Vom Niedergang der »Volksparteien«

Nach erneuten, massiven Stimmeinbußen der LSAP und der CSV bei den Chamberwahlen vom 14. Oktober gab es Kommentatoren, die deren Verluste darauf zurückführten, dass die »Volksparteien« es immer schwerer hätten, und es möglicherweise bald keine mehr geben werde. Allerdings wurden keine Erklärungen für diese Entwicklung geliefert, es sei denn, es wurde auf den zunehmenden »Individualismus« verwiesen.

Höhepunkt der »Volksparteien« – das Gegenteil von Klassenparteien – waren auch in Luxemburg die »Trente Glorieuses«, das Goldene Zeitalter des Kapitalismus zwischen 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und dem Jahr 1974, in Luxemburg der Beginn einer wirtschaftlichen Umstrukturierung, welche mit der fast völligen Demontage der Hüttenwerke endete.

Die wirtschaftliche Grundlage dieser »Trente Glorieuses« ebnete den »Volksparteien«, in denen sich Bauern, Kleinbürger, Arbeiter, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Konzernherren zusammenfanden, den Weg – weg von den Klasseninteressen der verschiedenen Bevölkerungsschichten, hin zu klassenübergreifenden, »nationalen« Interessen.

Dies hatte auch zur Folge, dass sich in den »Volksparteien« zwar starke Gewerkschaftsflügel entwickelten, die allerdings im Rahmen des Kapitalismus, der in »soziale Marktwirtschaft« umbenannt wurde, tätig waren und die Regierungspolitik ihrer »Volkspartei«, die den Interessen des Kapitals untergeordnet war, zu keinem Zeitpunkt grundlegend in Frage stellten.

Die marktradikale, neoliberale Wende in den späten 1970er und den 1980er Jahren, die mit tiefgreifenden wirtschaftlichen Umbrüchen verbunden war, war der Anfang vom Ende der »Volksparteien«.

Ganz deutlich wurden diese Entwicklungstendenzen allerdings erst weitaus später, was dadurch zu erklären ist, dass der gesellschaftliche Überbau es so an sich hat, dass er dem wirtschaftlichen Unterbau mit mehr oder weniger großer Verzögerung hinterherhinkt.

Das hatte zur Folge, dass die nächsten Generationen bestimmter Bevölkerungsschichten, Kleinbürger und Intellektuelle, aber auch Verlierer der kapitalistischen Krise, den »Volksparteien« den Rücken kehrten und den Aufstieg der Grünen und der rechtspopulistischen adr ermöglichten. Gleichzeitig erfolgte eine zunehmende Abgrenzung der Gewerkschaften OGBL und LCGB von den »Volksparteien« LSAP und CSV. Auswirkungen hatte diese Entwicklung aber zum Beispiel auch auf eine Klassenpartei wie die KPL, die sich spaltete, obwohl da zusätzlich die Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg eine wesentliche Rolle spielte.

Die Entwicklung weg von den traditionellen »Volksparteien« ist nicht abgeschlossen, wie die Resultate der Chamberwahlen vom 14. Oktober deutlich machten.
Daneben macht sich, parallel zur zunehmenden politischen Fraktionierung, eine andere Tendenz immer stärker bemerkbar. Mehr als 43.000 Wahlberechte gingen erst gar nicht in die Wahlkabine, wählten ungültig oder warfen einen weißen Wahlzettel in die Urne. Während der größere Teil der traditionellen Arbeiter, weil sie keinen Luxemburger Pass haben, ohnehin nicht wahlberechtigt sind. Das macht es für eine Klassenpartei auch in einer Zeit des Niedergangs der »Volksparteien« nicht einfacher.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek