9. Juli 2025

9. Juli 2025
TürkeiYeni Hayat

Türkei: „Lohnerhöhungen treiben die Inflation an“!

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Bülent Falakaoğlu

Zuerst unsere These – dann die Fakten:

Inflation ist für Arbeiter eine versteckte Steuer: Sie verringert nicht nur die Kaufkraft, sondern nimmt, was sie vernichtet, und steckt es in die Staatskasse oder in die Taschen der Reichen. Inflation ist also ein gigantisches Umverteilungsinstrument – sie nimmt den Lohnabhängigen, den Menschen mit festem Einkommen, den Armen, und gibt es dem Kapital und den Vermögenden. Wer die Verlierer dieses Prozesses sind, entscheidet der Staat – vor allem, wenn es keinen starken Widerstand von Seiten der Beschäftigten gibt!

Kurz gesagt: Inflation ist ein legalisiertes Ausplünderungsinstrument – und diese Plünderung kann nur durch Klassenkampf gestoppt werden.

Ob es nun um die 600.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Türkei geht – bei der Bahn, im Straßenwesen, im Bergbau, in Krankenhäusern, Wärmekraftwerken, Werften oder Rüstungsbetrieben oder um die Arbeiterinnen und Arbeiter der Türkei:
Wenn sie 90 % mehr Lohn fordern, dann ist das eine Reaktion auf den massiven Raub, der bereits stattgefunden hat. Auch wenn einige diese Forderung als „übertrieben“ abtun – in Wahrheit geht es darum, sich zurückzuholen, was ihnen genommen wurde.

Aber: So wie den Mindestlohnbeziehenden und Rentnern kein Ausgleich gezahlt wurde, wurde auch den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in den Kommunen nichts gegeben.
Der Grund: Die altbekannte Behauptung – „Lohnerhöhungen führen zu Inflation“!

Laut dieser Theorie wirkt sich eine Lohnerhöhung auf zwei Arten inflationstreibend aus:

  1. Über die Nachfrage: Höhere Löhne führen zu mehr Nachfrage, was wiederum zu steigenden Preisen führt.
  2. Über die Kosten: Höhere Löhne erhöhen die Produktionskosten, diese werden auf die Preise aufgeschlagen, was die Inflation weiter befeuert.

Zusammengefasst: Reduziere die Kaufkraft der Löhne, und die Inflation sinkt!

Schauen wir uns jetzt an, was zwei Jahre Anwendung dieser Theorie tatsächlich gebracht haben:

Wem gehört die Nachfrage eigentlich – wer konsumiert überhaupt?

Das jährliche Pro-Kopf-BIP in der Türkei liegt bei etwa 15.500 US-Dollar. Aber die Verteilung ist extrem ungleich – die Türkei zählt zu den Ländern mit der schlechtesten Einkommensverteilung weltweit.

Von den 85 Millionen Menschen im Land gehören 17 Millionen (die ärmsten 20 %) zu einer Gruppe, deren jährliches Pro-Kopf-Einkommen bei 4.500 Dollar liegt – also 375 Dollar im Monat. Bei einem Wechselkurs von 1 USD = 40 TL sind das 15.000 Lira.

Diese Menschen können sich nichts anderes leisten als das tägliche Brot. Auch die nächstbessere Gruppe – weitere 17 Millionen – kommt auf ein Jahreseinkommen von 7.000 Dollar, also weniger als 600 Dollar im Monat. Mit rund 23.500 Lira Monatseinkommen bleibt auch hier kein Spielraum für zusätzliche Ausgaben.

Selbst das dritte Fünftel der Bevölkerung lebt unter engen Bedingungen. Fazit: Rund 50 Millionen Menschen in der Türkei verfügen über keinerlei Reserven – sie konsumieren nur das Notwendigste, oft verschuldet oder per Kreditkarte.

Ganz anders sieht es bei den reichsten 10 % aus – also etwa 8,5 Millionen Menschen. Diese konsumieren auf einem ganz anderen Niveau. Sie tätigen 50 % aller Konsumausgaben im Land. Von jedem ausgegebenen 100-Lira-Schein gehen 50 Lira auf ihr Konto.

Während die Regierung den Gürtel der arbeitenden Bevölkerung immer enger schnallt, liegt der Anteil der ärmsten 20 % an den Gesamtausgaben nur bei 7,5 %! Selbst wenn sie gar nichts mehr konsumieren würden – es hätte kaum einen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft.

Die unteren 60 % – also 50 Millionen Menschen – kommen gemeinsam nur auf 20 % der Gesamtausgaben.

Kann man wirklich behaupten, deren Nachfrage sei inflationstreibend?

Wer verursacht also die Inflation?

Laut dem Vermögensbericht 2024 ist die Türkei weltweit Spitzenreiter beim Zuwachs an Dollar-Millionären. Eine bestimmte Schicht wird immer reicher. Diese Gruppe investiert in Immobilien, Gold, Grundstücke usw. Es werden jährlich 1,5 Millionen Wohnungen verkauft – gleichzeitig sinkt aber die Eigentümerquote, weil diese Käufe nicht zum Wohnen dienen, sondern zur Vermietung und als Anlage.

Hohe Immobilienpreise bedeuten hohe Mieten. Die offizielle Inflation liegt bei 35 %, die Mieten steigen aber um 70 %. Für Arbeiter bedeutet das: Der Großteil des Einkommens fließt in die Miete – es bleibt nichts zum Leben übrig.

Gleichzeitig nimmt der Luxusimport zu. In den teuren Fischrestaurants am Bosporus kostet ein Essen pro Person 7.000 bis 8.000 Lira. Die schicken Restaurants in Vierteln wie Etiler sind voll – und wir wissen genau, wer dort sitzt.

Was ist mit den Zinseinnahmen?

Zwei Millionen Großanleger erhalten aktuell rund 400 Milliarden Lira Zinsen pro Monat – das sind durchschnittlich 300.000 Lira pro Kopf! Wer Geld in Investmentfonds hat, bekommt monatlich im Schnitt 165.000 Lira. Natürlich wird dieses Geld auch ausgegeben!

Wenn die Inflation also angeblich durch Nachfrage entsteht, dann liegt es am übermäßigen Konsum dieser reichen Schichten – finanziert durch Zinserträge und spekulative Gewinne.

Und wenn es schon um Nachfrage geht: Auch ausländische Touristen sollten erwähnt werden. 2024 kamen über 62 Millionen Touristen in die Türkei und gaben 61 Milliarden Dollar aus. Dieser Konsum kann nicht den Arbeiterinnen und Arbeitern angelastet werden.

Lohnerhöhungen steigern die Kosten, also schweigt!“?

Schauen wir uns das Kostenargument an:

In Hightech-Branchen wie der Autoindustrie machen die Löhne oft weniger als 3 % der Gesamtkosten aus! Das soll also die Inflation anheizen?

Ja, in arbeitsintensiven Branchen ist der Lohnanteil höher – aber auch dort steigen die Löhne nicht real. Die Regierung argumentiert mit Wechselkursen: Der Mindestlohn liege über 550 Dollar – historischer Rekord! Doch tatsächlich sind die Preise im Land so stark gestiegen, dass der Mindestlohn heute viel weniger Kaufkraft bietet als vor 15 Jahren.

Laut einer Türk-İş-Studie kann man sich heute mit dem Mindestlohn weniger Lebensmittel leisten als damals. Früher reichten 300 Dollar für die Ernährung einer Familie – heute liegt die Armutsgrenze bei 25.000 Lira (640 Dollar).

Früher konnte man in Istanbul mit 100.000 Dollar eine einfache Wohnung kaufen. Wer damals den Mindestlohn (535 Dollar) gespart hätte, hätte in 15,5 Jahren eine solche Wohnung kaufen können.

Heute liegt der Mindestlohn bei 554 Dollar – die gleiche Wohnung kostet aber 220.000 Dollar. Man müsste über 33 Jahre dafür arbeiten.

Das heißt: Die Kaufkraft der Lohnabhängigen ist um 50 % gesunken.

Weltweite Spitzenplätze – leider in den falschen Bereichen:

  • Laut Eurostat liegt die Türkei mit einer Steigerung von 87,7 % bei den Strompreisen auf Platz 1 in Europa.
  • Bei der Entwicklung von Mieten und Immobilienpreisen liegt die Türkei laut OECD in den letzten 10 Jahren weltweit einsam an der Spitze.
  • Und noch ein trauriger Rekord: Mit über 20 Millionen Armen führt die Türkei auch hier die Eurostat-Statistik an.

Fazit: Selbst wenn die Inflation sinkt – das Leben wird nicht günstiger. Die Last der schlechten Einkommensverteilung tragen weiterhin die Arbeitenden.

Die Lösung ist klar: Vermögenssteuer, das Stoppen der Haushaltsplünderung durch Bauunternehmen und Spekulanten, sowie höhere Löhne und Gehälter, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben