Rassistische Polizeigewalt in Österreich

Nach der Tötung des Afro­ame­ri­ka­ners Geor­ge Floyd durch die Poli­zei der US-Stadt Min­nea­po­lis kon­zen­trie­ren sich zurecht Wut, Pro­test und Unver­ständ­nis auf die ras­sis­ti­sche Kom­po­nen­te des Herr­schafts­sys­tems der USA. Kein ande­rer Staat der Erde ver­zeich­net eine ähn­lich hohe Zahl an Poli­zei­über­grif­fen gegen­über Min­der­hei­ten, in die­sem Fall ins­be­son­de­re eben gegen­über Afro­ame­ri­ka­nern.

Doch man soll­te es sich in Euro­pa nicht sehr in heuch­le­ri­scher Über­le­gen­heit gegen­über den USA bequem machen. Auch dies­seits des Atlan­tiks sind die staat­li­chen und Poli­zei­be­hör­den kein Hort der Men­schen­rech­te, der Gleich­be­rech­ti­gung und des Anti­ras­sis­mus – im Gegen­teil: Auch in Öster­reich gibt es eine lan­ge Lis­te poli­zei­li­cher Über­grif­fe gegen Men­schen, denen ihre afri­ka­ni­sche Her­kunft zum Ver­häng­nis wur­de.

Die Causa Omofuma

Zu den bekann­tes­ten Fäl­len zählt der Tod des 25-jäh­­ri­­gen Nige­ria­ners Mar­cus Omo­fu­ma, der im Mai 1999 auf einem Abschie­be­flug von Wien-Schwe­chat nach Sofia im Gewahr­sam der öster­rei­chi­schen Frem­den­po­li­zei starb. Er wur­de von den Beam­ten mit Kle­be­band an sei­nen Sitz gefes­selt, schließ­lich wur­den ihm auch Mund und Nase zuge­klebt: Er ist erstickt. Zu die­sem Zeit­punkt war das zustän­di­ge Innen­mi­nis­te­ri­um seit 30 Jah­ren von der SPÖ besetzt.

Im Juli 2003 starb der aus Mau­re­ta­ni­en stam­men­de Phy­sik­stu­dent Sei­ba­ne Wague am Wie­ner Heu­markt. Er wehr­te sich gegen die zwangs­wei­se Ver­brin­gung in eine psych­ia­tri­sche Kli­nik und wur­de von der Poli­zei schließ­lich lie­gend fixiert: In Bauch­la­ge, die Hän­de am Rücken gefes­selt, lag er meh­re­re Minu­ten auf der Stra­ße. Sechs Poli­zis­ten und drei Ret­tungs­sa­ni­tä­ter waren betei­ligt. Mit ihrem eige­nen Kör­per­ge­wicht drück­ten sie Wague zu Boden, bis des­sen Kreis­lauf ver­sag­te. Ein ärzt­li­ches Gut­ach­ten kon­sta­tier­te einen lage­be­ding­ten Ersti­ckungs­tod. Der zustän­di­ge ÖVP-Innen­­mi­­nis­­ter ging spä­ter ins Gefäng­nis – aller­dings wegen einer ande­ren Ange­le­gen­heit: Ernst Stras­ser erwies sich als kor­rupt.

Todesfälle in Polizeigewahrsam

Die Lis­te der Opfer lässt sich fort­set­zen: Richard Ibe­kwe (Jugend­jus­tiz­an­stalt Röden­gas­se, Wien), John­son Okpa­ra (Jugend­straf­an­stalt Wien-Erd­­berg), Edwin Ndu­pu (Jus­tiz­an­stalt Krems-Stein), Yan­ku­ba Cee­say (Poli­zei­haft, Linz), Essa Tou­ray (Wie­ner Donau­ka­nal) – sie alle star­ben bei Amts­hand­lun­gen der öster­rei­chi­schen Poli­zei bzw. in Gewahr­sam von Poli­zei oder Jus­tiz­voll­zug, Miss­hand­lun­gen inklu­si­ve. Und das sind nur Fäl­le seit der Jahr­tau­send­wen­de.

Zwei Fäl­le nicht töd­li­cher, aber mas­si­ver Poli­zei­über­grif­fe gegen Schwar­ze sind eben­falls einer brei­te­ren Öffent­lich­keit bekannt gewor­den: Nach­dem im April 2006 eine Abschie­bung nicht durch­ge­führt wer­den konn­te, wur­de der aus Gam­bia stam­men­de Baka­ry J. von der poli­zei­li­chen Spe­zi­al­ein­heit WEGA stun­den­lang in einer Lager­hal­le schwer miss­han­delt, ver­prü­gelt und regel­recht gefol­tert. Im Febru­ar 2009 wur­de klar, dass dun­kel­häu­ti­ge US-Bür­­ger auch in Öster­reich nicht vor der Poli­zei sicher sind: Der afro­ame­ri­ka­ni­sche Leh­rer Mike B. wur­de von Poli­zis­ten in der Wie­ner U‑Bahn ver­prü­gelt und lan­de­te im Bri­git­ten­au­er Unfall­kran­ken­haus. Die Poli­zei sprach von einer „Ver­wechs­lung“, was jedoch ledig­lich die Opfer­aus­wahl, nicht aber den Über­griff erklärt.

Natür­lich ist die Zahl der dun­kel­häu­ti­gen Poli­zei­op­fer in Öster­reich gerin­ger als in den USA, Groß­bri­tan­ni­en oder Frank­reich – denn es gibt hier schlicht und ergrei­fend weni­ger Men­schen, die selbst oder deren Vor­fah­ren aus Afri­ka stam­men. Aber das ist nur ein his­to­ri­scher Zufall. Hin­zu kommt natür­lich, dass in den USA eine gesell­schaft­lich zer­rüt­te­te Ver­fasst­heit grö­ße­rer Ungleich­heit und höhe­rer Gewalt­be­reit­schaft vor­liegt als im heu­ti­gen Öster­reich: Die Eska­la­ti­ons­stu­fe des Ras­sis­mus und der Poli­zei­ge­walt ist gegen­wär­tig frag­los eine ande­re. Nichts­des­to­trotz ist es so, dass die öster­rei­chi­sche Poli­zei sehr wohl dar­auf spe­zia­li­siert ist, nach ras­sis­ti­schen Kri­te­ri­en zu agie­ren: Ihre Opfer stam­men in grö­ße­rer Zahl eben aus der Tür­kei, Kur­di­stan, dem Iran oder aus ara­bi­schen Län­dern. Auch Men­schen aus Jugo­sla­wi­en und Alba­ni­en, Roma oder ost­eu­ro­päi­sche Men­schen gera­ten leicht ins Visier frem­den­feind­li­cher Poli­zei­ak­tio­nen. Miss­hand­lun­gen und Schi­ka­nen sind auf der Tages­ord­nung, Tötun­gen zum Glück nicht. Doch es gibt sie – und jeder ein­zel­ne Fall ist einer zu viel.

Es geht aller­dings nicht um das „Fehl­ver­hal­ten“ ein­zel­ner Beam­ter, auch nicht um fehl­ge­lei­te­ten „Korps­geist“ oder psy­cho­lo­gi­sche und ethi­sche Defi­zi­te bei der Poli­zei­aus­bil­dung. Denn Ras­sis­mus und Frem­den­feind­lich­keit gehö­ren zu den geziel­ten Herr­schafts­me­tho­den des Kapi­ta­lis­mus und Impe­ria­lis­mus. Die­se Herr­schaft bedient sich ganz bewusst und gewis­ser­ma­ßen „vor­beu­gend“ der gewalt­sa­men Repres­si­on, der Ein­schüch­te­rung, Ent­wür­di­gung, Dis­kri­mi­nie­rung und Spal­tung der Unter­drück­ten. Min­der­hei­ten, Migran­ten und Flücht­lin­ge bekom­men dies als ers­te und fast tag­täg­lich zu spü­ren, was aller­dings auch eine Droh­bot­schaft an alle sein soll. Dage­gen hel­fen nur der gemein­sa­me Wider­stand, Soli­da­ri­tät und Kampf gegen das Unter­drü­ckungs­sys­tem in allen Facet­ten. Das gilt in den USA eben­so wie in Öster­reich.

Quelle:

Zeitung der Arbeit