Hoffnung für syrische Kriegsdienstverweigerer

EuGH-Entscheidung bestätigt die  PRO ASYL-Position: BAMF hat zu Unrecht den Flüchtlingsstatus verweigert

Der EuGH hat am 19. November in einem Verfahren gegen Deutschland über Fragen zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für syrische Kriegsdienstverweigerer entschieden. Die Entscheidung macht deutlich: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat in den letzten Jahren zahlreichen Kriegsdienstverweigerern aus Syrien den ihnen zustehenden Flüchtlingsstatus zu Unrecht verweigert.  PRO ASYL hat das Verfahren aus dem  PRO ASYL-Rechtshilfefonds unterstützt.

Geschäftsführer Günter Burkhardt begrüßte das Urteil als Meilenstein. „Die rechtswidrige Praktik des BAMF syrischen Kriegsdienstverweigerern den vollen Flüchtlingsstatus zu verweigern, muss nun aufhören. Wer vor dem Terrorregime Assads flieht und sich dem Wehrdienst entzieht, hat ein Recht auf Asyl.“  PRO ASYL fordert den Bundestag und die Bundesregierung auf, politische Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen und den zu Unrecht als GFK-Flüchtlingen Abgelehnten den Familiennachzug zu ermöglichen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem vollen Flüchtlingsschutz nach der GFK und dem sogenannten subsidiären Schutz ist nämlich das Recht auf Familiennachzug, der in Deutschland seit März 2016 ausgesetzt wurde und zum 1.8.2018 durch ein Gnadenrecht für 1.000 Fälle pro Monat ersetzt wurde.

Der EUGH hatte nun klar festgestellt:

„In vielen Fällen ist die Verweigerung des Militärdienstes allerdings Ausdruck politischer Überzeugungen – sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen –, religiöser Überzeugungen oder hat ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Somit spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den Bedingungen der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssache mit einem der fünf Gründe in Zusammenhang steht, die einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen. Nicht der Betroffene muss diese Verknüpfung beweisen, sondern es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen.“

Wurden bis Ende 2015 Geflüchtete aus Syrien im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens noch in 99,7% der Fälle als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. als Asylberechtigte nach dem Grundgesetz anerkannt, änderte sich die Anerkennungspraxis danach massiv. Im Jahr 2016 bekamen nur noch 58% der syrischen Antragsteller*innen Schutz nach der GFK bzw. dem Grundgesetz, 42% erhielten subsidiären Schutz. Im Jahr 2017 wurden 38% der syrischen Antragsteller*innen nach der GFK bzw. dem Grundgesetz anerkannt, dagegen erhielt mit 61% die Mehrheit den subsidiären Schutz.

Damit der Verweigerung des Flüchtlingsschutzes nun auch die Verweigerung bzw. Erschwerung des Familiennachzugs einherging, klagten viele syrische Geflüchtete (sogenannte Aufstockungsklagen). Auch der Flüchtling EZ klagte – und zog mit Unterstützung durch den  PRO ASYL Rechtshilfefonds, vor den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

Was bedeutet das Urteil für syrische Flüchtlinge in Deutschland?

EZ kann nun hoffen, dass das VG Hannover ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt und dies auch, wenn das BAMF in Berufung gehen sollte, Bestand haben wird. Auch für andere noch bei Gerichten oder beim BAMF anhängigen Verfahren kann und sollte sich diese Entscheidung positiv auswirken. –Für Kriegsdienstverweigerer, die mit der vom EuGH nun abgelehnten Begründung abgelehnt wurden und deren Verfahren schon rechtskräftig abgeschlossen ist, macht das Urteil leider keinen Unterschied mehr. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bewirkt selbst eine Entscheidung des EuGHs keine Änderung der Rechtslage, die als Anlass für einen Folgeantrag gilt. (Update der Redaktion, 16.30 Uhr: Für Kriegsdienstverweigerer, denen in den letzten Jahren in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft verweigert wurde und deren Verfahren schon rechtskräftig abgeschlossen ist, stellt sich nun die Frage, ob das Urteil auch bei ihnen einen Unterschied macht. Bislang galt eigentlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass selbst eine Entscheidung des EuGHs keine Änderung der Rechtslage ist, die einen Folgeantrag ermöglicht. Doch eine weitere Entscheidung des EuGHs vom 14. Mai 2020 zu den ungarischen Transitzonen sorgt hier für Bewegung. In dem Urteil stellte der EuGH fest, dass eine Entscheidung im Erstverfahren, die vom EuGH als unionsrechtswidrig befunden wurde, sehr wohl eine neue Erkenntnis ist, die einen Folgeantrag begründen kann – allerdings nicht automatisch, ein Antrag der Betroffenen wäre notwendig (Rn. 190 ff; so auch Dr. Constantin Hruschka bei LTO). Dies muss jetzt für diese Konstellation genau geprüft werden – PRO ASYL wird an dem Thema dran bleiben und informieren.)

Dies entbehrt auch angesichts der hunderttausenden Widerrufsverfahren, die vom BAMF aktuell durchgeführt werden, nicht eines gewissen Zynismus: Obwohl sich in den Hauptherkunftsländern die Lage nicht geändert hat, werden für die Widerrufs- und Rücknahmeverfahren die Akten auf Wiedervorlage genommen – bei möglichen Verbesserungen aber nicht. Letztlich zeigt die Entscheidung einmal mehr, dass die Aussetzung des Familiennachzugs von 2016 bis 2018 und die seit 2018 bestehende Kontingentlösung für den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte das primäre Problem ist, da sie eine ungerechtfertigte Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten vornimmt. Die Rechte von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten müssen endlich wieder angeglichen werden.

Mit seiner Entscheidung im Fall EZ gegen Deutschland hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen des Verwaltungsgerichts Hannovers beantwortet, die die deutsche Rechtsprechung schon länger entzweit haben (für eine Übersicht der Rechtsprechung siehe Infoverbund vom 16.04.2020).

Dabei geht es um die essentielle Frage, wann bei syrischen Kriegsdienstverweigerern von einer Flüchtlingseigenschaft ausgegangen werden kann. In Deutschland bekommen Syrer*innen mittlerweile mehrheitlich den subsidiären Schutz und nicht die Flüchtlingseigenschaft.

In Syrien sind Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren wehrpflichtig, doch es kommt auch zum Einzug von jüngeren oder älteren Männern. Die Wehrdienstentziehung ist eine Straftat und wird laut UNHCR von der Regierung »wahrscheinlich als politische, regierungsfeindliche Handlung angesehen« was zu schärferen Strafen als den regulär vorgesehenen Sanktionen führen kann. Dies kann Haft sein, in der Folter und andere Misshandlung droht, oder der Einsatz an vorderster Front ohne ausreichende militärische Ausbildung. Mit Beginn des Bürgerkriegs kam es zu massenhafter Zwangsrekrutierung. Deserteuren drohen lange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe – in der Praxis kam es oft zu direkten Erschießungen von gefassten Deserteuren (Quellen: UNHCR, Schweizerische Flüchtlingshilfe, adopt a revolution). Im syrischen Bürgerkrieg werden regelmäßig Kriegsverbrechen begangen, auch gegen Zivilist*innen (Quellen: Amnesty International, Human Rights Watch). Auch dieses Jahr kommt es weiterhin zu Kampfhandlungen.

Quelle: Pro Asyl – Hoffnung für syrische Kriegsdienstverweigerer