Geostrategische Wende der Energiepolitk & Inflationsantrieb

KOMintern – Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International:

Der Ukraine-Krieg als Katalysator der geostrategischen Wende der europäischen Energiepolitik und weiterer Inflationsschubantrieb

Die Energiepreise waren schon bislang Haupttreiber der Inflationen. Mit der offenen Eskalation des Ukraine-Konflikts, aktuellen Unwägbarkeiten und der geostrategischen Wende der europäischen Energiepolitik wird auch die schon jetzt bei fasst 6% liegende Teuerungswelle weiter befeuert. Der Verbund-Konzern hat bereits angekündigt, die Gas- und Energiepreise mit 1. Mai deutlich zu erhöhen. Und ÖkonomInnen schließen in nächster Zeit auch einen weiteren Anstieg auf über 10% nicht mehr aus.

Der Ukraine-Krieg entwickelt sich auch diesbezüglich zum Katalysator. Gleichzeitig vermag er näher besehen den Umbruch auf den Energiemärkten und die geostrategische (nicht ökologische!) Wende der EU nicht so recht zu begründen, blickt man nüchternen Auges auf die Gasversorgungsalternativen.Gegen den heute global drittplatzierten Gasproduzent Iran sind aktuell selbst (noch) Sanktionen verhängt und gilt das Land dem Westen bislang als „Schurkenstaat“ par excellence, das seit 2018 denn auch seinesteils aus dem SWIFT ausgeschlossen ist. Das reaktionäre Scheichtum Saudi-Arabien wiederum, neben Öl- auch Gasgroßproduzent, bombardiert – freilich weitgehend unbeachtet von der medialen Weltöffentlichkeit – seinerseits seit 2015 den Jemen, in dem heute die vielleicht größte humanitäre Katastrophe der Welt herrscht. Nach aktuellem Narrativ müssten gegen Riad daher eigentlich ebenfalls schon lange der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsdienstleistungssystem als „kommerzielles Äquivalent“ zu „Nuklearwaffen“ gezündet und rigorose Sanktionen verhängt sein. Die „Führungsnation“ des „Westens“ wiederum, die USA, 1982 zunächst von der Sowjetunion als Gaswirtschafts-Weltführer abgelöst, errang erst durch Forcierung des besonders umweltschädlichen Fracking-Verfahren 2009 auch in Punkto Erdgas die Position des weltgrößten Erdgasförderers wieder zurück und stünde als Großexporteur bereit. Allerdings, so selbst die offiziellen Daten des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses (2018), hat das Land seine Streitkräfte allein seit der weltpolitischen Zäsur 1989/91 den Befehl zu 152 Auslandseinsätzen erteilt, eine ganze Batterie völkerrechtswidrige Angriffskriege geführt, souveräne Länder überfallen, besetzt, verheert und in „failed states“ verwandelt. Die bekanntesten Kriege und Militäreinsätze darunter, um nur die wichtigsten zu nennen, sind zweifellos jene gegen Jugoslawien, den Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, Liberia und in Somalia, Haiti, Uganda.

Das alles rechtfertigt freilich mitnichten den Angriff auf und Einmarsch Russlands in die Ukraine oder lindert die daraus resultierte humanitäre Katastrophe. Es disqualifiziert aber, bedient man sich keiner doppelten rein interessensgeleiteter Maßstäbe, ebenso die USA wie Saudi-Arabien als alternative Gaslieferanten. Der Iran wiederum gilt dem Westen (bislang) ohnehin als Pariastaat par excellence. Allerdings scheinen die USA im übergeordneten Kampf gegen Russland aktuell die Sanktionen für iranisches Öl zu lockern und diesem, mit nun verschobenen Bannstrahl, zum Ausgleich für russisches ein Revival am Weltmarkt zu eröffnen. Auch der heurige Gastgeber der Fußball WM-Endrunde, das stockreaktionäre Emirat Katar, scheidet unter den kolportierten Maßstäben für „sauberes“ Gas aus und kann auch der Größenordnung nach die europäische Gasnachfrage nicht ausgleichen oder zuverlässig decken. Selbes ließe sich auch für die „Five Eyes“-Klubmitglieder Kanada und Australien demonstrieren.

Während der europäische Gasmarkt früher von langfristigen Lieferverträgen mit Bindungen des Gas- an den Ölpreis geprägt war, hat die EU seit den 1990er Jahren auf eine Flexibilisierung des Erdgas-Marktes mit kurzfristigen Nachfragebezügen hingewirkt, auf dem Pipelinegas mit Flüssiggaslieferungen aus aller Welt (sprich: seit längerem insbesondere zu Gunsten des boomenden Fracking-Gas aus den USA) konkurrieren soll. Entsprechend bestimmt heute auch vorrangig der Spotmarkt für kurzfristige Nachfragen die Preise. Oder wie ExpertInnen schon im Herbst kritisch vermerkt hatten: Im Grunde „funktioniert der Markt jetzt genau so, wie sich die EU-Kommission das immer gewünscht hat“, so ein Analyst. „Es gibt keine langfristigen Lieferverträge mehr, die Ölpreisbindung ist längst weggefallen, der Gaspreis bildet sich kurzfristig und ist volatil geworden.“ Dazu gesellen sich eine aus mehreren Ursachen insgesamt angespannte Erdgaslage – auch die Erdgasausfuhren Norwegens und Großbritanniens lagen schon mal auf höherem Niveau – und Fehlspekulationen in Westeuropa, wo die Befüllung der Erdgasspeicher in der Hoffnung auf einen Preisrückgang vielfach hinausgezögert wurde und sozusagen leere Gasspeicher zurücklies. Kommt es in den kommenden Wochen nochmals zu einem Kälteeinbruch, so sind sich ExpertInnen einig, gerät zumindest die Industrie unter Druck.

Mit dem aktuell eskalierten Ukraine-Konflikt und auf den Weg gebrachtem Sanktionsregime könnte es den US-Frackern allerdings gelingen, den europäischen Markt umzuwälzen und dem Schieferöl ganz neue Marktanteile zu eröffnen. Die US-Öl- und Gas-Lobbyisten haben mit Konkurrenz-Ansage an Russland schon vor Kriegsausbruch erklärt: „Amerika ist in der Lage, bei jeder Energieunterbrechung für Stabilität zu sorgen.“ Direkter noch, so die deutsche „Tagesschau“: „US-Präsident Joe Biden hatte bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst deutlich gemacht, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine das Aus für die bereits fertiggestellte Leitung bedeuten würde.“ Die US-Frackingindustrie scharrt denn auch schon in den Startlöchern. Und die EU-Kommission ist in hektischem Treiben in Hinterzimmern und diplomatischen Wirtschaftsmissionen zwischenzeitlich darauf und dran bei Öl wie Gas, in zumindest neuem Ausmaß, transatlantisch ein- und umzuschwenken.

Die Zukunft der vorläufig bis auf Weiteres gestoppten Inbetriebnahme von Nordstream 2, die den USA von Anbeginn an – unter anderem mit der Beschuldigung an ihre Unterstützer, damit die US-Sanktionen gegen Russland zu hintertreiben – ein Dorn im Auge war, steht mehr denn je gänzlich zur Disposition (ja, eigentlich kurz vor der Insolvenz) und damit eine Umwälzung des Erdgasgeschäfts ins Haus. Hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker um US-Zölle auf Autos abzuwenden schon 2018 Subventionen für LNG-Terminals und Förderung des Imports von US-Schiefergas abgenickt, so hat seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen nun eine bezugspolitische geostrategische Erdgaswende angekündigt. Damit würde sich die EU zwar in einen noch stärkeren Vasallenstatus gegenüber den USA begeben und die Gaspreise steigen, aber „Uncle Sam“ die gesuchten neuen Export- und Profitmöglichkeiten für seine überquellende Schiefergasproduktion eröffnen.

Denn der boomenden US-Frackingindustrie fehlen bislang ausreichende Absatzmärkte für dieses extrem umweltverschmutzend gewonnene und teurere Fracking-Gas, das zum Export – anders als Pipelinegas – erst komprimiert und verflüssigt und in Spezialterminals auf Spezialtankschiffe verladen und auf ebensolchen Spezialterminals entladen bzw. wieder entspannt werden muss bevor es in die Rohrnetze eingespeist werden kann. Die von Moskau über Brüssel bis Berlin munter weiter nach oben gedrehte Eskalationsschrauben haben jedenfalls zugleich endgültige eine strategische Wende Europas im seit langem tobenden Wirtschafts-, Öl- und Gaskrieg eingeläutet. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, bis vor kurzem noch Verfechter der deutsch-russischen Nordstream 2-Pipeline, hat das Zulassungsverfahren zwischenzeitlich bekanntlich auf Eis gelegt und den Bau zweier Spezialterminals für Flüssigerdgas angekündigt.

Übernommen von: KOMintern – Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International – Geostrategische Wende der Energiepolitk & Inflationsantrieb