA Trump frauenfeindliche Politik vorantreibt und gleichzeitig gegen alle Gruppen mit anderer sexueller Orientierung vorgeht, ist es ausgeschlossen, dass das Ergebnis dieses Krieges für Frauen positiv sein wird.

JETZT IST ERST RECHT DIE ZEIT!

Gleichzeitig müssen wir im Iran breite Bündnisse gegen den Krieg stärken. Sich auf das iranische Regime zu verlassen oder sich von nationalistischen Propaganda und „nationalen“ Parolen blenden zu lassen, ist für das iranische Volk eine längst überwundene Realität. Wichtig ist, dass gerade jetzt die Frauen, die seit langem an vorderster Front im Kampf gegen das iranische Regime stehen, auch im Kampf gegen den Krieg eine führende Rolle einnehmen.

In diesem Prozess wird wieder die Frage aufkommen: „Ist jetzt wirklich die Zeit für die Frauenfrage?“ Ja, genau jetzt ist die Zeit dafür. Direkt nach der Revolution und während des Iran-Irak-Krieges haben wir diese Erfahrungen gemacht. Die Debatten „Jetzt ist nicht die Zeit“ haben wir längst hinter uns gelassen. Es gibt keine richtige oder falsche Zeit für den Kampf – wir müssen klar unsere Linie ziehen und den Widerstand konsequent vorantreiben.

Wie sollten fortschrittliche Kräfte unter diesen Bedingungen handeln und wie können Frauen im Nahen Osten die Solidarität und den Widerstand stärken?

Historisch befinden wir uns in einer sehr wichtigen Phase. Die Kapitalakkumulation steht vor Krisen und der Imperialismus ist gezwungen, sich durch Kriege neu zu beleben. Dieser blutige Prozess betrifft nicht nur den Iran und den Nahen Osten, sondern die ganze Welt und hat die Zukunft der Völker der Welt untrennbar miteinander verbunden. Dieser globalen Zerstörung können wir nur mit einem internationalen Kampf begegnen. Natürlich tragen wir in unserer Region und unserem Land die Verantwortung, gegen das herrschende System zu kämpfen. Doch diese Kämpfe sind nicht voneinander unabhängig. Der Imperialismus ist besser ausgerüstet, es gibt Atomwaffen und ein Kontrollverlust des Krieges würde die Völker der ganzen Welt in die Dunkelheit stürzen.

LASST UNS DIE IMPERIALISTISCHE SACKGASSE ZUR CHANCE MACHEN

Wenn dieses System auch nur einen einzigen Tag länger weiterbesteht, bedeutet das große Zerstörung und Leid. Heute ist unser gemeinsamer Feind der Imperialismus. Deshalb ist ein internationaler Kampf gegen den Imperialismus wichtiger denn je. Auf die Frauen im Nahen Osten, die jahrelang unter der Unterdrückung durch diktatorische und reaktionäre Regierungen gelebt haben, fällt dabei eine besondere Verantwortung. Denn gerade jene reaktionären Kräfte, die dieses System braucht, sind gezwungen, sich gegen imperialistische Interventionen zu wehren.

Das ist nicht unmöglich – im Gegenteil, dieser Prozess zeigt, dass der Imperialismus in einer Sackgasse steckt. Diese Situation zu einer Chance zu machen, liegt in den Händen der Völker der Welt und insbesondere der Frauen. Über bloße Solidarität hinaus müssen wir uns in gemeinsamen Kämpfen zusammenschließen.

  • Das Interview ist auf der türkischsprachigen Plattform „Ekmek ve Gül“ [Brot und Rosen] erschienen und wurde von uns ins Deutsche übersetzt.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben