19. April 2025
KPÖ

Die neue österreichische Regierung wird den Rechtsruck nicht aufhalten

Übernommen von KPÖ:

Nachdem die Gespräche zwischen der ÖVP und der rechten FPÖ gescheitert sind, haben sich in Österreich ÖVP, SPÖ und Neos auf eine Regierung geeinigt – und planen, das drastischste Kürzungspaket der jüngeren Geschichte durchzudrücken.

In diesem leicht überarbeiteten Text, der zuerst auf Jacobin Deutschland erschienen ist, analysiert KPÖ-Bildungsreferent Martin Konecny das Regierungsprogramm von Schwarz-Rot-Pink.

Fünf Monate nach der Wahl hat Österreich nun eine neue Regierung – so lange hat es noch nie gedauert. Obwohl die rechtsextreme FPÖ bei den Wahlen Ende September 2024 als klare Gewinnerin hervorgegangen ist, wird sie nicht in der Regierung sein. Die Freude darüber sollte sich in Grenzen halten, denn für die Mehrheit der Menschen in diesem Land bringt die neue Regierung vor allem eines: harte Kürzungen.

Nachdem die Bildung einer Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS noch im Jänner an bescheidenen Forderungen der SPÖ zur Besteuerung von Banken gescheitert war, hat man sich jetzt doch geeinigt. Die zwischenzeitlichen Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ scheiterten daran, dass die FPÖ mehr als machtbewusst auftrat. Sie machte der ÖVP nicht nur keine inhaltlichen Zugeständnisse, sondern bestand zur Überraschung der ÖVP tatsächlich darauf, zentrale Schalthebel staatlicher Macht, allen voran das Finanz- und Innenministerium, zu besetzen. Im Nachhinein darf aber auch bezweifelt werden, ob die FPÖ unter den bestehenden Voraussetzungen tatsächlich eine Regierung bilden wollte.

Nach dem Scheitern von Blau-Schwarz beschworen die drei nunmehrigen Koalitionspartner die staatspolitische Verantwortung und die Notwendigkeit des Kompromisses. Doch es handelt sich hier keineswegs um eine Volksfrontregierung zur Abwehr des Faschismus, sondern eher um eine unpopuläre Front zur Gewinnung von Zeit und Umsetzung eines harten Kürzungspaketes. Baldige Neuwahlen würden die FPÖ wahrscheinlich weit über 30 Prozent katapultieren, und insbesondere die ÖVP müsste fürchten, abgeschlagen auf dem dritten statt zweiten Platz zu landen.

Blau-Schwarzes Kürzungspaket in Schwarz-Rot-Pink

Wie die neue Regierung und die mit ihr gewonnene Zeit aber langfristig etwas am Erstarken der extremen Rechten ändern soll, ist eine offene Frage. Denn von antifaschistischer Wirtschafts- und Budgetpolitik, also einer Politik, die dem Aufstieg der Rechten vielleicht tatsächlich den Boden abgraben könnte, ist nicht wirklich viel zu sehen. Ganz im Gegenteil, im Kern übernimmt die neue Regierung das budgetpolitische Programm aus den gescheiterten Blau-Schwarzen Regierungsverhandlungen.

Seit Monaten sprechen Vertreterinnen aller Parteien und Wirtschaftsforscher davon, dass ein riesiges Budgetloch klafft und Österreich dringend sparen muss. Gemeint ist damit, dass Österreich droht, die völlig willkürliche 3-Prozent-Defizitregel des EU-Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu verletzen. Die Einhaltung dieser Regel und damit die Besänftigung von EU-Kommission und Finanzmarktakteuren ist die zentrale inhaltliche Klammer dieser Regierung, deren Regierungsprogramm zwar 200 Seiten hat, aber neben ein paar asylpolitischen Grausamkeiten ansonsten vor allem Absichtserklärungen enthält.

Kurz nach Beginn der FPÖ-ÖVP-Verhandlungen im Jänner übermittelten die blau-schwarzen Verhandler als Erstes ein heftiges Kürzungspaket nach Brüssel, um die Eröffnung eines EU-Defizitverfahrens abzuwenden. Ein solches hätte zunächst einmal eine schärfere Überwachung durch die EU-Kommission bedeutet, aber auch, dass Österreich länger Zeit hätte, um die 3-Prozent-Defizitregel wieder einzuhalten. Das Kürzungspaket wird nun im Wesentlichen eins zu eins von der neuen Regierung und ihrem sozialdemokratischen Finanzminister übernommen werden.

Das Kürzungspaket ist ein Kahlschlag quer durch alle Bereiche, das vor allem Menschen mit wenig Geld belasten wird. Die Abschaffung des Klimabonus, der als Gegenstück zur CO2-Steuer an alle Haushalte ausgezahlt wurde, macht aus der CO2-Steuer endgültig eine Maßnahme zu Lasten der Arbeiter:innenklasse. Zwar sind CO2-Steuern insgesamt kein besonders sinnvolles klimapolitisches Instrument, durch die Auszahlung des Klimabonus wirkten sie aber wenigstens nicht regressiv, also zu Lasten ärmerer Haushalte. Das ändert sich nun und die CO₂-Steuer, gegen die die FPÖ zwar wettert, die sie aber letztlich in den Regierungsverhandlungen nicht abschaffen konnte, macht Energie und Mobilität vor allem für die arbeitende Klasse teurer. Während die Reichen ihre Luxusemissionen für Pool und Sauna kaum einschränken werden, wird es in so mancher schlecht isolierten Wiener Mietwohnung mit Gasheizung wohl bald noch kälter. Gestärkt wird so die Wahrnehmung von Klimapolitik als Elitenprojekt auf Kosten der breiten Mehrheit.

Gebühren und Krankenversicherungsbeiträge für Pensionistinnen und Pensionisten werden erhöht, sowie der Zuverdienst zum Arbeitslosengeld erschwert. Letzteres bringt dem Staat zwar kein Geld, aber das Defizit wird genutzt, um allerlei Schikanen zu legitimieren. Auch die Bildungskarenz, mit der Beschäftigte bis zu einem Jahr Pause für Weiterbildung machen konnten, wird stark eingeschränkt.

Das ist ein lange gehegter Wunsch rechter und neoliberaler Kräfte. Denn die Bildungskarenz wurde in den vergangenen Jahren vor allem von besser gebildeten Arbeitskräften dazu genutzt, sich eine Auszeit von der Lohnarbeit zu nehmen, oder von Frauen, um auch angesichts oft fehlender Kinderbetreuung länger zu Hause zu bleiben. Anders als von Blau-Schwarz vorgesehen, sollen jetzt die sogenannten Sozialpartner, also Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Gewerkschaft, ein Nachfolgemodell aushandeln. Wann das kommt und wie es aussieht, ist einstweilen völlig unklar.

Alle Ministerien müssen zudem im laufenden Jahr 15 Prozent ihrer Sachausgaben streichen. Das ist angesichts des weit fortgeschrittenen Jahres unrealistisch. Insgesamt gehen sogar die Wirtschaftsforschungsinstitute davon aus, dass die Kürzungen die ohnehin schlechte Wirtschaftslage noch weiter verschlechtern. Weil aber der Kompromiss ein hohes Gut ist, bekommt jetzt auch die SPÖ eine erhöhte Bankenabgabe und eine Abgabe von Energieproduzenten. Das ist zwar ein kleiner Erfolg, aber bleibt ohne umfassende Maßnahmen, die sich auch positiv im Alltag der Menschen bemerkbar machen, letztlich symbolisch.

Hinzu kommt: Mit dem aktuellen Kürzungspaket wird es nicht getan sein. Angesichts weiter schlechter wirtschaftlicher Aussichten werden die EU-Budgetregeln schon dieses Jahr kaum einzuhalten sein. Deswegen drängen die NEOS bereits auf weitere Maßnahmen, sollte das schlagend werden. Auch nächstes Jahr müssen Milliardenbeiträge eingespart werden. Mit jedem Kürzungspaket werden die Maßnahmen härter werden, weil es schwieriger wird, Bereiche zu finden, wo schnell etwas zu holen ist.

Kleine Fortschritte

Andreas Babler wurde als Bürgermeister von Traiskirchen bekannt. Dort verstand er es, kluge Sozial- und Kommunalpolitik mit einem explizit humanen und solidarischen Zugang zu den Asylsuchenden im Ort zu kombinieren und dennoch satte Mehrheiten bei Wahlen einzufahren. Jetzt ist Babler Vizekanzler einer Regierung, die für die Aushebelung zentraler Rechte in diesem Bereich steht.

Als eine ihrer ersten Maßnahmen will die neue Regierung das Recht auf Familiennachzug aussetzen. Ob das wirklich zum »guten Leben für alle Menschen in Österreich«, wie von Babler bei der Präsentation des Regierungsprogramms als Ziel erklärt, beiträgt, ist durchaus fraglich. Weiters will die Bundesregierung die Schubhaft massiv ausweiten, den Zugang zu Sozialleistungen für die ersten fünf Jahre in Österreich einschränken und im Falle steigender Asylanträge einen völligen Asylstopp verhängen. Die Dreierkoalition unterscheidet sich hier insofern von den bereits verhandelten Punkten von Blau-Schwarz, als sie auf dem Boden des EU-Rechts bleiben will. Das ist aber immer noch grausam genug.
Die FPÖ ist aber nicht die einzige politische Kraft, die trotz Abwesenheit in der Regierung einen Effekt auf ihr Programm hat. Vielleicht die einzige fix verhandelte Verbesserung im Leben der Menschen, die sich im Programm findet, betrifft die Mieten. Die Aussetzung, der an die Inflation gebundenen Mieterhöhungen im gesetzlich geregelten Altbau und geförderten Bereiche dieses Jahr und ihre Begrenzung 2026 auf 1 und 2027 auf 2 Prozent bedeuten eine wichtige Verschnaufpause für hundertausende Mieter:innen. Zukünftig sollen für den gesamten Wohnbau einheitliche Wertsicherungsklauseln gelten, die bei über 3 Prozent Inflation nur zur Hälfte auf die Mietenden umgewälzt werden. Außerdem sollen Befristungen zukünftig mindestens fünf statt bisher drei Jahre betragen. Damit greift die neue Regierung jenes Thema auf, mit dem die KPÖ in einer Landeshauptstadt nach der anderen große Erfolge feierte. Das zeigt man muss nicht nur nicht in der Regierung sitzen, sondern nicht einmal im Parlament, um Veränderungen zu bewirken.

Ansonsten finden sich ein paar kleine Geschenke an die jeweiligen Klientels der Parteien. Teure Dienstwagen werden steuerlich begünstigt, Geschäftsleute müssen künftig unter 35 Euro keine Rechnungen mehr ausstellen, können also wieder besser steuerbetrügen, und wenn es das Budget hergibt, sollen die Lohnnebenkosten, also die direkten Beiträge des Kapitals zum Sozialstaat, 2027 gesenkt werden. Als kleine Gemeinheit gegen arme Menschen soll die Sozialhilfe künftig mit der Familienbeihilfe gegengerechnet werden, was im Effekt für Familien einer Kürzung um hunderte Euro gleichkommt. Die von Babler lange propagierte Kindergrundsicherung findet sich hingegen nur als vage formulierte Absichtserklärung, die es noch auszuarbeiten gilt, im Regierungsprogramm.

Außenpolitisch bekennt sich die Regierung zwar zur Neutralität, untergräbt dieses Bekenntnis aber sogleich wieder, wenn sie die Beteiligung an der sogenannten Skyshield-Initiative aufrechterhält. Das bedeutet nicht nur, sich an einer gemeinsamen europäischen Militärinitiative zu beteiligen, sondern kostet auch gleich mal 7,5 Milliarden Euro. Zudem wird mit Beate Meinl-Reisinger von den NATO-affinen NEOS eine Politikerin zur Außenministerin, die die Neutralität offen infrage stellt.

Viel Potenzial für Konflikt

Bemerkenswert ist, dass die SPÖ das Finanzministerium für sich beanspruchen konnte. Damit kommt der Finanzminister zum ersten Mal seit 25 Jahren nicht aus der ÖVP. Mit Markus Marterbauer, dem bisherigen Abteilungsleiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der Arbeiterkammer Wien, wird ein progressiver Volkswirt dieses Ministerium bekleiden.

Dafür musste Andreas Babler mindestens so viel Verhandlungstaktik in der eigenen Partei anwenden wie mit den beiden Koalitionspartnern. Denn die mächtige Wiener Landespartei wollte um jeden Preis den als wirtschaftsfreundlich geltenden Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke durchsetzen. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass jetzt ausgerechnet dem linkskeynesianischen Marterbauer kaum etwas anderes übrig bleiben wird, als eines der härtesten Kürzungspakete der jüngeren Geschichte umzusetzen. Noch im Jänner, als es von den blau-schwarzen Verhandlern nach Brüssel gemeldet wurde, kritisierte er es wegen der krassen sozialen Ungerechtigkeit und Schädlichkeit in der bereits bestehenden Rezession scharf.

Österreich hat jetzt eine Regierung, die vieles offen lässt. Unzählige Punkte im Regierungsprogramm beginnen mit einem Bekenntnis zu diesem oder der Erklärung, jenes überarbeiten zu wollen. Ein umfassendes Programm bleibt so jenseits der Budgetkonsolidierung aus. Ungelöst bleiben die hohen Energiepreise sowohl für Haushalte als auch für Industrie, Antworten auf die Klimakrise, die sich durch das Land fressende Krise der Industrie und vieles mehr. Jede dieser Krisen, jede Frage, die sich in den kommenden Jahren aufdrängt, birgt die Gefahr, die Regierung platzen zu lassen.

Linksliberale atmen jetzt im ganzen Land auf – und tatsächlich wäre eine rechtsextreme Regierung unter einem Kanzler Herbert Kickl mit Sicherheit auch für das Leben der meisten Menschen in diesem Land noch einmal deutlich schlimmer gewesen. Doch die politische Situation bleibt brandgefährlich. Ins Amt kommt jetzt eine Regierung, die kaum mehr anzubieten hat als Budgetkürzungen. Und die einzig relevante Opposition dagegen im Parlament ist weiterhin die rechtsextreme FPÖ.

Von Gewerkschaften und der SPÖ nahen Teilen der Zivilgesellschaft sind nun kaum Proteste oder gar wirksamer Widerstand gegen die drohenden Kürzungen zu erwarten. Das alles in einer Situation, in der auch weiter damit zu rechnen ist, dass global eine Krise die nächste jagt und sich diese Krisen auch hier weiter im Alltag der Menschen bemerkbar machen.

Darauf zu hoffen, dass es die Sozialdemokratie oder gleich die ganze Regierung jetzt noch irgendwie herumreißen würde, wäre fatal. Stattdessen gilt es, die Zeit zu nutzen, wirksam am Aufbau einer politischen Alternative zu arbeiten, die dem Rechtsrutsch nicht nur ideologisch etwas entgegenzusetzen hat, sondern real im Alltag der breiten Mehrheit der Menschen als solidarische Praxis präsent ist.

 

Quelle: KPÖ