Bewegung auf dem ZK-Plenum

Vergangene Woche hat sich das Zentralkomitee von Kubas regierender Kommunistischer Partei (PCC) zu seinem vierten Plenum getroffen. Neben personellen Neuerungen wurde vor allem Bilanz über die laufende Umsetzung der Reformagenda gezogen. Die mehrtägige Sitzung fand ein Jahr nach dem VIII. Kongress der PCC statt und war ihrem Umfang nach selbst schon fast eine Art „Mini-Parteitag“. Nicht zuletzt deshalb dürften Kubas Medien zum ersten Mal seit langer Zeit so ausführlich über eine ZK-Tagung berichtet haben, bei der es auch um die Reform der staatlichen Presse ging. Dabei war es ausgerechnet eine Mediendebatte, die für heftige Kritik während der Sitzungstage sorgte. „Cuba heute“ hat die Details…

Personelle Weichenstellungen

Dass zwischen den Parteitagen (der letzte fand im April 2021 statt) größere personelle Änderungen in den Führungsreihen der PCC stattfinden, ist ungewöhnlich. Dass Stellen im Politbüro neu besetzt werden, ist noch ungewöhnlicher. Die Umstände der jüngsten Kaderbewegung sind jedoch im Wortsinne außerordentlich:

Ramon Espinosa Martín (links) wird von Díaz-Canel zu seiner Wahl ins Politbüro beglückwünscht (Quelle: Granma)
  • Auf Vorschlag des Politbüros wurde Armeegeneral Ramón Espinosa Martín am vergangenen Dienstag in dessen Reihen aufgenommen. Der 1939 geborene gehört zur „Zwischengeneration“, die den históricos (welche 1953 am Angriff auf die Moncada-Kaserne beteiligt waren und 1956 mit der Motoryacht Granma in Kuba landeten) unmittelbar folgt. Espinosa Martín war für beides noch zu jung, er schloss sich 1957 als 18-jähriger der „Bewegung des 26. Juli“ an und kämpfte in den frühen 1960er Jahren gegen konterrevolutionäre Rebellen in der Bergkette Escambray. In den 1970er Jahren fungierte als als Kommandeuer in Angola und besuchte mehrere Militärfortbildungen in der Sowjetunion.
  • Espinosa Martíns Wahl ins Politbüro ist insofern ungewöhnlich, als dass die letzten Vertreter der historischen Generation und der nächsten Zwischengeneration dem Team um Díaz-Canel und Premier Manuel Marrero eigentlich schon Platz gemacht haben um den Generationswandel abzuschließen. Für die Wahl des 83-jährigen mussten die Delegierten eigens um eine Ausnahme bei den neuen Altersgrenzen gebeten werden, die seit dem letzten Parteiag das Höchstalter für Politbüro-Neuaufnahmen auf 70 Jahre (60 für das ZK) festlegen. Ein ungewöhnlicher Schritt, der sich im Kontext der Proteste vom 11. Juli erklären lässt. In deren Folge zeigten die beiden prominentesten Vertreter der históricos, Ramiro Valdes (90) und Machado Ventura (91), wieder öfter Präsenz. Möglicherweise ist man zu der Schlussfolgerung gelangt, dass ein ständiger Politbüroverteter aus der Zwischengeneration doch keine schlechte Idee wäre. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass Espinosa im April 2021 zum stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt wurde und ihm damit eine Schlüsselfunktion zukommt. Für die politische Kultur hinterlässt die Entscheidung einen faden Beigeschmack, schließlich liefert sie einen Präzedenzfall, der neben den Altersgrenzen auch die Autorität der neu eingeführten Amtszeitbeschränkungen untergraben könnte.
  • Auch im bislang 114-köpfigen Zentralkomitee gab es Kaderbewegung: Die Historikerin Yudí Mercedes Rodríguez Hernández wurde ins Sekretariat des ZK aufgenommen, wo sie eine neue gegründete Struktur zur Verbesserung der Dienste des ZK übernimmt. Rodríguez Hernández war 29 Jahre für den kommunistischen Jugendverband UJC tätig und ist Abgeordnete des Parlaments. Der 1964 geborene General Ricardo Rigel Tejeda, Leiter der östlichen Armeeabteilung, sowie die Chefs der Kaderabteilung des ZK, Roberto Pérez Jiménez und Humberto Camilo Hernández, wurden ebenfalls in das zweitoberste Parteigremium aufgenommen. Auch der frischgebackene Parteisekretär von Villa Clara, Osnay Miguel Colina, ist nun im ZK vertreten. Der 47-jährige Biochemiker hatte die Provinzleitung im März dieses Jahres übernommen. Damit wird das ZK um eine Frau, einen Schwarzen und drei weiße Männer mittleren Alters erweitert.

Wirtschaft auf dem Prüfstand

Einen großen Raum nahmen die Themen Wirtschaftspolitik und der Zwischenstand der laufenden Reformen ein:

Umsetzung der „Leitlinien“ für den Zeitraum 2021-26,
Stand: 04/2022 (Quelle: eigene Darstellung)
  • Bei der Umsetzung der 201 Reformleitlinien („Lineamientos“) für den Zeitraum 2021-26 gibt es jetzt erstmals eine detailliertere Fortschrittsangabe. Wirtschaftsminister Alejandro Gil nannte die Zahlen: So seien bei fünf der geplanten Maßnahmen (2,5 Prozent) bislang keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. 39,3 Prozent wiesen „geringe Fortschritte“ auf, während für 104 Leitlinien (51,7 Prozent) „mittlere Fortschritte“ erreicht wurden. 13 Maßnahmen werden als „weit vorangeschritten“ eingestuft (siehe Grafik).
  • Ergebnisse wurden im vergangenen Jahr auch bei Reform der zentralen Planwirtschaft erreicht. Zu den wesentlichen Neuerungen zählen die Reduzierung von Plankennziffern, Bürokratieabbau bei den Investitionsprozessen, die Erweiterung der Autonomie der Betriebe sowie die schrittweise Einbindung des Privatsektors in den Volkswirtschaftsplan. Außerdem seien Fortschritte beim Erwerb strategischer Planungsfähigkeiten erreicht worden. Defizite herrschten unter anderem bei der Nutzung von geldpolitischen Planungsinstrumenten, der Verknüpfung von kurz-, mittel- und langfristigen Plänen sowie der Rahmenkoordination aller Teile der Wirtschaft, so der Minister.
  • Gil ging auch auf die schlechte makroökonomische Lage ein, welche zum Anstieg der Preise und Lebenshaltungskosten beigetragen hat: „Das Ausmaß des wirtschaftlichen Ungleichgewichts äußert sich in der Zunahme des Inflationsdrucks, der Abwertung des informellen Wechselkurses und der zunehmenden nicht-Konvertierbarkeit des kubanischen Peso“. Trotz der langsamen Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation könne bei der Lösung bestimmter Fragen nicht länger gewartet werden, erklärte der Wirtschaftsminister, ohne Details zu nennen. Anfang des Jahres wurden von verschiedenen kubanischen Ökonomen Lösungsansätze zur Wechelkursthematik ausgearbeitet, von denen einige dieses Jahr in die Praxis überführt werden könnten.
  • Die aktualisierte Wirtschaftsstrategie für das Jahr 2022 umfasst 158 Maßnahmen und wurde entlang der Planziele für das laufende Jahr angepasst. Diese sind anders als in früheren Jahren stärker auf eine indirekte Steuerung der Wirtschaft ausgelegt und beinhalten fünf Kernaspekte:
    1. Makroökonomische Stabilisierung der Wirtschaft: Wiederherstellung der Rolle des kubanischen Peso als Herzstück des Finanzsystems, Rationalisierung von Preisen für Produkte und Dienstleistungen unter Berücksichtigung vulnerabler Gruppen.
    2. Stabilisierung der Stomversorgung: Wartung und Wiederherstellung von Kraftwerks- und Raffineriekapazitäten, Inbetriebnahme neuer Solarparks und Windräder.
    3. Schutz vulnerabler Gruppen: Schaffung neuer Arbeitsplätze für Jugendliche, Frauen und Personen in schwierigen sozialen Lagen auf lokaler Ebene.
    4. Reform der Staatsunternehmen: Fortsetzung der Dezentralisierung der staatlichen Unternehmen sowie der Verzahnung des Staatssektors mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
    5. Mehr Autonomie für Gemeinden: Kommunen sollen größere Kompetenzen erhalten und eigenständiger wirtschaften, um vor Ort neue Arbeitsplätze, Waren und Dienstleistungen zu generieren.
  • Joel Queipo Ruiz, Leiter des Wirtschaftssekretariats beim ZK der PCC, betonte die Notwendigkeit einer „adäquaten Verbindung und ideologischen Einbettung sämtlicher Akteure“. Der Privatsektor müsse sich mit dem staatlichen Verbinden um „neue Arbeitsplätze zu schaffen und zu Produktion und Wachstum beizutragen“. Es müsse erreicht werden, dass sämtliche Aktuere zum integralen Bestandteil des Wirtschaftsmodells werden, und sich nicht (wie bislang) als „Konglomerat isolierter Räume für die Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen verstehen, die nur darauf abzielen, ihre Ressourcen [einfach] zu reproduzieren“. Darüber hinaus müsse die „Entwicklung einer sozialistischer Identität der Arbeiter“ vorangetrieben und die Einbindung der neuen Akteure in das sozialistische Modell als holistischer Prozess verstanden werden. An anderer Stelle der Tagung wurde gefordert, dass die Partei größere Kapazitäten für die Lösung der Probleme der Staatsunternehmen aufbauen und dort eine eine „objektivere Kaderpolitik“ betreiben müsse.

Neue Medienpolitik?

  • Kuba verfügt über ein umfangreiches staatliches Mediensystem, das sich aus diversen regionalen und überregionalen Zeitungen, Magazinen sowie Fernseh- und Radiostationen zusammensetzt. Mit der Verbreitung des Internets hat dessen Reichweite und Leserschaft in den letzten Jahren jedoch nachgelassen. Viele Journalisten beklagen den weiterhin bestehenden „secretismo“ (Gehemniskrämerei) staatlicher Stellen beim Zugang zu Informationen, welcher ihrer Arbeit erschwert. Nicht selten würden Themen deshalb (zu) spät aufgegriffen und in einer Sprache behandelt, die an den Lesern vorbeigeht, so die Kritik. Díaz-Canel forderte Kubas Journalisten bereits 2017 auf, „mutiger“ zu agieren und neue Kommunikationsstrategien zu entwickeln. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir lösen das Problem, oder die Glaubwürdigkeit der kubanischen Medien wird verschwinden“ , so Díaz-Canel damals. Die auf dem VIII. Parteitag beschlossene Medien- und Kommunikationspolitik will daran aknüpfend ein neues Pressemodell entwickeln, mit dem die Probleme adressiert werden sollen. Ziel ist es, den staatlichen Medien in einem kompetitiven Umfeld wieder mehr Gehör und Mittel für ihre Arbeit zu verschaffen. Hierzu wird ein neuer „Fonds zur Förderung der Kommunikation auf lokaler oder nationaler Ebene“ aufgebaut, der insbesondere kleineren Regionalmedien zu Gute kommen soll. Das neue Verwaltungssystem, dessen Details noch nicht bekannt sind, soll zunächst für ein Jahr in ausgewählten Publikationen erprobt und danach evaluiert werden. Am Ende soll die potentielle Ausgründung staatlicher Medien als eigenständige Rechtspersonen stehen, um diese auch wirtschaftlich auf eine neue Grundlage zu stellen.
Logo der Zeitschrift „Alma Mater“ (Quelle: AM/Facebook)
  • Überschattet wurde der Vorstoß von der Entlassung des Chefredakteurs der Studentenzeitschrift „Alma Materam 26. April. Die 1922 gegründete Zeitschrift, welche dem kommunistischen Jugendverband UJC untersteht, war lange Zeit für junge Menschen auf der Insel wenig interessant. Unter Leitung von Armando Franco Senén wurde ihr in den vergangenen Jahren ein neues, frischeres und kritischeres Profil verpasst, das über die Kernzielgruppe hinaus auf Zuspruch stieß. So befragte die „Alma Mater“ als einziges staatliches Medium Jugendliche, die an den Protesten im vergangenen Jahr teilgenommen hatten – ein Vorgang, der bereits damals in Teilen der Verwaltung offenes Missfallen auslöste. Von vielen wurde die Absetzung von Franco Senén daher als ein Akt der Zensur und Einmischung in die Redaktion gedeutet, wovon die mehr als 1000, überwiegend kritischen Kommentare unter der Ankündigung zeugen. Die UJC-Vorsitzende Aylin Álvarez bezeichnete Francos Entlassung in einem Statement wenige Tage später als „natürlichen Teil der Kadererneuerung“ und würdigte zugleich dessen Arbeit für die Zeitschrift, die in seinem Sinne fortgesetzt werde; ihm selbst sollen künftig „andere Aufgaben im Medienbereich“ übertragen werden. In einem weiteren Versuch der Schadensbegrenzung fand tags darauf eine Aussprache zwischen Álvarez und Franco statt. „Worin besteht also die Logik, ein Team, das in die richtige Richtung geht, von seinem Leiter zu entbinden? Vielleicht weil sie einigen Extremisten nicht gefällt? Vielleicht weil es schwierig ist, eine Publikation zu haben, die täglich den Puls der Gesellschaft erfasst? Weil es nicht leicht ist, jeden Tag angerufen zu werden, um gesagt zu bekommen: Haben Sie gesehen, was Alma Mater gerade veröffentlicht hat?“ fragt die Journalismus-Dozentin Yirmara Torres von der Universität Matanzas in einer Replik auf die Stellungnahme der UJC. Gerardo Hernández von den „Miami Five“ drückte der Alma Mater-Redaktion zuletzt seinen Zuspruch aus: Er habe nie an Armandos Gesinnung gezweifelt, äußerte der Nationalheld auf Twitter.

Quelle: Cuba heute