Die Debatte um »Sicherheitsgarantien« für die Ukraine

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
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Die zwei größten deutschen Denkfabriken auf dem Gebiet der Außenpolitik dringen vor dem NATO-Gipfel in Vilnius auf die Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis. Zwar habe USA-Präsident Joe Biden dem Schritt zumindest für die nähere Zukunft eine Absage erteilt, heißt es in aktuellen Stellungnahmen aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Alternative »Sicherheitsgarantien« für Kiew seien jedoch entweder nicht ausreichend oder nicht wünschenswert bzw. nicht realistisch.

Die DGAP bringt die Bildung einer »Koalition der Willigen« aus europäischen Staaten ins Gespräch, die sich zu aktivem militärischen Beistand für die Ukraine verpflichten. Dies dürfe aber nur als Übergangslösung bis zu einem formalen ukrainischen NATO-Beitritt gelten.

»Rußland
demilitarisieren«

In einer aktuellen Stellungnahme aus der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zur derzeitigen Debatte über mögliche »Sicherheitsgarantien« für die Ukraine heißt es, jenseits einer formalen NATO-Mitgliedschaft gebe es lediglich zwei Optionen, die Kiew wirklich »Sicherheit« gewährten. »Die erste« bestehe »in der Demilitarisierung Rußlands«. Dazu sei »eine Reduzierung der Streitkräfte und der Rüstungsindustrie« des Landes »auf ein Maß« notwendig, das zur Verteidigung genüge, aber »keine Offensivoperationen« erlaube, erklärt die SWP in einem Artikel unter der Überschrift »Dauerhafte Sicherheit für die Ukraine« von 29. Juni.

Ergänzend sei »eine Demilitarisierung der strategischen Kultur« erforderlich. Weil sich diese jedoch »nur über langfristige Sozialisationsprozesse oder externe Schocks« verändern lasse, seien »eine eindeutige Niederlage« der russischen Armee und ein Verzicht der russischen »Führung und Bevölkerung« auf »ihr neoimperiales Rollenverständnis« nötig. »Dafür sind ein Regimewechsel und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der hegemonialen Vergangenheit unumgänglich«, heißt es weiter bei der SWP. Absolut »sicher fühlen« könne sich die Ukraine aber selbst in diesem Fall lediglich »bei einer gleichzeitigen Denuklearisierung des russischen Militärpotentials« – und diese Variante, räumt die SWP offen ein, sei »zurzeit unrealistisch«.

»Die Ukraine
nuklearisieren«

Die zweite Option, die Kiew »verläßlich Sicherheit« biete, besteht nach Meinung der SWP darin, »daß die Ukraine ihr Abschreckungspotential durch eine unilaterale Nuklearisierung stärkt«, also »entweder ein Atomwaffenarsenal aufbaut« oder doch zumindest »mittels einer Ankündigung«, dies zu tun, »Druck erzeugt«. Zwar sei »der Weg zu Atomwaffen ein sehr komplexes und langwieriges Projekt«, das »erst langfristig Sicherheitsgewinne brächte und der Reputation der Ukraine schaden würde«. Doch bestätige »das Beispiel Südkorea«, daß »allein die Drohung damit helfen kann, Sicherheitsgarantien der USA zu erhalten«.

Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol hatte zu Jahresbeginn eine Debatte über eine nukleare Aufrüstung seines Landes ausgelöst; daraufhin hatte USA-Präsident Joe Biden erklärt, setze Nordkorea Atomwaffen ein, dann bedeute dies das »Ende« der nordkoreanischen Regierung. Die USA kündigten zudem an, ein nuklear bewaffnetes U-Boot vor die Küste Koreas zu entsenden.

Zu einer möglichen nuklearen Aufrüstung der Ukraine heißt es bei der SWP weiter, wenn Kiew »diesen Weg« wähle, nähere es sich »dem israelischen Modell …, das auf starken Streitkräften, Atomwaffen und bilateralen Abkommen beruht«. Eine Atommacht Ukraine sei aber aus Berliner Sicht »nicht wünschenswert«, weil sie »die europäische Sicherheitsordnung … schwer belasten« würde.

Das Modell »Igel«

Mit Optionen, die unterhalb einer Demilitarisierung Rußlands, einer nuklearen Aufrüstung der Ukraine und eines NATO-Beitritts liegen, befaßt sich ein am 30. Juni von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) publiziertes Papier mit dem Titel »Security Guarantees for Ukraine«.

Es analysiert unter anderem eine Variante, die unter dem Stichwort »Igel« im Gespräch ist. Das Wort symbolisiert eine massive Aufrüstung der Ukraine – so umfassend, daß sich jeder künftige Angriff auf sie verbiete. Die Variante wird, nicht zuletzt mit deutscher Hilfe, längst vorbereitet. So hat der deutsche Rheinmetall-Konzern angekündigt, in der Ukraine eine moderne Panzerfabrik und andere Waffenschmieden zu bauen, um dem Land eine mächtige rüstungsindustrielle Basis zu verschaffen.

Eine Gruppe weiterer NATO-Staaten hat Kiew perspektivisch die Lieferung von F-16-Kampfjets in Aussicht gestellt und die Ausbildung ukrainischer Piloten angekündigt. Dazu heißt es jedoch bei der DGAP, all dies genüge nicht, weil es der Ukraine keine garantierte Sicherheit biete. Zwar sei es denkbar, Kiew nicht nur mit Gerät auszustatten, das eine Verteidigung gegen künftige Angriffe gewährleiste, sondern ihm auch die Produktion von Angriffswaffen zu ermöglichen. Das erforderliche Know-how allerdings rückten die westlichen Mächte gewöhnlich nicht heraus.

Eine
»Koalition der Willigen«

Die DGAP schlägt deshalb eine weitere Variante vor, für die vor kurzem Tobias Ellwood plädiert hat, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im britischen Parlament. Demnach soll eine westliche »Koalition der Willigen« der Ukraine militärische Unterstützung zusichern. Dies soll durch allerlei praktische Maßnahmen untermauert werden – von der Ausbildung ukrainischer Soldaten über gemeinsame Großmanöver auf ukrainischem Territorium bis hin zur Aufstellung einer schlagkräftigen Schnellen Einsatztruppe.

Als Kernelement der Koalition der Willigen komme die Joint Expeditionary Force (JEF) in Frage, heißt es – im Anschluß an Ellwood – bei der DGAP. Deren Einrichtung wurde auf dem NATO-Gipfel im September 2014 im britischen Newport beschlossen; an ihr nehmen neben Britannien fünf Staaten Nordeuropas (Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, Island), die baltischen Staaten und die Niederlande teil.

Wie es in dem DGAP-Papier heißt, könne die JEF zur Unterstützung der Ukraine um andere Staaten erweitert werden; dafür komme insbesondere Frankreich in Frage, das sich jüngst für den ukrainischen NATO-Beitritt stark gemacht habe. Eine Beteiligung solle auch die Bundesrepublik in Betracht ziehen. Die DGAP schlägt für die Truppe die Bezeichnung Joint European Defence Initiative (JEDI) vor.

Der NATO-Beitritt

Laut dem Urteil der DGAP reicht dies jedoch auf Dauer nicht aus. Die Schaffung der JEDI könne lediglich einen gewissen Zeitraum überbrücken; langfristig sei der NATO-Beitritt der Ukraine unverzichtbar. Letzteren fordert auch die SWP. Zwar sei die Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis »risikovoll und schwierig«; doch sollten bereits auf NATO-Gipfel in Vilnius »praktische Schritte zum Beitritt« in den Blick genommen werden.

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, legt die DGAP nahe, Kiew werde sicherlich Konsequenzen aus dem Scheitern des Budapester Memorandums aus dem Jahr 1994 ziehen. In dem Memorandum hatten die USA, Britannien und Rußland der Ukraine im Gegenzug gegen einen Verzicht auf Atomwaffen Sicherheitsgarantien zugesagt.

Garantien, die, wie die damaligen, nicht wirklich verläßlich seien, werde Kiew nicht mehr akzeptieren, sagt die DGAP voraus. Beim Ausbleiben »wirksamer Sicherheitsgarantien« sei deshalb eine nukleare Aufrüstung der Ukraine nicht mehr auszuschließen.

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Sicherheit durch mehr Waffen?

Wenn es um den Frieden und die Sicherheit geht, dann fällt den Strategen der kapitalistischen Gesellschaft immer zuerst eine starke Bewaffnung ein – keiner von ihnen kommt auf die Idee, daß die Welt sicherer wäre, wenn es weniger Waffen gäbe.

Sicherheit kann auf Dauer nicht durch Atomwaffen geschaffen werden, denn der Besitz von Atomwaffen erhöht das Risiko der nuklearen Vernichtung der gesamten Menschheit. Das Gebot der Stunde kann daher nur in der Abschaffung aller Atomwaffen bestehen, wie es im Vertrag der UNO über das Verbot aller Atomwaffen festgeschrieben ist. Kein Staat der Welt sollte Atomwaffen besitzen und sich dadurch in einer vorteilhaften Position gegenüber anderen Staaten zu befinden glauben. Die vertraglich vereinbarte, gleichzeitige, schrittweise und überprüfbare Abschaffung ALLER Atomwaffen wäre ein bedeutender Schritt für mehr Sicherheit.

»Die KPL ist die einzige politische Partei in Luxemburg, die konsequent für den Frieden eintritt. Die Kommunisten stehen für Frieden in der Ukraine und die Schaffung einer dauerhaften Lösung unter Beachtung der Sicherheitsinteressen aller beteiligten Seiten. Wir Kommunisten bestehen auf unserer Forderung nach weltweiter Abrüstung statt Aufrüstung und für das Verbot aller Atomwaffen, unabhängig davon, welcher Staat sie besitzt. Der Beitritt zum Vertrag der UNO über das Verbot aller Atomwaffen ist dringendes Gebot. Die KPL fordert die Reduzierung der Militärausgaben und die Verwendung der freiwerdenden Mittel für die Lösung sozialer Aufgaben.« (Rahmenwahlprogramm der KPL zu den Gemeindewahlen am 11. Juni)

bro

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek