Umkämpftes Recht auf körperliche Selbstbestimmung

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
Zeitung vum Letzeburger Vollek

Auch im 21. Jahrhundert ist das Recht auf körperliche Selbstbestimmung der Frau noch immer umkämpft. Im vergangenen Herbst wurden in Polen im europäischen Vergleich schon scharfe Strafgesetze gegen Abtreibungen trotz Protesten weiter verschärft, der argentinischen Frauenbewegung gelang kurz vor dem Jahreswechsel der Erfolg einer Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur 14. Woche inklusive Kostenübernahme durch den Staat, doch der Oberste Gerichtshof der USA hat vergangene Woche in seiner ersten diesbezüglichen Entscheidung seit der Berufung der reaktionären Richterin Amy Coney Barrett den Zugang zu Abtreibungspillen wieder erschwert.

Während im neuen Gesetz in Polen das Recht auf Abtreibung bei Fehlbildung des Fötus gestrichen wurde, weil es gegen den in der nachsozialistischen Verfassung verankerten Schutz des »ungeborenen Lebens« verstoße, und der Supreme Court der USA setzte eine Regelung wieder in Kraft, wonach Frauen trotz Coronapandemie selbst einen Arzt aufsuchen müssen, um Präparate zur medikamentösen Abtreibung zu bekommen, wurden in Argentinien 99 Jahre alte Strafgesetze überwunden, die bei Abtreibungen Gefängnis sowohl für die Ärzte als auch die Frauen vorsah.

Die argentinische Regierung hatte ihre Initiative zur Abtreibungslegalisierung damit begründet, daß die Zahl der in dem südamerikanischen Land Jahr für Jahr heimlich vorgenommenen Abbrüche auf 370.000 bis 520.000 geschätzt wird. Allein im Jahr 2018 starben mindestens 38 Frauen an den Folgen eines solchen Eingriffs, ungefähr 39.000 Frauen mußten danach im Krankenhaus behandelt werden. »Wenn Abtreibungen weiter im Verborgenen stattfinden, werden auch weiter Frauen sterben«, hatte die Präsidentin der Sonderkommission für Frauen im argentinischen Senat, Norma Durango, in der Debatte erklärt.

Argentinien ist nach Uruguay, Guyana und Kuba erst das vierte lateinamerikanische Land, in dem Schwangerschaftsabbrüche legal sind. Vor allem das sozialistische Kuba nahm mit der Entkriminalisierung von Abtreibungen 1965 eine Vorreiterrolle in Sachen Frauenrechte ein. In Mexiko, dem einwohnerreichsten spanischsprachigen Land, sind legale Abtreibungen nur in der Hauptstadt und im Bundesstaat Oaxaca möglich.

Den selbsternannten »Lebensschützern« geht es jedoch weder um Leben noch um Schutz. Denn wenn sie wirklich Menschenleben schützen wollten, dann würden sie sich nicht gegen, sondern für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen einsetzen. Kriminalisieren bedeutet nämlich nicht verhindern: Weltweit sterben jedes Jahr etwa 200.000 Frauen an den Folgen illegal oder eigenhändig durchgeführter Abtreibungen. Und: Studien zeigen, daß es in Ländern, die das Recht auf körperliche Selbstbestimmung achten, weniger Schwangerschaftsabbrüche gibt.
Haben nicht auch religiöse Menschen ein Interesse daran, daß niemand bei einer selbst durchgeführten Abtreibung verblutet oder sich wegen der schlechten Hygienebedingungen mit irgendwas infiziert?

Denn solange die jeweilige Schwangere sie für unumgänglich hält, wird die Abtreibung stattfinden, egal welche Strafgesetze verabschiedet wurden – und mit genau dieser Tatsache müssen wir endlich lernen, umzugehen.

Oliver Wagner

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Umkämpftes Recht auf körperliche Selbstbestimmung