Unsolidarische Exit-Strategien

Während der zwei jüngsten Sitzungen der Chamber wurde sich darüber gefreut, dass der nationale Zusammenhalt funktioniert, und dass das Land verhältnismäßig gut durch die Corona-Krise kommt. Und da es inzwischen dank der Volksrepublik China auch genug Masken gibt, die von Tausenden Helfern über die Kommunen an die Bevölkerung verteilt werden, sind auch die widersprüchlichen Aussagen zum Tragen von Masken verstummt.

Tatsache ist, dass es seit Wochen viele konkrete Solidaritätsbeweise in der Gesellschaft gibt, und es wäre schön, wenn sie die Gesundheitskrise überdauern würden.

Doch der Solidarität sind enge Grenzen gesetzt, weil es gesellschaftliche Mechanismen, Partikularinteressen und Gesetze gibt, die der Solidarität als Ausdruck sozialer Gerechtigkeit wesensfremd sind. Dazu zählt die Weigerung, Lohnabhängigen bei Kurzarbeit nicht 80 sondern 100 Prozent des bisherigen Lohnes auszuzahlen, wie das OGBL und KPL fordern.

Ganz im Sinne der Solidarität wäre auch, wenn den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen eine einmalige Prämie ausbezahlt würde – die steuerfrei sein müsste, möchten wir hinzufügen. Das als populistisch zu bezeichnen, wie das Premierminister Bettel tat, ist Ausdruck unsolidarischen Verhaltens.

Natürlich geht dem CSV-Vorschlag eine gewisse Demagogie nicht ab, da die CSV, zusammen mit der derzeitigen Regierung von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen Verantwortung dafür trägt, dass es so große Mängel im Gesundheitswesen gibt – angefangen beim Personalmangel, der sich dadurch bemerkbar machte, dass das Personal in einer ganzen Reihe von Abteilungen in Krankenhäusern schon vor der Corona-Krise auf dem Zahnfleisch ging.

Um ehrlich zu sein: Wir zweifeln daran, dass die massive Aufstockung des Krankenhauspersonals auf Regierungsseite Teil der Exit-Strategie sein wird und der Lehren, die aus der Gesundheitskrise zu ziehen sein werden. Es sei denn es gelingt den Schaffenden und ihren Gewerkschaften, sich gegen die Regierung und die ausschließlich auf Profit ausgerichteten Marktmechanismen durchzusetzen.

Apropos Exit-Strategie: Die Schnelle, mit der Teile der Wirtschaft wieder hochgefahren werden, wirft die Frage auf, ob das tatsächlich mit der Gesundheit der Beschäftigten zu vereinbaren ist. Vorsorglich hat sich die Regierung in dieser Angelegenheit nicht Rat bei den Vertretern der Lohnabhängigen aus der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst geholt, sondern bei einer Beratergesellschaft aus der Privatwirtschaft.

Die Lockerungen für Kleinunternehmen im Handwerk und im Handel, die gegenüber den Marktführern immer weiter ins Hintertreffen gelangen, werden hingegen mit dem Hinweis auf gesundheitliche Risiken hinausgezögert, obwohl sich die Frage in Großunternehmen und im Bauwesen grundsätzlich nicht anders stellt.

Für die meisten Kleinbetriebe, Geschäfte, Restaurants und Cafés wird sich die Existenzfrage stellen, denn die Hilfen, die ihnen die Regierung zukommen lässt, dürfte in vielen Fällen nicht reichen, um die Gesundheits- und Wirtschaftskrise zu überleben.

Die Kapitalisten nennen das Marktbereinigung, die das Gegenteil von Solidarität ist. Da wären wir dann schon wieder in der Normalität angelangt. Dazu gehören wird auch, dass – wie bei allen vorherigen Krisen – ganz unsolidarisch versucht werden wird, die Lohnabhängigen zur Kasse zu bitten, um die Folgen der Krise zu bezahlen.

Ali Ruckert

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek