Geheuchelte Solidarität

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
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Nach den schweren Ausschreitungen der faschistischen Partei Forza Nuova (FN) am vergangenen Wochenende in Rom saß der Schock in Italien tief – getan hat sich seitdem aber wenig. Die FN hatte unter anderem die Zentrale des Gewerkschaftsbundes CGIL überfallen und verwüstet – CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini forderte im Anschluß, »alle diese Formationen, die sich auf den Faschismus beziehen, müssen aufgelöst werden«. Dem Parlament liegt laut der Tageszeitung »Manifesto« auch bereits ein diesbezüglicher Antrag des »Mitte-Links«-Blocks aus sozialdemokratischem Partito Democratico (PD), der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) – vor.

Premier Mario Draghi hätte laut Verfassung das Recht, per Dekret den Verbotsprozeß einzuleiten, allein, er zeigt nicht die Absicht, davon Gebrauch zu machen. Seine am Montag bei einem Besuch in der CGIL-Zentrale verkündete »Solidarität« mit den von den Faschisten attackierten Gewerkschaftern erwies sich schnell als pure Heuchelei. Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, empfing er bereits am Mittwoch Lega-Chef Matteo Salvini im Regierungssitz Palazzo Chigi zu einem einstündigen Gespräch und nahm dessen Forderung, »die Delegitimierung von Mitte-Rechts zu stoppen« ohne Widerspruch entgegen. Es solle, so der Anführer der Lega, »so schnell wie möglich zwischen den politischen Kräften ein Klima der Einheit und Harmonie im Land« hergestellt werden.

Vor dem 20. Oktober werde der Verbotsantrag nicht erörtert, hieß es weiter. Am 19. Oktober soll Innenministerin Luciana Lamorgese zunächst darlegen, ob die von den Parteichefs der Forza Nuova angeführte Aktion – bei den folgenden Straßenkämpfen wurden 38 Polizisten verletzt – »besonders gefährlich« gewesen sei. Draghi wartet laut ANSA ferner die Ergebnisse »einer juristischen Studie« ab, die »die Möglichkeit der Auflösung von Gewalt anwendenden Formationen wie Forza Nuova« klären soll. Die Haltung des Premiers ist klar. Er regiert mit den Faschisten der Lega und der Forza Italia (FI) Silvio Berlusconis und ist von ihren Stimmen abhängig. Er wird nicht an dem Ast sägen, auf dem er sitzt.

»Manifesto« erinnerte daran, wie Versuche scheiterten, die bereits 1946 als Nachfolger der Mussolini-Partei gegründete Movimento Sociale Italiano (MSI), aus der Giorgia Melonis Brüder Italiens (FdI) hervorgingen, oder andere zu ihr gehörende Organisationen zu verbieten. Das 1952 vom italienischen Parlament verabschiedete »Scelba-Gesetz« – benannt nach dem damaligen christdemokratischen Innenminister –, laut dem faschistische Organisationen gemäß der Verfassung aufgelöst werden sollten, wurde nie gegen das MSI angewendet. Kam es nach Terrorakten zu Prozessen gegen faschistische Organisationen, so endeten sie meist mit Freisprüchen oder äußerst milden Urteilen. Die 1973 als Nachfolgeorganisation der Mussolini-Partei verbotene terroristische Ordine Nuovo, die der MSI-Vize Pino Rauti anführte, konnte danach unter dem Namen Ordine Nero (Schwarze Ordnung) weiterexistieren. 1978 endete ein Prozeß gegen 18 ihrer Mitglieder wegen der Neugründung mit einem Freispruch.

Ein zwischen den Christdemokraten, den anderen bürgerlichen Parteien und den Kommunisten und Sozialisten vereinbarter »Arco Costituzionale« (Verfassungsbogen) sollte das MSI auf nationaler Ebene von einer Regierung ausschließen. Da er nicht in die Verfassung aufgenommen wurde, stellte er für die Bildung eines »Governo nero« (schwarze Regierung), wie »Manifesto« am 15. Mai 1994 die erste von Berlusconi mit dem MSI gebildete Regierung nannte, kein Hindernis dar.

2019 stellte die Holocaustüberlebende und Senatorin Liliana Segre, gestützt auf das Scelba-Gesetz den Antrag, eine Kommission zur Untersuchung der faschistischen Umtriebe einzusetzen. Auch dieser Versuch verlief im Sande. Im Gegenteil wurden im November 2019 von einem Gericht im norditalienischen Imperia zwei Mitglieder der Forza Nuova, die mit Hunderten anderen Mitgliedern den Jahrestag von Mussolinis »Marsch auf Rom«, die faschistische Machtergreifung, mit »Duce«-Rufen und Bekenntnissen zu den faschistischen Verbrechen gefeiert hatten, freigesprochen.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Geheuchelte Solidarität