Wenn zwei sich streiten

Sie war tatsächlich noch ein kleiner Paukenschlag zum Jahresausklang: die Einigung auf das seit sieben Jahren verhandelte Investitionsabkommen zwischen der EU und China, die beide Seiten am 30. Dezember trafen. „Comprehensive Agreement on Investment (CAI)“ lautet der formale Titel des Dokuments, das nun – nach einigen noch ausstehenden Detailabstimmungen – in alle EU-Amtssprachen übersetzt und vom Europaparlament verabschiedet werden muss, bevor es, sofern alles gutgeht, 2022 in Kraft treten kann. Das CAI birgt keine Überraschungen; es legt allerdings einmal mehr die schon lange schwelenden innerwestlichen Rivalitäten offen.

Inhaltlich schreibt das CAI die längst im Gange befindliche Öffnung Chinas für westliche Firmen fort. Schon jetzt können ausländische Konzerne in ausgewählten Branchen in der Volksrepublik investieren, ohne ein Joint Venture mit einem chinesischen Unternehmen gründen zu müssen, und in den vergangenen Jahren ist Peking zudem dazu übergegangen, andere Branchen für den Einstieg westlicher Unternehmen zu öffnen, Teile des Finanzsektors etwa. Das wird nun ausgeweitet – etwa auf den Telekommunikations- und den Gesundheitssektor. Der Zwang zum Technologietransfer wird reduziert – eine Parallele zum „Phase One Deal“, den die Trump-Regierung im Januar 2020 mit Peking aushandelte. Nachteile für Unternehmen aus der EU beim Akquirieren von Aufträgen chinesischer Staatskonzerne werden verringert; die Transparenz bei Staatssubventionen wird erhöht: Nichts Umstürzendes, aber doch gewisse Fortschritte auf dem Weg, die Verankerung deutscher Unternehmen in der Volksrepublik zu stärken, die bereits jetzt für die deutsche Industrie ein unverzichtbarer Absatz- und Beschaffungsmarkt ist.

Genau dies führt zu ersten größeren Dissonanzen im Verhältnis zur künftigen US-Regierung. President-elect Joe Biden und die Führungsriege um ihn herum haben kaum Zweifel gelassen, dass sie den Trumpschen Wirtschaftskrieg gegen China im Kern fortsetzen wollen. Dazu gehört unter anderem eine ökonomische „Entkopplung“ („Decoup­ling“) von der Volksrepublik – in der Absicht, deren Aufstieg in letzter Minute zu stoppen. Ein Decoupling von ihrem Zukunftsmarkt China wäre nun aber für die deutsche Industrie verheerend; die Handelskammer der EU in China wird in Kürze einen Bericht vorlegen, der die drohenden Schäden einer derartigen Entkopplung bilanziert. Die Einigung auf das CAI ist eine klare Absage an ein Decoupling, eine Bestätigung der beharrlich wiederholten Äußerungen aus Berlin und Brüssel, China sei eben nicht nur „ökonomischer Wettbewerber“ und „Systemrivale“, sondern auch „Wirtschaftspartner“. Der Grund: Anders als die USA, denen es ausschließlich darum geht, ihre eigene Dominanz zu wahren, wollen Deutschland und die EU nicht nur den chinesischen Aufstieg bremsen, sondern auch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten gelangen. Dazu aber benötigen sie ungeachtet aller sonstigen antichinesischen Agitation die satten Profite aus dem Chinageschäft.

Dabei ist auch die EU kein einheitlicher Block. Das CAI bedient vor allem deutsche Interessen: Kein EU-Land hat höhere Beträge in China investiert als die Bundesrepublik (86 Milliarden Euro); Frankreich etwa (25 Milliarden Euro) liegt weit zurück. Ähnlich sind die Verhältnisse beim Handel (EU im Jahr 2019: 560 Milliarden Euro, davon Deutschland: 206 Milliarden Euro). Das CAI kann mit dem China-Geschäft leicht auch die deutsche Dominanz in der EU weiter stärken – ein Grund dafür, dass Länder wie Frankreich oder Italien, deren Interessen in der Union weit weniger berücksichtigt werden, sich bis zuletzt gegen das Abkommen sperrten. Zu den transatlantischen kommen die innereuropäischen Rivalitäten also hinzu. Beide helfen China: Dessen Hoffnung, den eigenen Aufstieg gegen den Westen durchsetzen zu können, beruht nicht zuletzt auf dem Versuch, die innerwestlichen Widersprüche zu nutzen, um die Entstehung einer knallhart geschlossenen antichinesischen Front zu verhindern.

Quelle: UZ – Unsere Zeit – Wenn zwei sich streiten