9. Juli 2025

9. Juli 2025
IranIsraelYeni Hayat

Ist die richtige Haltung „Neutralität“, wenn beide Seiten „böse“ sind?

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Yekta Dogan

Mit dem Angriff Israels auf den Iran ist eine Debatte über die Positionierung entbrannt. Manche äußerten sich dahingehend, dass man „sich nicht zwischen dem Mullah-Regime und Israel entscheiden müsse“ und bezeichneten den Widerstand gegen die israelische Aggression als eine Unterstützung für das Mullah-Regime.

Doch lässt sich die Angelegenheit wirklich so einfach erklären? Führt der Widerstand gegen den Krieg, den das von den USA und dem Westen unterstützte Israel führt – ein Staat, der in den letzten zwei Jahren fünf Länder angriff, drei davon (teil-)besetzte und einen anhaltenden grausamen Völkermord verübt– automatisch dazu, dass man diese oder jene Regierung befürwortet?

Wenn wir sagen: „Beide Seiten sind schlecht, also beziehen wir keine Position“, verschiebt sich der Fokus weg vom eigentlichen Thema – nämlich der Aggression – hin zu der vermeintlichen Notwendigkeit, eine Seite zu wählen. Es entsteht der Trugschluss, als gäbe es drei Optionen: „Israel“, das „Mullah-Regime“ und „Neutralität“. Dabei stellt die tatsächliche Lage keine Entscheidung zwischen zwei Übeln dar, sondern zwischen imperialistischer Aggression oder Antiimperialismus. Es gibt eigentlich nicht drei, sondern zwei Möglichkeiten. Eine antiimperialistische Haltung im Angesicht der gegenwärtigen Barbarei, die sich entlang der offenen Aggression Israels entfaltet, kann nur daran gemessen werden, ob man sich dieser Aggression entgegenstellt oder nicht.

Diejenigen, die den Widerstand gegen Israels Aggression als Unterstützung der Regierung im Iran oder anderswo interpretieren, verschließen sich dem eigentlichen Punkt und blenden das große Ganze aus. Denn im Mittelpunkt des heutigen Krieges steht nicht die Agenda der Regierung im Iran oder sonst wo.

Deshalb führt diese Argumentation in eine Sackgasse. Dennoch kann eine Vertiefung der Debatte unseren Horizont hinsichtlich des Verständnisses von Antiimperialismus erweitern.

Wichtig ist zunächst zu verstehen, warum Israel in der aktuellen Eskalation die Hauptrolle spielt. Danach versuchen wir, den Unterschied zwischen dem Widerstand gegen diese Angriffe und der Unterstützung des „Mullah-Regimes“ herauszuarbeiten.

Seit einigen Jahren ist es alles andere als einfach, die internationalen Nachrichten mit klarem Verstand zu verfolgen. Dennoch sollten wir das Ganze einmal aus der Distanz betrachten und über das Ausmaß der Ereignisse nachdenken:

Israel hat in Gaza einen grausamen Völkermordkrieg begonnen und sich aller denkbaren Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Millionen Menschen leiden unter Hunger und Durst, über 55.000 Palästinenser haben ihr Leben verloren, Zehntausende Kinder wurden ermordet. All das wurde live auf unsere Bildschirme übertragen. Die USA und ihre westlichen Verbündeten haben der Regierung in Tel Aviv unter dem Vorwand des „Rechts auf Selbstverteidigung“ die wohl leichtfertigste Völkermord-Freikarte der Geschichte erteilt.

Wie zu erwarten war, weitete sich der Angriff Israels in den Norden aus: Auf die angeblich gegen die Hisbollah im Libanon gerichteten Angriffe folgte eine Bodeninvasion und tausende Tote.

Anschließend wurde das Assad-Regime in Syrien gestürzt. Die von den USA und ihren Verbündeten unterstützten HTS-Kräfte übernahmen die Kontrolle über Damaskus. Der ehemalige Al-Qaida- und IS-Anführer Dscholani setzte sich auf den Regierungssitz in der Hauptstadt. Israel wollte sich seinen Anteil am Kuchen sichern und überschritt die bereits seit 1967 besetzten Golanhöhen, um neues Territorium in Syrien zu erobern. Doch selbst damit gab sich Israel nicht zufrieden und zerstörte die gesamte militärische Ausrüstung der sich ergebenden syrischen Armee.

Nun hat Israel schließlich den Angriff auf den Iran begonnen – jenes Land, das es von Anfang an in den Krieg hineinzuziehen suchte. Noch bevor der Iran auf die Verletzung seiner Souveränität reagieren konnte, begannen westliche Regierungen bereits offen, Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ zu betonen. Als der Iran mit Raketenangriffen auf Israel reagierte, sendete Washington – wie schon so oft – unter Missachtung jeglichen Völkerrechts klare Signale für ein Eingreifen und tat dies letztlich.

In dieser gesamten Phase wurde die der israelischen Kriegsmaschinerie gewährte Unantastbarkeit so offenkundig wie nie zuvor. Die letzten Überreste des ohnehin schon ausgehöhlten Völkerrechts wurden von den USA und ihren Verbündeten ohne jeglichen Versuch der Verschleierung bedeutungslos gemacht. Bundeskanzler Friedrich Merz bezeichnete die Angriffe auf den Iran ganz offen als „die Drecksarbeit, die Israel für uns alle erledigt“.

Wenn die Ursache des Problems so klar auf der Hand liegt, dann ist „Neutralität“ keine antiimperialistische Haltung, sondern die indirekte Legitimation der Aggression.

Wenn wir über das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ reden, herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass die Souveränität einer Region ernst genommen werden muss. Menschen haben das Recht, selbst zu bestimmen, wie sie leben wollen. Deshalb muss man sich klar positionieren gegen einen Krieg des Westens gegen den Iran. Das Selbstbestimmungsrecht und das Recht Irans auf Souveränität anzuerkennen, heißt aber nicht zwangsläufig, mit dem einverstanden zu sein, was innerhalb des Landes passiert. Wie ist die Situation der Arbeiter, der Jugend? Welche Rolle spielen die Frauenrechte? Allerdings müssen die Menschen ihre eigenen Kämpfe bestreiten. Wir können ihnen unsere Solidarität anbieten, so wie wir es auch 2022 getan haben. Aber man kann Menschen kein Recht auf Selbstbestimmung verschaffen, indem man in einen amerikanischen Tarnkappenbomber steigt und ein Land bombardiert. Der Irak und Afghanistan sind Musterbeispiele dafür, dass das nicht funktionieren kann.

Dass diese politische Lage im Iran mehrere Ebenen hat, sehen wir auch im Interview mit einer iranischen Frauenorganisation auf der folgenden Seite oder den Stellungnahmen anderer progressiver Kräfte im Iran.

Zwischen dieser klaren Stimme, die sich gegen den Krieg stellt und einem bloßen Rückzug mit der Haltung „weder das eine noch das andere“ besteht ein erheblicher Unterschied. Denn diese Stimmen erkennen die akute Bedrohungslage – nämlich Israels Aggression – als Hauptthema an und äußern ihre Kritik an der iranischen Führung dennoch im passenden Kontext. Es besteht also kein Widerspruch.

Nicht falsch verstehen: Natürlich ist die iranische Regierung autoritär und verbrecherisch, und ihre Verbrechen lassen sich lange aufzählen. Gerade deshalb erhob sich 2022 im Iran eine breite Protestbewegung – und es gab internationale Solidarität mit diesem Kampf. Denn das Thema 2022 war der autoritäre Kurs der iranischen Führung – und das wurde von Iranerinnen und Iranern selbst angesprochen, nicht von Israels kriegsverbrecherischem Premierminister. Vielleicht wird die iranische Regierung wieder Thema der Debatte von morgen sein – und das sollte sie auch. Doch sich inmitten eines von Israel begonnenen Krieges auf „Neutralität“ zurückzuziehen, ist bestenfalls ein gravierender Fehler.

Denn die strukturelle Schwäche dieser Herangehensweise verhindert eine tiefgehende Analyse. Sie behauptet, dass man nicht zwischen zwei Übeln wählen müsse, hebt beide auf die gleiche Stufe und kommt zum Schluss, dass deshalb Neutralität Vorrang habe. Doch ein antiimperialistischer Ansatz bedeutet nicht, zwischen zwei schlechten Regimen das kleinere Übel zu wählen. Es bedeutet, sich gegen die klar erkennbare Aggression zu stellen – und das macht einen nicht zum treuen Anhänger des anderen Regimes. Denn das eigentliche Thema heute sind die Verbrechen Israels – und all jener, die es offen oder verdeckt unterstützen. Wenn man die Lage unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und sich nicht in oberflächliche Debatten verstrickt, ist es nicht so schwer, einen klaren Blick darauf zu gewinnen.

Denn die Welt dreht sich nicht um die Themen, die wir uns wünschen – sondern um jene, die uns aufgezwungen werden und mit denen wir aktiv umgehen, die richtigen Schwerpunkte erkennen und eine entsprechende Haltung entwickeln und formulieren müssen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben